In seinem neuesten Film 10.000
B.C. hat Roland Emmerich wie schon in seinen letzten
Streifen The Day After Tomorrow und Independence
Day erneut ein Filmspektakel auf die Kinoleinwand
gebracht, das beim Besucher gemischte Gefühle hervorruft. So sehr die nie gesehenen Effekte den
Zuschauer auch beeindrucken mögen, was die Realitätsnähe angeht,
wurde dennoch wieder einmal dick
aufgetragen: maßlose Übertreibungen, sachliche Unwahrheiten und
historische Fälschungen rücken den Film schnell in die Nähe des Lächerlichen.
Auch wenn Szenen wie die durchgehende Herde wildgewordener
Mammuts, in deren Schlepptau die Jäger mitgeschleift werden,
einem das Herz stocken lassen, so wäre
doch jeder Mensch sofort tot, dem solches widerfährt. Der Streifen
verlangt ein mit
Wissen nicht gerade überreich begabtes Publikum, denn
nur auf dieses mag er überzeugend wirken; Menschen
mit gebildetem Hintergrund hingegen werden viele Dinge
aufstoßen. Das beginnt damit, daß bereits der Titel
Erwartungen weckt, die nicht erfüllt werden. 10.000
v. Chr. müßte uns eigentlich gedanklich auf das Ende der letzten
Eiszeit einstimmen, was der Film aber nicht tut oder
allenfalls nur anfänglich, denn der ägyptische Pyramidenbau
datiert gerade einmal in die Zeit um 2500 v. Chr., reicht also
nicht einmal halb soweit zurück, als sich erwarten
ließe. Dabei fängt alles so hoffnungsvoll an, in der
mittleren Steinzeit
nämlich, als das
Mammut noch die nördlichen Zonen bevölkerte und der Säbelzahntiger unsere Wälder
durchstreifte. Schon die Art, wie das
Mammut bejagt wird, ist falsch dargestellt. Es wurde nicht
mit dem Speer getötet, sondern in eine Fallgrube getrieben
und dann mit großen Steinen erschlagen. Das wesentlich einfacher zu bejagende Ur, der
Auerochse also, Urahn unseres Hausrindes, wurde vom Autor komplett
verschwiegen, so als wäre es schon damals ausgerottet
gewesen. Außer ein paar beißwütigen, überlebensgroßen Vögeln
–
vergleichbar nur den schon vor 2 Millionen Jahren ausgestorbenen Phorusrhacidae –
ist die Artenvielfalt im Urdschungel eher gering, also kam
es dem Regisseur darauf wohl in erster Linie nicht an,
obwohl sich ihm gerade auf diesem Terrain
die einmalige Gelegenheit geboten hätte, dem Zuschauer eine
unverfälschte, artgerechte Natur vor Augen zu führen. Gewiß,
die
Landschaften, wo
»weißer Regen«
fällt, verzaubern, aber
was die Mächtigkeit der eiszeitlichen Gletscher betrifft,
enttäuschen die Landschaftsaufnahmen mehr als sie
beeindrucken. Somit
stellt sich die Frage, ob Neuseeland hierfür wirklich der
geeignete Drehort war oder ob nicht vielleicht Grönland
besser geeignet gewesen wäre. Geradezu genial hingegen ist die Idee, Mammuts
»vor den Pflug zu spannen« und sie als Zugtiere die Lasten
schwerer Steine auf die Pyramiden hieven zu lassen. Eine
gewagte, wenn auch gänzlich unsinnige These, den
Pyramidenbau zu erklären. Selbst die tonnenschweren
Steinblöcke der Megalithbauten dürften wohl kaum mit Hilfe
von Mammuts bewegt worden sein, da dieses in Mitteleuropa
bereits um
8000 v. Chr. ausgerottet war. Ein weiterer Irrtum
ist die Annahme, daß es in Ägypten zur Zeit des
Pyramidenbaus bereits das Pferd als Reittier gegeben hätte. Ehe
das Pferd nämlich zum Reiten verwendet werden konnte, wurde es
zunächst, und zwar über Jahrhunderte hinweg, vor den
Streitwagen gespannt. Letzterer wurde aber erst um 1700 v.
Chr. von den Hyksos in Ägypten eingeführt, also lange nach
dem Pyramidenbau. Die Domestizierung des Pferdes gelang erst
relativ spät in der südrussischen Steppe, und es dauerte
noch bis um 800 v. Chr., ehe der erste Sattel das Kämpfen
hoch zu Roß ermöglichte. Auch wenn wir uns zu der Zeit, als
in Ägypten die Pyramiden gebaut wurden, bereits in der
frühen Bronzezeit befinden, so finden dennoch während der
gesamten Epoche Steinwerkzeuge weiterhin Verwendung. Erst im
Mittleren Reich (2000-1650 v. Chr.) kommt Bronze häufiger vor. Überholt ist auch die
Theorie, wonach sich die Ägypter für den Pyramidenbau
Sklaven aus Schwarzafrika besorgt haben sollen, die unter
schrecklichen Bedingungen schuften mußten. Spätere Hinweise
lieferten Belege dafür, daß die ägyptischen Arbeiter
durchaus sehr gut bezahlt waren. Der Regisseur bringt
insgesamt viele Dinge durcheinander, indem er etwa den
Kaukasus südlich der Sahara plaziert. Welche Umwege müssen
sie genommen haben, die Yagahl, die unter D'lehs Führung vom
Gebirge aus direkt in den Sahel gelangen, dort auf
Negerstämme stoßen, und dann weiter durch die Wüste wandern,
bis sie irgendwann den Nil erreichen? Schon zu Zeiten der
alten Griechen wußte man um die sogenannten Libyer,
das sind berberstämmige Nordafrikaner, oder die Äthiopier
–
mit Arabern vermischte Dunkelhäutige
–,
jedoch war damals noch kein Europäer mit Schwarzafrikanern,
die völlig isoliert
südlich der Sahara lebten, in Berührung gekommen. Die trennenden Schranken der Wüste
verhinderten nicht nur den Blutaustausch, sondern ließen auch
keinen Handel mit diesen Völkern zu. Bis zu den bahnbrechenden
Entdeckungen des 19. Jahrhunderts, etwa durch die großen
Afrikaforscher Heinrich Barth und Gustav Nachtigal, hatte
noch kein Europäer je zuvor einen Schwarzen auch nur zu Gesicht
bekommen. Zweifellos war die Sahara zur
Eiszeit grüner als heute, doch die Felsbilder der zentralen
Sahara, wie sie im Film gezeigt werden und wie man sie ähnlich in Südfrankreich und in
Nordspanien antrifft, wurden von Menschen geritzt und
gemalt, die dem kaukasischen Rassenkreis angehörten und damit
allen anderen Völkern überlegen waren. Umgekehrt hat vor der Berührung
mit den Hethitern, die indogermanischer Abstammung waren,
auch kaum ein Afrikaner jemals blaue Augen zu Gesicht bekommen. Überhaupt
ziehen sich als
Besonderheit des Films die blauen Augen der
Hauptdarstellerin Evolet wie ein roter Faden durch den Film,
womit der Regisseur sie offenbar als Urahnin der
weißen Rasse feiern möchte, vielleicht auch, damit Weiße
sich in dem Film auch wiederfinden können. Gänzlich unsinnig
ist es aber, daß sich zu jener Zeit Menschen kaukasischer Abstammung durch die Wüste gearbeitet hätten,
um mit einem schwarzen Hilfskontingent in Ägypten
einzufallen und dort in einer Art Spartakusaufstand die Sklaven und Tiere zu befreien, die zum
Pyramidenbau eingesetzt wurden. Hier ist dem Drehbuchautor
augenscheinlich die Fantasie durchgegangen, indem er offenbar der
Meinung ist, daß es schon zu jener Zeit
Menschenrechte gegeben habe. Wenn nicht sogar das die Botschaft des Filmes
ist! und zwar insofern, als er die Gleichheit aller Menschen
propagiert. Es muß sich dabei allerdings mehr um ein Märchen der Jetztzeit
handeln als es der Vergangenheit entspricht, denn noch um 1800
wurden Schwarze gar nicht als
Menschen angesehen, sondern man glaubte, frei auf sie Jagd machen zu
dürfen wie auf wilde Tiere. Auch der Mythos vom Edlen Wilden
läßt sich unschwer aus dem
Gedankengut des Regisseurs wegdenken. Man hätte den
Film sicher auch unter dem Titel
Alle Menschen werden Brüder
oder
Seid umschlungen, Millionen
gut vermarkten können, denn mit der Zeit um 10000 v. Chr.
hat er herzlich wenig zu tun. Außer den verfilzten Haaren
stimmt beinahe nichts an der originalen Tracht und Kleidung, die die
Menschen damals trugen.
Auch psychologisch ist der Film nichts weiter als eine Themaverfehlung, die nicht einmal einer Abiturarbeit
standhält. Die wahre Seite
des Menschen wird so gut wie überhaupt nicht gezeigt, außer in
einigen unbedeutenden Kleinigkeiten, wenn nämlich das Essen
hinuntergeschlungen wird und und
es dabei gehörig an gesitteten Tischmanieren fehlt. Es entgeht
uns in dem Film völlig, daß der damalige Mensch
»schlimmer war als eine Bestie«
und mit keiner anderen Kreatur zu vergleichen. Statt
dessen wird mit geistreichen und philosophischen Dialogen
aufgewartet, die man der einfachen Natur der damals
Lebenden, die von Dummheit, Mystizismus und Aberglauben
bestimmt war, gar nicht abverlangen darf. Freilich wird auf
eine relativ unbeholfene Art versucht, einen Hauch von
Spiritualität oder Übersinnlichem zu vermitteln. Wenn
allerdings die Auferstehung von den Toten herhalten muß, um
dem Film zu einem Happy End zu verhelfen, dann wird der
Zuschauer schon etwas befremdet oder ungläubig dreinschaun.
Er könnte sogar beleidigt sein,
daß man ihn derart unterschätzt. Offenbar hat das Publikum verlernt,
am Tragischen Gefallen zu finden, und dadurch sind die
Filmemacher versucht, alles
ins Komische zu verkehren. Wenn es etwa darum geht, zwischen
dem
eigenen persönlichen Glück und dem Wohl der Allgemeinheit zu
wählen, wird dem Allgemeinwohl, ganz gegen die egoistische
Natur des Menschen, der Vorzug eingeräumt. Großmütig leistet
D'leh auf seine große Liebe Verzicht, riskiert, da er ja den
Ausgang nicht kennt, daß Evolet von zwei Mammuts in Stücke
gerissen wird, und würde sie sie sozusagen uneigennützig
opfern, um den Makel seiner Vergangenheit auszutilgen. Historische Filme
eignen sich vorzüglich zur Vergangenheitsbewältigung, werden
um den Preis einer historischen Fälschung dazu mißbraucht,
um die ethnisch-moralischen Schuldgefühle der amerikanischen
Gesellschaft, insbesondere in bezug auf die Sklavenhaltung der
Schwarzen, auf dem Rücken des Kinobesuchers auszutragen. Die
Dialoge sind dazu angetan, einerseits anzuklagen und
andererseits die Werte der westlichen Gesellschaft,
Frieden und Freiheit, zu vermitteln. Ägypten steht als
Symbol für das Böse, dessen äußerer Ausdruck
sich im Pyramidenbau widerspiegelt, der ein Instrumentarium
der Zwangsherrschaft eines totalitären und größenwahnsinnigen
Regimes ist und sich gegen den Freiheitswillen der Völker
richtet. Diese schließen sich unter der Führung der
Kaukasier, symbolisch für die Amerikaner, zu einer Allianz
gegen ihre gottgleichen, bezeichnenderweise
»weißen«
Unterdrücker zusammen. Die Unterdrückten werden von ihren
Befreiern zum bewaffneten Widerstand aufgestachelt. Die
Befreiung gelingt, der Tyrann fällt, die Sklaven werden
befreit, die Symbole der Macht umgestürzt. Aus Jägern werden
friedliche Ackerbauern, denn als Lohn und Geschenk erhalten
die Kaukasier Weizengräser, womit ihr hartes Dasein für
immer beendet ist. Der Held hat ein schweres Erbe
anzutreten, das nicht nur im Erringen der Weißen Lanze
besteht, mit der Brautwerbung und Führungsanspruch
verbunden sind, sondern auch, weil er das Vermächtnis seines Vaters
zu erfüllen hat, der, wie wir erfahren, nicht mehr zu seinem Stamm
zurückgekehrt ist und daher in den Augen seines Volkes als
Feigling und Verräter galt. Der wahre Grund seiner
Mission, neue Nahrungsquellen zu erschließen, wurde ihm von seinem eifersüchtigen
Rivalen Tic'Tic verschwiegen. Woran der Vater gescheitert
ist, daran muß der Sohn sich nun messen lassen. Es bedarf dazu eines
Auserwählten,
»der mit dem
Speerzahn spricht« und das Geheimnis
der Wegweisung durch Orion, den Himmelsjäger, gelüftet hat. Der
Held hat einem Säbelzahntiger das Leben gerettet, und dieser
erweist sich dankbar und verschont ihn und seine Freunde bei einer zufälligen
Begegnung. In den Augen der primitiven Wilden wird D'leh dadurch zum Messias, dem alle Völker bereitwillig
folgen, wie sie einst seinem Vater gefolgt sind. Gemeinsam durchqueren sie
die Wüste, und wieder tritt der Held als der Erretter
aus
schwerer Not auf, indem er seine Schutzbefohlenen vor dem
Verdursten bewahrt. Da er das heilige, wie einen Augapfel
gehütete Geheimnis der Ägypter, das die Richtung angebende,
nach Süden weisende Schwert des Orion, ausgekundschaftet hat, gelingt ihm der
Befreiungsfeldzug gegen Ägypten. Welch ein Augenblick, welch
eine Erleichterung, als unvermutet hinter einer Sanddüne die
roten Segel auftauchen, von Schiffen, die lautlos auf den
spiegelnden Wasserflächen des Nils dahingleiten. Beinahe
noch droht das Schicksal eine unglückliche Wende zu nehmen. Evolets Entführer schießt den tödlichen Pfeil, D'leh rammt
dem schon Sterbenden daraufhin die Weiße Lanze ins Herz, aber auch das kann Evolet nicht retten. Sie stirbt, und mit ihr die Alte
Mutter, die Schamanin, die noch im Sterben ihre ganze Kraft
in die Wiederbelebung Evolets steckt. Somit ist Evolets
Hinscheiden
nichts anderes als die Wiedergeburt der Alten, ein neues
Leben, das
erst mit ihrem Tod möglich wird und als neuer Hoffnungsschimmer
auf eine bessere Welt
aufscheint. Im Lager der Feinde werden durch
Zufall die Wundmale auf der
Handrückenfläche der Hauptdarstellerin bemerkt, welche in Form des
Sternbildes Orion den ägyptischen
Priestern kommendes Unheil ankündigen, das Ende ihrer Macht. Dieses
Symbol läßt aber nicht nur erschrecken, sondern steht
stellvertretend für die innere Zusammengehörigkeit, das
verbindende Band der Liebe, das wie ein mystischer Wegweiser
über den Liebenden schwebt, egal, wo sie sich aufhalten
mögen. Begnügt man sich
mit dem reinen Unterhaltungswert dieses Fantasy films und
gibt den Bildungsanspruch auf, so kann man ihn, zumal er bis
zum Ende spannend bleibt und auch aufgrund der überzeugenden
Animationen, durchaus zur
Ansicht empfehlen, wobei man sich aber stets bewußt
sein sollte, daß der Produzent Roland Emmerich
ausschließlich in dem Auftrag handelt,
Gewinn einzuspielen, und nicht etwa, zu überzeugen.
Nun aber schon von einem Niedergang des Computerfilms zu
reden, dazu ist es noch zu verfrüht. Ach ja
– als das
Mädchen zu meiner Linken über der Schlußszene hörbar zu
schluchzen anfing, da war auch ich ein wenig gerührt.
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