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Drei pyramidenförmige Hügel in einer riesigen amazonischen Ebene am Rio Negro – nach Auswertung der Fotos spricht alles dafür, daß es sich um eine Laune der Natur handelt
Am Fuße des Gurupira-Gebirges am Rio Negro werden drei kleine Hügel von dreieckigem Aussehen von zwei Passagieren einer zweimotorigen Comanche als etwas Weibliches angesprochen. „Da ist sie“, sagten sich der Hobbyarchäologe Roldão Pires Brandão und der Ethnologe José Alair da Costa Pires, jetzt, nachdem er zum Buddhismus übergetreten ist, Ryoku Yuhan. Es war Mittwoch vergangener Woche, als beide Männer die Region überflogen, wo sie angeblich zehn Tage vorher die Amazonaspyramiden entdeckt hatten, die von vielen Mystikern für existent gehalten und seit Jahrhunderten von Forschern gesucht werden. „Dies sind die Formationen, die wir gesichtet haben“, versicherten sie uns. Der erste Blick zeigte tatsächlich drei pyramidenähnliche, von Vegetation bedeckte Gebilde. Laut Pilot soll die höchste über 200 Meter hoch sein – d.h. größer als die jahrtausendealte ägyptische Cheops-Pyramide mit ihren 146 Metern. Als das Flugzeug näherkam, war unsere Überzeugung von einem außergewöhnlichen archäologischen Fund mitten im mysteriösen und für Überraschungen guten Amazonien dahin. Dort, wo vor 10 Jahren Mitarbeiter des Radam-Projekts einen den Geographen völlig unbekannten, 400 Kilometer langen Fluß entdeckt hatten, könnten vielleicht neue Hinweise auf menschliches Leben im letzten Jahrtausend gefunden werden. Als jedoch die Comanche den Blickwinkel änderte, war das Geheimnis um die Pyramiden gelüftet. Ab dem Moment wechselten Brandão und Yuhan das Geschlecht und nannten den Hügel „er“. „Er ist es nicht“, zweifelte Brandão, als ob es sein konnte, daß sie letzte Woche in der Nähe eines anderen unendlichen Tals am Rio Negro gewesen waren. Nach fünfzehn harten Tagen im Dschungel waren sie erschöpft und am Ende ihrer Kräfte. Sie haben nur auskundschaftet. Die Erforschung wurde auf die nächste Reise verschoben, die noch in diesem Monat stattfinden soll.
„VON GROSSER BEDEUTUNG“ – „Man muß einfach dort hingehen und es sich selbst ansehen“, faßte Brandão für VEJAs Journalisten Jaime Sautchuck zusammen, als der Flug zu Ende war. Individualist, mißtrauisch und ein Feind der sogenannten „Stubenforscher“ (im Gegensatz zu ihnen hat er keinen Studienabschluß, dafür aber über zwanzig Jahre Felderfahrung), hat der hartnäckige Brandão gute Gründe anzunehmen, daß er seine Pyramidentheorie bald beweisen wird. Die Hügel haben eigentlich klar definierte Grate, und der mittlere zeigt sogar vier ausgeprägte Flächen. Es muß allerdings noch festgestellt werden, ob sie aus einer alten, möglicherweise vorinkaischen Zivilisation stammen. Daran glaubt Yuhan fest, nachdem er die Sagen und Berichte der Nachfahren der Mogulala-Kultur gehört hat. Sie waren vor Tausenden von Jahren in diesem Gebiet angesiedelt, und laut Yuhan waren sie damals auch Herrscher über die Inkas. Alles was bis jetzt an Greifbarem vorhanden ist, sind die Bilder, die VEJA vergangenen Freitag dem Geologen Aziz Nacib Ab’Saber in São Paulo gezeigt hat. Er ist nämlich Direktor des Geologischen Instituts der Universität São Paulo und gilt als der größte Fachexperte in Brasilien. Obwohl er sofort jegliche archäologische Bedeutung des Fundes bestritt, bezeichnete Ab’Saber die pyramidenartigen Hügel als geologische Zeugnisse von „sehr großer Bedeutung“. „Es zeigt ganz ausdrücklich“, erklärt er, „daß es seit dem Ende des Tertiärs (vor 5 bis 10 Millionen Jahren), während des Quartärs (vor 1 bis 3 Millionen Jahren) und in allen Eiszeiten trockene Klimate in Amazonien gab.“ Laut Ab’Saber sind pyramidenförmige Erhebungen durchaus nichts Ungewöhnliches in sämtlichen bekannten Gipfelregionen. „Der Nordosten weist viele Inselberge dieser Art auf“, behauptet er, „aber nur im Zentrum einer Landschaft, näher an Stellen, wo Prozesse wie diese stattgefunden haben können, d.h. unter halbariden Bedingungen.“ Um seine Aussage zu untermauern, nennt Ab’Saber als Beispiel die Gebirge im Bezirk von Patos im Bundesstaat Paraíba oder die, die in der Flagge des Bundesstaates Alagoas abgebildet sind. „Solche Formen sind den Einwohnern der Region derart gegenwärtig, daß sie als Wahrzeichen verwendet werden“, kommentiert der Professor. Der Unterschied zu den fotografierten Hügeln am Rio Negro ist, daß bei diesen „ein gewaltiger klimatischer Wandel stattgefunden hat, in Verbindung mit gestiegener Luftfeuchtigkeit und relativ junger Bewaldung.“ Trotzdem hat Ab’Saber keine Zweifel: „Das ist ein Zeugnis, ein geomorphologisches Erbe eines trockenen Klimas, welches sich nun hinter einem extrem feuchten Klima verbirgt.“
SCHULTER AN SCHULTER – Der Glaube der Anhänger der Pyramidentheorie läßt sich trotzdem von solchen Argumenten nicht erschüttern. Wissenschaftliche Argumente ändern eigentlich nichts am Ziel der Forschungen des Archäologen Roldão Pires Brandão, der in Wahrheit keiner ist, von João Alair/Ryoku Yuhan oder auch des dänischen Schriftstellers Erik von Däniken – „Waren die Götter Astronauten?“ Däniken, der nicht so weltfremd wie die beiden Brasilianer denkt, träumt ebenfalls den Traum von einer zweiten Herkunft. Auch er verwendet die üblichen Quellen wie der unbekannte Indianer Tatunka Nara, der behauptet, Nachfahre der Mogulala zu sein. Däniken ist im Jahre 1977 sogar nach Amazonien gereist, um Tatunka zu interviewen. Seine Geschichte, die von Yuhan unterstützt wird, erzählt von der Herrschaft der Mogulala über die Inkas und dem Desaster nach deren erster Begegnung mit den Spaniern. Schließlich haben die Mogulala sich daraufhin in verschiedene Regionen zestreut. Ein Teil siedelt sich auf den Oster-Inseln an, ein anderer im heutigen Bundesstaat von Acre und am Rio Solimões, und eine letzte Gruppe nördlich des Rio Negro rund um das Gurupira-Gebirge. Laut Tatunka gibt es zwei Beweise, die zeigen, daß sich die Mogulala rund um den Rio Negro befanden bzw. immer noch befinden. Gurupira ist laut der Mytholgie seines Volkes eine Figur, die für das Morden zuständig war. Padauiri – Name eines nahegelegenen Flusses im Tal der angeblichen Pyramiden – ist in der Sprache der Waika-Indianer, die in diesen Gebiet leben, ohne Bedeutung. Auf Mogulala bedeutet es aber „Fluß mit bunten Farben“. Tatunka erwähnt auch geheim aufbewahrte Chroniken, die die Geschichte seines Volkes erzählen. Laut diesen Chroniken haben die Mogulala vor 12000 Jahren auf amerikanischem Boden gelebt und hatten sich vor 6000 Jahren zunächst infolge einer Sintflut und später wegen der Spanier zerstreut. Diese Auskünfte sind für Däniken nichts Neues. Noch bevor er Gelegenheit hatte, die Fotos anzusehen, hat Däniken Brandãos Entdeckung heruntergespielt. Der Grund war aber nicht, weil es sich um Hügel statt um Pyramiden handelt. „Ich kenne die Geschichte hinter diesen Pyramiden seit langem“, hat er Carlos Struwe von VEJA versichert. Obwohl es unglaublich klingt, hat der berühmte Schriftsteller Däniken mit Brandão darum gewetteifert, der erste zu sein, der den Fuß des Gurupira-Gebirges erreicht. Es ist allerdings auch wahr, daß Däniken nicht bereit ist, sich persönlich den Härten des amazonischen Dschungels auszusetzen. Statt dessen fliegt er lieber dorthin, mit seinem Freund Ferdinand Schmid, der früher als Pilot gearbeitet hat. Dieser steuerte Flugzeuge vom Typ DC-8 für Swissair und fliegt jetzt auf Dänikens Expeditionen über Amazonien. Auf der letzten Expedition, die im Mai stattgefunden hat, hat er fast das Tal des Gurupira erreicht. Laut Brandão ist aber sein Boot gesunken und damit sein gesamtes Werk verlorengegangen.
STREITPUNKTE – Es war genau jener Versuch – der dritte der Schmidschen Gruppe –, der Brandão dazu veranlaßte, seine eigene Expedition zu starten. Damals befand er sich am Ufer des Urubu-Flusses, nahe der Stadt Manaus. Dort hoffte er ein Schiff zu entdecken, welches möglicherweise den Goten oder Ostgoten gehört hatte und viele Jahre vor Christus gesunken war. Brandão hat dann seine Suche in Urubu abgebrochen, Schmids Truppe bei der brasilianischen Regierung angezeigt und sich mit Yuhan, Tatunka und einem Dutzend anderen Mitarbeitern zusammengetan, um die Pyramiden zu suchen. Brandão hat sie zwar nicht gefunden, aber er sprach über deren Entdeckung mit viel Begeisterung. Er sah sich als offizieller Entdecker der amazonischen Pyramiden und Retter der nationalen Ehre, indem er die „Schweizer überlistet hat“, wie er selbst sagte. Dies ist ein weiterer Streitpunkt unter hartnäckigen Sensationshaschern, da Däniken an Brandãos nationalethische Motive nicht glaubt. Er erwähnte Schmids zweite Expedition, die letztes Jahr stattgefunden hat, an der Brandão teilnahm, ohne sich durch „die Schweizer“ gestört zu fühlen. Laut Däniken war diese Expedition nur abgebrochen worden, weil Brandãos Waffe versehentlich losging und er sich dabei seinen Arm verletzte. Schmid und Tatunka sind dann mit Brandão in einem Aluminium-Kanu zurückgekehrt, um ihn in Barcelos ins Krankenhaus einzuliefern. Die Version des brasilianischen Forschers geht aber nicht so tief ins Detail: „Schmids Expedition ist gescheitert“, erzählt Brandão (ohne dabei zu erwähnen, daß er selbst auch daran beteiligt war), „und zwar wegen der Stromschnellen des Padauiri-Flusses und den Schwierigkeiten, sich auf solchem Terrain zu bewegen.“
UNTERSTÜTZUNG – Schließlich hat Däniken Zweifel an Brandãos Qualifikationen geübt und hält ihn in Anbetracht von Vorhaben in dieser Größenordnung für überfordert. Umgekehrt sieht Brandão in Däniken, im Gegensatz zu den meisten internationalen Wissenschaftlern, „einen äußerst seriösen Forscher“. Brandãos Erkundungen gehen aber dennoch weiter. Außer der nächsten Expedition zum Rio Negro, um das Goten- bzw. Ostgotenschiff zu finden, hofft er auch eine Unterwasserstadt zu entdecken. Seiner Meinung nach soll sie sich am Zusammenfluß der Ströme Madeira und Amazonas befinden. Dafür denkt er sich gerade eine Kapsel aus Glas und Metall aus, die ihn bis zum tiefsten Punkt des Flusses (100 Meter unter Wasser) bringen soll. Diese soll nur eine von vielen Unterwasserstädten sein, die er in der nächsten Zeit zu finden hofft. Obwohl die Pläne sich ein bißchen verrückt anhören, hält Brandão beharrlich an ihnen fest. Und er ist damit nicht allein. Seine Hauptsponsoren sind Tadeu Martins Macedo, Manager der OK-Hotelkette in Rio de Janeiro, und der pensionierte General Severino Sombra, Direktor der Schulstiftung Severino Sombra de Vassouras, ebenfalls aus Rio de Janeiro. Letzte Woche konnte General Sombra sein Glück kaum verbergen: „Viele dachten, es wäre nur ein Traum, eine Utopie von Roldão: aber nur mit Ausdauer und Zähigkeit kann man so interessante Sachen entdecken.“ Damals wußte der praktizierende Archäologe nur, daß es pyramidenartige Gebilde in Amazonien gab. Das reichte allerdings, um seinen Träumen Nahrung zu verschaffen. „Jetzt, als es endlich bestätigt wurde“, sagte Sombra, „werden verschiedene Theorien widerlegt: niemand dachte, daß eine so fortschrittliche Kultur in Amazonien existiert hätte.“ Die Suche nach Schätzen und Spuren alter Zivilisationen in Amazonien ist uralt und aufsehenerregend, aber jetzt, nachdem die angeblichen Pyramiden entdeckt wurden, wird sich laut Brandão vieles ändern. Momentan gibt es allerdings nur Fotos von VEJA, auf denen sich die Hügel, abhängig vom Blickwinkel, in Pyramiden verwandeln. Laut Ab’Saber besitzen sie Merkmale von hoher geologischer Brisanz. Es gibt außerdem Berichte von Piloten, die die Region überflogen hatten und behaupteten, Gebilde, die an Ruinen und Höhlen erinnern, hinter dem Gurupira-Gebirge gesehen zu haben. Brandão wird jetzt beweisen können, ob diese Gebilde samt Pyramiden zu einer jahrtausendealten Zivilisation gehörten, diesmal aber mit der Unterstützung der Bundesregierung und der Militärkommandantur Amazoniens.
(Foto Seite 56) Die amazonischen „Pyramiden“ mit ihren geraden Linien und glatten Flächen: Anlaß für bisher nicht dagewesene Thesen.
(Fotos Seite 58) Für den Geographen Aziz Ab’Saber gibt es kein Rätsel um die amazonischen Pyramiden: sie sind bloß eine Gruppe von Hügeln, die aus alten Überresten von Erosionen entstanden sind. Die haben sich nicht nur am Rio Negro gebildet, sondern auch in anderen Gebieten Amazoniens sowie im Nordosten. Auf dem ersten Foto konnte Ab’Saber manche dieser Gruppen am Rande der Hochebene von Guyana erkennen. Der Geograph war erstaunt, als er eine Lichtung neben einer der angeblichen Pyramiden sah (2. Foto). Das könnte nämlich als ein Zeichen für menschliches Leben an diesem Ort interpretiert werden. Alle Vermutungen lassen sich möglicherweise bestätigen oder auch nicht, wenn Brandão und Yuhan (Foto unten) diesen Monat mit einer großen Expedition in die Region zurückkehren.
(Foto Brandão: Hügel – er oder sie?)
Für wissenschaftliche Zwecke übersetzt von Rita Fabião. Originaltitel: O enigma da floresta, VEJA, 1°, August 1979, S. 56-60.
Copyright ã Manfred Hiebl, 2005. Alle Rechte vorbehalten. |
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