Der Heldentod des Leonidas
Den Hellenen,
die bei Thermopylai waren, hatte zuerst der Seher Megistios nach
der Betrachtung der Opfer verkündigt, daß sie mit dem
Morgengrauen den Tod finden würden. Dazu kamen noch
Überläufer, die die Umgehung durch die Perser meldeten. Diese
hatten noch während der Nacht die Kunde gebracht. Als dritte
liefen die Posten von den Höhen herunter, gleich als der Tag
anbrach. Da berieten sich die Hellenen, und sie waren geteilter
Meinung. Die einen weigerten sich, die Stellung zu verlassen, die
anderen wehrten sich dagegen. Darauf trennten sie sich. Der eine
Teil zog ab und zerstreute sich, wobei jeder in seine Stadt
heimkehrte, der andere Teil mit Leonidas war entschlossen, an Ort
und Stelle zu bleiben.
Man erzählt sich
aber auch, daß Leonidas sie persönlich fortgeschickt habe, da
er dafür besorgt war, daß sie nicht den Tod fänden. Ihm aber
und den Spartiaten, die sich bei ihm befanden, stehe es wohl
nicht an, die Stellung zu verlassen, in die sie eingerückt seien
ausdrücklich, um sie zu halten. Dieser Meinung pflichte ich
durchaus bei, ja ich gehe noch weiter und sage, daß Leonidas,
als er merkte, daß die Bundesgenossen es an gutem Willen fehlen
ließen und nicht entschlossen waren, mit ihm in dem Kampfe
durchzuhalten, ihnen befohlen habe, sich zu entfernen, während
es für ihn unehrenhaft sei abzuziehen. Dadurch aber, daß er
hier ausharrte, hat er sich bei dar Nachwelt großen Ruhm
erworben, und Spartas Glück wurde dadurch nicht ausgelöscht.
Denn es war von der Pythia den Spartiaten, die gleich zu Beginn
bei Ausbruch des Krieges über diesen Krieg das Orakel befragt
hatten, geweissagt worden, entweder werde Lakedaimon vernichtet
von den Barbaren oder es werde ihr König umkommen. Dies hatte
sie ihnen in hexametrischen Versen geweissagt, die
folgendermaßen lauteten:
"Euch, ihr Bewohner von
Sparta und seinen geräumigen Plätzen,
Wird die große, die herrliche
Stadt von den Söhnen des Perseus
Ausgetilgt. Sollt' es nicht
sein, dann wird den Herakles-Enkel,
Den gefallenen König, betrauern
das Land Lakedaimon.
Ihn wird im Kampf nicht des
Stieres Gewalt und auch nicht des Löwen
Hemmen. Ja, er besitzt die
Kräfte des Zeus, und ich sage:
Halten läßt er sich nicht, bis
er einen von beiden zerrissen."
Daran dachte
gewiß Leonidas, und da er den Spartiaten allein Ruhm zuwenden
wollte, ist eher anzunehmen, daß er die Bundesgenossen
wegschickte, als daß diese sich entzweit hätten und so ohne
Ordnung davongelaufen wären.
Für diese
Auffassung hat sich mir auch folgendes nicht als geringster
Beweis ergeben: Leonidas hat auch den Seher, der mit in diesen
Krieg gezogen war, den Akarnaner Megistios, von dem man
behauptet, er stamme ursprünglich von Melampos ab, eben den, der
aus den Opfern geweissagt hatte, wie ihnen alles ausgehen werde,
offensichtlich weggeschickt, damit er nicht mit ihnen zusammen
den Tod finde. Aber obgleich er weggeschickt wurde, ließ er den
Leonidas doch nicht im Stich. Nur seinen Sohn, der mit ihm sich
bei dem Heere befand und der sein einziger war, schickte er weg.
Die
weggeschickten Bundesgenossen zogen also ab und gehorchten dem
Leonidas, die Thespier und Thebaner aber blieben allein bei den
Lakedaimoniern. Von diesen taten es die Thebaner ungern und wider
ihren Willen - denn Leonidas hielt sie fest und behandelte sie,
als wären sie Geiseln -, die Thespier aber blieben ganz aus
freien Stücken da und erklärten, sie würden Leonides und seine
Leute nicht im Stich lassen und abziehen; und so blieben sie da
und fielen mit ihnen. Ihr Feldherr war Demophilos, der Sohn des
Diadromas.
Als Xerxes nach
Sonnenaufgang ein Trankopfer dargebracht hatte, wartete er noch
eine Zeitlang bis zu der Stunde, da der Markt sich füllt, und
rückte dann heran. Denn so war es ihm von Ephialtes angeraten.
Von dem Berg ist der Abstieg kürzer und das Gelände viel
weniger ausgedehnt als der Weg um den Berg und der Aufstieg. Die
Barbaren also unter Xerxes rückten heran. Leonidas aber und
seine Hellenen rückten in dem Bewußtsein, in den Tod zu gehen,
nunmehr viel weiter als zu Beginn aus ihrer Stellung heraus an
die breitere Stellung der Schlucht vor. Denn die Schutzwehr der
Mauer war in den vorausgegangenen Tagen von dem einen Teil
bewacht worden, während die anderen in das Engpaßgelände unter
dem Schutz der Mauer vorrückten und dort kämpften, jetzt aber
kam es außerhalb des engen Geländes zum Handgemenge,
wobei eine große Menge der Barbaren fiel. Denn hinter ihren
Abteilungen standen die Befehlshaber mit Peitschen und hieben
unter fortgesetztem Vorwärtstreiben auf jeden Mann ein. Viele
von ihnen stürzten in das Meer und kamen um, noch viel mehr
wurden lebendig in dem Gewühl niedergetreten. Und man schenkte
dem Tode keine Beachtung. Denn da die Hellenen wußten, daß
ihnen von seiten derer, die die Umgehungsbewegung über den Berg
machten, ja doch der Tod beschieden sein werde, setzten sie alle
Kraft, über die sie verfügten, gegen die Barbaren ein, ohne in
ihrer Tollkühnheit ihr Leben zu schonen.
Nun waren in
diesem Zeitpunkt bereits den meisten von ihnen die Speere
zerbrochen. Da machten sie mit dem Schwerte die Perser nieder.
Und Leonidas fällt in diesem Ringen als ein Held und mit ihm
weitere namhafte Spartiaten. Die Namen dieser Männer, die sich
im Kampfe bewährt haben, habe ich erfahren, auch die der
gesamten "Dreihundert". Auch von den Persern fielen
hier zahlreiche namhafte Männer, darunter zwei Söhne des
Dareios, Abrokomas und Hyperanthes, die von Phratagune, der
Tochter des Atarnes, dem Dareios geboren waren. Atarnes war der
Bruder des Königs Dareios und der Sohn des Hystaspes, des Sohnes
des Arsames, der dem Dareios seine Tochter und dazu sein ganzes
Vermögen gegeben hatte, weil diese Tochter sein einziges Kind
war.
Also fielen zwei
Brüder des Xerxes hier bei dem Kampf um den Leichnam des
Leonidas. Dabei kam es zu einem schweren Handgemenge zwischen den
Persern und den Lakedaimoniern, bis es den Hellenen dank ihrer
Tapferkeit gelang, den Leichnam wegzuschleppen und die Feinde
viermal in die Flucht zu schlagen. Dieser Kampf hielt so lange
an, bis die Perser mit Ephialtes erschienen. Wie die Hellenen
erfuhren, daß diese eingetroffen waren, von diesem Augenblick an
bekam das Ringen ein anderes Gesicht. Denn nun wichen die
Hellenen in die Wegenge zurück, wechselten die Stellung und
gingen hinter die Mauer zurück, und alle anderen außer den
Thebanern besetzten dichtgedrängt den Hügel. Der Hügel liegt
an der Stelle des Passes da, wo jetzt der steinerne Löwe zu
Ehren des Leonidas steht. In dieser Stellung wehrten sie sich mit
ihren Schwertern, die ihnen noch übrig geblieben waren, und mit
Händen und Zähnen. Aber sie wurden von den Geschossen der
Barbaren überschüttet, von denen ein Teil ihnen auf den Fersen
geblieben war und die schützende Mauer einriß, während der
andere diese umging und von allen Seiten auf sie eindrang.
Von den
Lakedaimoniern und Thespiern, die sich so tapfer erwiesen, soll
der heldenmütigste der Spartiate Dienekes gewesen sein. Man
erzählt, er habe von einem der Leute aus Trachis gehört, wenn
die Barbaren ihre Bogen abschießen, würden sie mit der Menge
ihrer Pfeile - so groß sei diese - die Sonne verfinstern. Da
habe er noch vor dem Kampf mit den Medern, ohne sich dadurch
erschrecken zu lassen und ohne auf die Übermacht der Meder zu
achten, ausgerufen, das sei ja alles ganz gut, was der Freund aus
Trachis verkünde. Wenn die Meder die Sonne verdunkeln, dann
würden sie im Schatten kämpfen und nicht in der Sonne. Diesen
und noch andere derartige Aussprüche, die der Nachwelt erhalten
blieben, soll der Lakedaimonier Dienekes getan haben.
Nächst ihm
sollen sich zwei Brüder aus Lakedaimon ausgezeichnet haben,
Alpheos und Maron, Söhne des Orsiphantos. Unter den Thespiern
tat sich am rühmlichsten hervor Dithyrambos, der Sohn des
Harmatides.
Sie wurden
begraben an der Stelle, wo sie gefallen waren, und für sie sowie
für diejenigen, die ihr Leben beendigt hatten, noch ehe die von
Leonidas weggeschickten Truppen abgezogen waren, ist eine
Inschrift eingemeißelt, die also lautet:
"Einst vor Zeiten hier
kämpften mit Myriaden dreihundert
Von dem Peloponnes ganze
viertausend Mann."
Diese Inschrift ist also allen
gewidmet, den Spartiaten aber eine besondere:
"Wanderer, kommst du nach
Sparta, verkündige dorten, du habest
Uns hier liegen gesehn, wie das
Gesetz es befahl."
Herodot, Historien, Siebentes Buch, Text von
Walther Sontheimer.
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