Unter den Tyrannen von Syrakus
nimmt Agathokles eine bedeutsame Stellung ein. Schon
sein Aufstieg ins höchste Staatsamt ist mehr als
spektakulär, und es gehen ihm deutliche Vorzeichen voraus. Aus
einfachsten Verhältnissen stammend, gelingt es Agathokles aufgrund der ihm von der Natur verliehenen
Gaben, sich einen Namen als Söldnerführer zu machen.
Die Kriegerkaste ist es letztlich, die ihn an die Macht
spült - die um Verfolgung ihrer Verbrechen bangende
Soldateska. Von hohen körperlichen Vorzügen gesegnet,
gepaart mit einem unerbittlichen Streben nach Macht,
rechnet Agathokles gnadenlos mit seinen politischen
Gegnern ab, und er tut es auf grausamste Weise, hält
sich nicht an eine vertragliche Zusicherung. Seine Macht
sichert er sich durch Schmeicheleien, gibt sich listig
als aufrechter Demokrat. Er ist es aber auch, der nach
dem Tod seiner Söhne den Syrakusanern die Demokratie
zurückgibt. Die Biographie des Agathokles bietet
geradezu ein Musterbeispiel, welches die Voraussetzungen
für eine Machtergreifung sind: der Besitz eines
wichtigen Staatsamts (welches zu seiner Zeit am
leichtesten im Bereich des Militärischen zu erlangen
war); ein treu ergebenes Heer, bestehend aus "treulosen"
Söldnern, und nicht etwa aus heimatverbundenen Bürgern;
ein gutes finanzielles Polster, um sich ganz dem
Wahlkampf widmen zu können anstatt durch Tätigkeiten
zur Bestreitung des Lebensunterhalts abgelenkt zu sein;
genügend Parteigänger sowie ein "Programm", um
Verbündete im gemeinsamen Kampf gegen den politischen
Gegner zu gewinnen. Die Lebensleistung des Agathokles
nimmt sind bescheiden aus im Vergleich zu seiner
Karriere. Dennoch kann er zur Behauptung seiner Macht
durchaus Erfolge aufweisen, etwa im Kampf
gegen den Erzfeind Karthago. Und was
sämtliche Demokratien der ausgehenden
Diadochenzeit nicht zu leisten vermögen, gelingt unter
seiner Tyrannis:
seiner Heimatstadt Syrakus zu wirtschaftlicher
Blüte zu verhelfen und es zur führenden Macht
im Mittelmeerraum auszubauen. Die ihm folgten vermochten
dem Vordringen Roms nur mehr wenig Widerstand zu
leisten, zu morsch waren inzwischen die freiheitsliebenden
Bestrebungen der griechischen Welt,
um militärisch noch Paroli bieten zu
können. Das uns von Agathokles überlieferte Bild
schildert uns am
eindrucksvollsten der griechische
Geschichtsschreiber Timaios aus Tauromenion. Hier ein
Ausschnitt aus dem Plagiat des Diodorus Siculus:
Es ist eine altüberlieferte Geschichte, daß nicht die Alltagsmenschen,
vielmehr jene, die durch besondere Fähigkeiten hervorragen, die Demokratien
zerstören. Daher entziehen auch einige Städte aus Mißtrauen ihren
einflußreichsten Staatsmännern die öffentliche Schaustellung ihrer Macht.
Wie es scheint, liegt nämlich der Schritt, ihr Vaterland zu versklaven, für
Männer, die lange Zeit ein führendes Amt bekleiden, ganz nahe, und es fällt
jenen, die sich wegen ihres hohen Ansehens Hoffnungen auf den Gewinn der
Macht erwarben, schwer, sich einer Alleinherrschaft zu versagen. Denn
natürlicherweise will jeder, der nach Größerem strebt, mehr und hegt grenzenlose Wünsche. Aus diesen Gründen
schickten die Athener ihre führenden Bürger in die Verbannung, nachdem sie durch
Gesetz das sogenannte Scherbengericht eingeführt hatten. Und bei diesem Vorgehen
lenkte sie nicht die Absicht, frühere Rechtswidrigkeiten zu bestrafen, sie
wollten vielmehr denen unter ihren Bürgern, die stark genug waren, sich über
Gesetze hinwegzusetzen, die Möglichkeit nehmen, sich an ihrer Vaterstadt zu
versündigen. Sie erinnerten sich nämlich an einen Ausspruch Solons wie an
ein Orakel, womit er die Tyrannis des Peisistratos ankündigt und folgendes
Distichon dichtet:
«Geht doch zu Grunde die Stadt an ihren mächtigen Männern.
Und in Tyrannengewalt stürzt die Torheit das Volk».
Mehr als sonstwo herrschte das Streben nach Alleinherrschaft auf Sizilien,
noch ehe sich die Römer zu Herren dieser Insel machten. Denn die Städte,
getäuscht durch demagogische Betrügereien, stärkten die Schwachen so lange, bis
diese zu Herren über die Betrogenen wurden. Auf allerseltsamste Art aber
wurde Agathokles zum Tyrannen der Syrakusaner: Er war ein Mann, der aus äußerst
bescheidenen Verhältnissen stammte, jedoch nicht nur Syrakus, sondern auch ganz
Sizilien und Libyen in die größten Katastrophen stürzte. Denn obwohl ihn
Mittellosigkeit und dürftige Lebensumstände dazu zwangen, sich mit dem
Töpferhandwerk zu beschäftigen, errichtete er eine derartige Blutherrschaft,
daß er die größte und schönste aller Inseln versklavte, eine Zeitlang sogar den
Hauptteil Libyens und Landstriche Italiens in seinen Besitz brachte und die
Städte Siziliens mit Gewalt und Mord erfüllte. Denn keiner der vor ihm
lebenden Tyrannen brachte etwas Derartiges zustande und entwickelte dabei eine
derartige Grausamkeit gegen seine Untertanen. Er pflegte nämlich Privatleute zu
bestrafen, indem er ihre ganze Verwandtschaft hinmordete, und Städte zur
Rechenschaft zu ziehen, indem er ihre gesamten waffenfähigen Männer mordete.
Wegen einiger weniger Angeklagter zwang er die völlig unschuldige Menge, das
gleiche Schicksal zu teilen, und verurteilte die ganze Bevölkerung von Städten
zum Tode. Doch da das vorliegende Buch sowohl die anderen Ereignisse als
auch die Gewaltherrschaft des Agathokles umfaßt, wollen wir keine weiteren
einleitenden Worte mehr darüber verlieren und den vorausgehenden Schilderungen
die sich anschließenden Ereignisse hinzufügen, wobei wir zuvor noch die unserer
Schilderung entsprechenden Zeitangaben bringen: In den vorangegangenen 18
Büchern haben wir die Ereignisse, die sich seit den ältesten Zeiten in den uns
bekannten und von Menschen bewohnten Erdteilen zutrugen, soweit es uns möglich
war, und zwar bis zu dem Jahr vor Beginn der Gewaltherrschaft des Agathokles,
beschrieben. Man zählt bis zu diesem Zeitpunkt ab der Zerstörung Trojas 866
Jahre. In diesem vorliegenden Buch wollen wir den Anfang machen mit dieser
Dynastie und enden mit der Schlacht am Himeras zwischen Agathokles und den
Karthagern. Damit erfassen wir einen Zeitraum von sieben Jahren.
Als Demogenes in Athen das Archontat bekleidete, bestellten die Römer den
Lucius Plotius und Manius Fulvius zu Konsuln, und Agathokles von Syrakus wurde
Tyrann der Stadt. Um die Abfolge der einzelnen Ereignisse zu verdeutlichen,
wollen wir in Kürze einiges über das Leben des erwähnten Herrschers
vorausschicken: Karkinos aus Rhegion ließ sich nach der Verbannung aus
seiner Heimatstadt in Therma auf Sizilien nieder, einem Ort, der unter Karthagos
Herrschaft stand. Nachdem er sich mit einer einheimischen Frau eingelassen und
diese geschwängert hatte, fühlte er sich dauernd im Schlaf gestört. Deshalb
in Angst wegen der Zeugung des Kindes, gab er einigen karthagischen Pilgern, die
nach Delphi fuhren, den Auftrag, den Gott über das erwartete Kind zu befragen.
Diese führten seine Bitte gewissenhaft aus und erhielten einer Orakelspruch, daß
das von ihm gezeugte Kind für die Karthager und ganz Sizilien Ursache großer
Unglücksfälle sein werde. Als Karkinos dies erfuhr, befiel ihn Furcht,
setzte das Kind an einem öffentlichen Platze aus und bestellte Männer, die
darüber wachen sollten, daß es sterbe. Doch nachdem einige Tage verstrichen
waren, lebte das Kind immer noch, und die zu seiner Bewachung bestellten Männer
paßten nicht auf. Seine Mutter kam bei Nacht herbei, hob das Kind heimlich
auf, brachte es aber aus Furcht vor ihrem Mann nicht zu sich nach Hause, ließ es
vielmehr bei ihrem Bruder Herakleides und gab ihm den Namen Agathokles, den
gleichen, den auch ihr eigener Vater trug. Bei diesem wuchs der Knabe heran,
äußerlich wohlgestaltet und körperlich viel kräftiger, als es seinem Alter
entsprach. Als er sieben Jahre zählte, wurde Karkinos von Herakleides zu einem
Opfer geladen. Dort sah er den Agathokles mit einigen Altersgenossen spielen und
staunte über seine Schönheit und Körperkraft, worauf die Frau bemerkte, der
ausgesetzte Knabe wäre jetzt ebenso alt, wenn man ihn aufgezogen hätte. Er
sagte, daß er seine Tat bereue und begann unaufhörlich zu weinen. Als die
Frau merkte, daß ihres Mannes Wunsch mit ihrer Tat im Einklang stehe, bekannte
sie ihm die ganze Wahrheit. Mit Freuden hörte er ihre Worte, nahm seinen Sohn zu
sich, siedelte aber aus Furcht vor den Karthagern mit seinem ganzen Haushalt
nach Syrakus über. Dort lehrte er, selbst ein armer Mann, den Agathokles, der
noch im Kindesalter stand, die Töpferkunst. In dieser Zeit gab der Korinther
Timoleon, nachdem er die Karthager in der Schlacht am Fluß Krimissos besiegt
hatte, allen, die es wollten, das syrakusanische Bürgerrecht, und so wurde
Karkinos samt Agathokles in die Bürgerlisten eingetragen, starb jedoch nach
kurzer Zeit. Die Mutter aber weihte ein steinernes Bildnis ihres Sohnes in
einem bestimmten Heiligtum, und ein Bienenschwarm, der sich darauf niederließ,
baute seine Honigwaben an seine Hüften. Als man dieses Vorzeichen den mit
solchen Dingen beschäftigten Männern berichtete, erklärten sie einstimmig, daß
der Knabe in der Blüte seines Lebens zu großem Ruhm gelangen werde, was sich
dann auch erfüllte.
Ein Mann namens Damas, der zu den
angesehenen Persönlichkeiten in Syrakus zählte, verliebte sich in Agathokles und
wurde, da er ihn anfänglich mit allem reich versorgte, dadurch Anlaß, daß sich
Agathokles ein entsprechendes Vermögen ansammeln konnte. Später wurde Damas zum
Feldherrn gegen Akragas gewählt und bestellte, als einer von den Chiliarchen
gestorben war, seinen Schützling für dessen Posten. Schon vor dem Feldzug
erregte Agathokles wegen der Größe seiner Waffen bedeutendes Aufsehen. Er legte
nämlich Wert darauf, was die Bewaffnung anlangte, eine so gewaltige Rüstung zu
tragen, daß sich bei ihrer Schwere kein anderer ihrer leicht bedienen konnte.
Noch viel größeren Ruhm aber erwarb er sich nach seiner Beförderung zum
Chiliarchen, liebte er doch die Gefahr und zeigte sich kühn in den Schlachten,
war aber auch keck und schlagfertig bei seinen Reden vor dem Volk. Als aber
Damas an einer Krankheit starb und sein Vermögen der Ehefrau hinterließ,
heiratete er sie und wurde nun unter die reichsten Männer gezählt. Danach
schickten die Syrakusaner den von den Bruttiern belagerten Krotoniaten ein
starkes Heer zur Hilfe, das neben anderen Antandros, der Bruder des Agathokles,
führte, während der Oberbefehl bei Herakleides und Sostratos lag, Männern, die
den größeren Teil ihres Lebens mit Verschwörungen, Morden und schweren
Verbrechen zugebracht hatten, worüber das vorausgehende Buch Einzelheiten
enthält. Mit ihnen zusammen zog auch Agathokles ins Feld, vom Volk als
tüchtig anerkannt und in den Rang eines Chiliarchen berufen. Obwohl er sich in
den Schlachten gegen die Barbaren zuvor als der Beste erwiesen hatte, wurde ihm
doch von Sostratos und den Seinen aus Neid der Preis für seine Ruhmestaten
vorenthalten. Dies schmerzte Agathokles zutiefst, und so warf er ihnen vor
dem Volke vor, sie hätten sich entschlossen, eine Gewaltherrschaft
herbeizuführen. Die Syrakusaner jedoch hörten nicht auf seine Anschuldigungen,
und so konnte die Clique um Sostratos nach der Rückkehr von Kroton sich zu
Herren über ihre Vaterstadt machen.
Aus feindseliger
Einstellung gegen sie blieb Agathokles mit seinen Anhängern fürs erste in
Italien zurück und versuchte die Stadt Kroton in seine Gewalt zu bringen, wurde
indessen vertrieben und konnte sich mit nur wenigen Begleitern nach Tarent
retten. Nachdem er von den dortigen Bürgern in die Reihen der Söldner
aufgenommen war, kam er wegen Beteiligung an vielen gefährlichen Unternehmungen
in den Verdacht, auf Umsturz zu sinnen. Er wurde daher auch aus diesem
Militärdienst entlassen, sammelte aber nun die Verbannten in Italien und kam den
durch die Leute des Herakleides und Sostratos bekämpften Einwohnern von Rhegion
zu Hilfe. Als in der Folgezeit das in Syrakus regierende Regime gestürzt
wurde und Sostratos mit seinem Anhang in die Verbannung gehen mußte, konnte
Agathokles in seine Heimat zurückkehren. Da aber zusammen mit der Clique
zahlreiche angesehene Männer als angebliche Anhänger der Oligarchie der 600
Vornehmsten die Stadt hatten verlassen müssen, kam es jetzt zum Krieg zwischen
den Vertriebenen und den Parteigängern der Demokratie. Sostratos und die
Verbannten fanden in den Karthagern Bundesgenossen, und so kam es zu dauernden
Kampfhandlungen und Schlachten zwischen starken Verbänden, wobei sich
Agathokles bald als einfacher Soldat, dann wieder, mit einem Kommando betraut,
als tatkräftiger und erfindungsreicher Mann erwies. Denn bei jeder Gelegenheit
fiel ihm ein nützlicher Rat ein. Eine von diesen Taten verdient besondere
Erwähnung: Als nämlich einmal die Syrakusaner in der Nähe von Gela ihr Lager
bezogen hatten, stahl er sich mit 1000 Mann bei Nacht in die Stadt. Doch da
erschien plötzlich Sostratos mit einer starken, geordneten Truppe, schlug die
Eindringlinge in die Flucht und streckte an die 300 Mann nieder. Während nun
die restlichen durch einen Schlupfweg zu entkommen versuchten und schon die
Hoffnung auf Rettung aufgegeben hatten, rettete sie Agathokles unvermutet aus
den Gefahren. Obwohl er selbst nach einem beispiellos glänzenden Kampf
sieben Wunden empfangen hatte und durch den großen Blutverlust körperlich
geschwächt war, befahl er unter dem Andrang der Feinde seinen Trompetern, auf
beide Seiten der Mauer zu treten und das Signal zum Kampf zu geben. Rasch
vollzogen sie seinen Befehl, worauf jene Männer, die aus Gela heraus zu Hilfe
geeilt waren, infolge der Dunkelheit außerstande waren, die wahre Lage zu
durchschauen. In der Annahme, die restliche Heeresmacht der Syrakusaner
sei auf beiden Seiten eingebrochen, stellten sie die Verfolgung ein. Sie
teilten die Streitkräfte in zwei Gruppen und wollten sich auf die
Trompetenklänge hin sammeln und rasch zu Hilfe kommen. Währenddessen erhielten
Agathokles und die Seinen eine Atempause und vermochten sich völlig unbehelligt
in ihr befestigtes Lager zu retten. Damals überlistete er die Feinde auf diese
Art und bewahrte, wie durch ein Wunder, nicht nur das Leben seiner eigenen
Gefolgschaft, sondern auch das von 700 Bundesgenossen.
Als darauf der Korinther
Akestorides zum Feldherrn in Syrakus gewählt wurde, erweckte Agathokles den
Verdacht, er wolle sich zum Tyrannen aufschwingen, konnte aber durch seine
Klugheit der Gefahr entrinnen. Denn Akestorides befürchtete einen Bürgerkrieg
und ließ ihn daher auch nicht öffentlich hinrichten, er befahl stattdessen
Agathokles, die Stadt zu verlassen, und schickte Häscher aus, die ihn bei Nacht
unterwegs töten sollten. Doch treffend erriet Agathokles die Absicht des
Feldherrn. Er wählte aus der Schar seiner Sklaven denjenigen aus, der ihm an
Körpergröße und Aussehen am ehesten glich, gab ihm seine gesamte Ausrüstung und
sein Pferd, dazu auch noch seine eigene Kleidung und täuschte so jene, die zu
seiner Ermordung ausgesandt waren. Er selbst hüllte sich in Lumpen und nahm
seinen Weg durch unwegsames Gelände. Die Häscher aber schlossen aus den Waffen
und den sonstigen Abzeichen, daß es Agathokles sei, und da sie infolge der
Dunkelheit nicht genau sehen konnten, vollzogen sie wohl den Mord, verfehlten
aber ihr geplantes Unternehmen. Danach nahmen die Syrakusaner die zusammen
mit Sostratos Verbannten wieder bei sich auf und schlossen mit den Karthagern
Frieden. Agathokles hingegen sammelte in der Verbannung im Binnenland eine
eigene Streitmacht. Dadurch wurde er nicht nur seinen Mitbürgern, sondern auch
den Karthagern gefährlich, doch ließ er sich bereden, in seine Vaterstadt
zurückzukehren. Von seinen Bürgern in das Heiligtum der Demeter gebracht, legte
er einen Eid ab, nichts gegen die Demokratie unternehmen zu wollen. Indem er
nun so tat, als stelle er sich an die Spitze der Demokratie, und auf vielerlei
Weise die Gunst der Massen für sich gewann, wurde er zum Feldherrn gewählt und
außerdem zum Wächter über den Frieden bis zu dem Zeitpunkt, wo tatsächlich
Eintracht unter den in die Stadt zurückgekehrten Verbannten hergestellt sei.
War es doch so, daß die politischen Klüngel derer, die sich zusammenfanden, in
viele Lager gespalten waren und alle scharfe Gegensätze unter einander
bestimmten. Als stärkste Opposition stand aber dem Agathokles und seinem Anhang
der Rat der Sechshundert gegenüber, der in den Tagen der Oligarchie die Stadt
geleitet hatte. Die durch Ansehen und Vermögen ausgezeichneten Syrakusaner
rechneten ja zu deren Mitgliedern.
In seinem Streben nach der Macht kamen Agathokles viele Umstände zustatten,
um sein Ziel zu erreichen. So befehligte er nicht nur als Feldherr die
Streitmacht, sondern hatte auch auf die Meldung, daß einige der Empörer im
Binnenland bei Erbita ein Heer sammelten, ohne Argwohn zu erwecken Vollmacht
erhalten, nach Belieben Soldaten zu rekrutieren. Angeblich wegen eines
Feldzugs gegen Erbita nahm er daher die Leute aus Morgantina sowie jene
Kameraden aus den übrigen Städten des Binnenlandes ins Heer auf, die vordem
unter ihm gegen die Karthager gezogen waren. All diese waren Agathokles von
Grund auf ergeben, da sie von ihm auf den Feldzügen viele Wohltaten empfangen
hatten. Außerdem standen sie den Sechshundert, die an der Oligarchie in Syrakus
teilhatten, allzeit feindlich gegenüber und haßten ganz allgemein das Volk, weil
sie dessen Anordnungen befolgen mußten. Sie zählten an die 3000 Mann und waren
dank ihrer Bestrebungen und ihrer politischen Überzeugungen äußerst geeignete
Werkzeuge zum Sturz der Demokratie. Ihnen gesellte er noch jene Bürger bei, die
aus Armut und Neid den gesellschaftlichen Auftritt der Mächtigen haßten.
Als er nun sämtliche Vorbereitungen gut geregelt hatte, befahl er seinen
Soldaten, sich mit Tagesanbruch beim Timoleontion einzufinden. Er selbst ließ
Peisarchos und Diokles, die als Anführer des Gefolges der Sechshundert galten,
mit ihren Anhängern dorthin kommen, so als wolle er mit ihnen einige dem
allgemeinen Wohl dienende Fragen erörtern. Als sie in Begleitung von etwa 40
Freunden eingetroffen waren, ließ Agathokles unter dem Vorwand, man plane gegen
ihn einen Anschlag, sie samt und sonders festnehmen und beschuldigte sie vor den
Soldaten, die Sechshundert wollten ihn wegen seiner Sympathie für das einfache
Volk festsetzen, und beklagte sein Schicksal. Darüber erregte sich die Menge
und schrie, er solle nicht mehr zögern, sondern sogleich die Rechtsbrecher
gebührend bestrafen. So befahl er den Trompetern, das Zeichen zum Kampf zu
blasen, den Soldaten aber, die Schuldigen niederzumetzeln und den Besitz der
Sechshundert und ihrer Anhänger auszuplündern. Als sich nun alle ans Rauben
machten, füllte sich die Stadt mit Tumult und großem Unheil. Denn die
angesehensten Bürger, die nichts von dem gegen sie beschlossenen
Vernichtungsschlag wußten, sprangen aus ihren Häusern auf die Straßen, um den
Grund der Unruhe zu erfahren, während die Soldaten teils aus Habgier, teils aus
Zorn sich austobten und alle niedermachten, die in Unkenntnis der Lage ihnen
ihre Leiber ohne den Schutz der Waffen darboten.
Die engen Gassen waren hermetisch
von den Soldaten abgesperrt, und so wurden die einen auf den Straßen, die
anderen in ihren Häusern hingemordet. Auch von jenen Bürgern, gegen die
keinerlei Vorwurf vorlag, wurden viele getötet, während sie den Grund für das
Blutbad zu erfragen suchten. Denn die bewaffnete Masse nahm sich die Freiheit
und machte keinen Unterschied zwischen Freund und Feind, vielmehr betrachtete
sie denjenigen, von dem sie sich größeren Nutzen erwartete, als ihren Gegner.
So konnte man denn die ganze Stadt von Ausschreitungen, Mordtaten und allen
möglichen Gesetzlosigkeiten erfüllt sehen. Aus alter Feindschaft heraus verübten
die einen jegliche Art von Gewalttat an den Opfern ihres Hasses, jetzt da sie
die Gelegenheit fanden, alles auszuführen, was ihre Wut befriedigen konnte.
Andere wieder glaubten, durch Mord an den Wohlhabenden ihren eigenen Nöten
abzuhelfen, und ließen kein Mittel zu deren Vernichtung unversucht. Einige
brachen die Hoftore auf, andere erstiegen mit Leitern die Hausdächer, weitere
kämpften mit den Männern, die sich von den Dächern aus verteidigten. Nicht
einmal jenen, die sich in die Tempel geflüchtet hatten, vermochte ihr
schutzflehendes Gebet zu den Göttern Sicherheit zu verschaffen, Ehrfurcht vor
den Göttern ward vielmehr von den Menschen in den Staub getreten. Und das
alles erdreisteten sich mitten im Frieden und in der Vaterstadt Griechen
gegenüber Griechen anzutun, Verwandte ihren Blutsverwandten, ohne sich um
natürliches Empfinden, um Verträge und um die Götter zu kümmern. Das waren
Verbrechen, angesichts derer nicht nur ein Freund, nein sogar ein Todfeind, wenn
er nur ein bißchen Herz besaß, das Los der Opfer bemitleidet hätte.
Alle Stadttore nämlich wurden verriegelt und mehr als 4000 Menschen an
jenem Tag erschlagen, denen man einzig vorwarf, daß sie besserer Herkunft als
die anderen waren. Von den Fliehenden wurden jene, die zu den Toren eilten,
festgenommen, während andere, die von den Mauern herabsprangen, sich in die
Nachbarstädte retten konnten. Einige freilich, die aus Angst den Sprung
unvorsichtig wagten, stürzten zu Tode. Die Zahl derer, die aus ihrer
Heimatstadt vertrieben wurden, überstieg die 6000, wovon die meisten sich zu den
Akragantinern flüchteten und dort angemessen Fürsorge fanden. Agathokles und
die Seinen verbrachten den Tag mit Mord an den Bürgern und nahmen nicht einmal
von der Vergewaltigung und Mißhandlung ihrer Ehefrauen Abstand, glaubten
vielmehr, die dem Tode Entronnenen hinreichend durch Greuel an ihren Verwandten
zu bestrafen. Denn natürlich durchlitten die Ehegatten und Väter Schlimmeres als
den Tod, wenn sie an die Vergewaltigung ihrer Ehefrauen und die Schändung ihrer
Töchter dachten. Wir aber sehen uns verpflichtet, in unserem Bericht auf die
schwülstige bei den Geschichtsschreibern übliche Wehklage zu verzichten, vor
allem aus Mitleid mit den Opfern, sodann aber auch, weil kein Leser die
Einzelheiten vernehmen möchte, wo er eigene Kenntnis unschwer gewinnen kann.
Denn Menschen, die schon am helllichten Tag die Dreistigkeit besaßen, auf
Straßen und Markt völlig Unschuldige hinzuschlachten, brauchen keinen
Berichterstatter darüber, was sie allein für sich nachts in den Häusern
anstellten und wie sie sich gegenüber verwaisten Mädchen und ihrer Beschützer
beraubten Ehefrauen betrugen, die in die schrankenlose Gewalt ihrer Todfeinde
geraten waren. Agathokles befahl, nach vollen zwei Tagen endlich vom
Bürgermord gesättigt, die Gefangenen zusammenzuholen, gab Deinokrates wegen
ihrer früheren Freundschaft frei, ließ aber von den übrigen seine grimmigsten
Feinde töten und schickte den Rest in die Verbannung.
Danach berief Agathokles eine
Volksversammlung ein und richtete Anklagen gegen die Sechshundert und die zuvor
unter ihnen bestehende Oligarchie. Er habe, wie er erklärte, die Stadt von jenen
Männern gesäubert, die ein Regime zu errichten versuchten, und behauptete, daß
er dem Volk die lautere Demokratie überlasse und den Wunsch hege, endlich seiner
Bürden ledig als Mann ohne Amt, als Gleicher unter Gleichen zu leben. Und
während er dies sagte, zog er seinen Kriegsmantel aus, tauschte ihn mit dem
Kleid eines Zivilisten und trat ab, indem er sich als einer der vielen
darstellte. Das tat er aber nur, um den Demokraten zu spielen, und genau sich
dessen bewußt, daß die Mehrzahl der Versammlungsteilnehmer an den Verbrechen
teilgenommen hatte und deshalb niemals gewillt war, einem anderen das
Feldherrnamt anzuvertrauen. Sofort schrieen jedenfalls diejenigen, welche
den Besitz der unglücklichen Opfer geplündert hatten, er möge sie nicht im Stich
lassen, sondern die allgemeine Staatsleitung übernehmen. Zuerst blieb
Agathokles stumm, doch dann, als die Menge ihn heftiger zur Übernahme drängte,
erklärte er sich bereit, das Feldherrnamt anzunehmen, es jedoch nicht mit
anderen zusammen ausüben zu wollen. Denn er lehne es ab, als Mitfeldherr den
Gesetzen gemäß Rechenschaft für das ablegen zu müssen, was andere sich
zuschulden kommen ließen. Da sich die Menge mit seiner Alleinherrschaft
einverstanden erklärte, wurde Agathokles zum Feldherrn mit unbeschränkten
Vollmachten gewählt, und ganz offen übte er fortan die Herrschaft aus und trug
Sorge für das Staatswesen. Von den unbescholtenen Syrakusanern aber ließen
sich die einen aus Furcht bestimmen, den Dingen ihren Lauf zu lassen, während
die anderen unter dem Druck des Pöbels nicht den Mut aufbrachten, nutzlos ihrer
Gegnerschaft Ausdruck zu verleihen. Andererseits begrüßten viele Arme und
Verschuldete den Umsturz. Versprach doch Agathokles in der Volksversammlung,
einen Schuldenerlaß durchzuführen und die Mittellosen mit Land zu beschenken.
Nachdem er dies alles erledigt hatte, hörte er mit Morden und weiteren
Bestrafungen auf, ja mit einem Wandel ins Gegenteil zeigte er sich dem einfachen
Volke gegenüber freundlich und gewann sich nicht geringe Sympathie, indem er
vielen Gefälligkeiten erwies, eine beachtliche Zahl mit Versprechungen ermutigte
und alle mit freundlichen Worten umschmeichelte. Obwohl Agathokles über
eine solche Machtstellung verfügte, setzte er sich weder ein Diadem aufs Haupt
noch hatte er eine Leibgarde um sich noch war er auf Unnahbarkeit bedacht, wie
es doch fast alle Tyrannen zu tun pflegen. Er kümmerte sich gewissenhaft um die
öffentlichen Einkünfte und um die Bereitstellung von Waffen und Geschossen,
ließ auch zu den vorhandenen Kriegsschiffen neue bauen und brachte die meisten
der binnenländischen Gebiete und Städte in seine Gewalt. So stand es denn um die
Lage in Sizilien.
Der oben abgedruckte Text ist
entnommen aus der Bibliothek der griechischen Literatur,
Diodoros, Griechische Weltgeschichte, Buch XIX,
übersetzt von Otto Veh, herausgegeben vom
Anton-Hiersemann-Verlag, Stuttgart, 2005. Das Copyright
bleibt beim Verleger.