Der Alexander des Oliver Stone -
Eine Filmkritik
Selten
ist ein Streifen von so enormer filmgeschichtlicher Bedeutung zur Aufführung
gelangt wie die Inszenierung des Alexander von Oliver Stone, die sich
wahrlich eng an historisch Überliefertes hält –
allein das macht schon Eindruck. Man kann aber einer Alexanderbiographie,
die gekennzeichnet ist von einer überfüllten Varietät an Ereignissen, nicht
in einer dreistündigen Abhandlung gerecht werden, bei der wesentlich zum
Verständnis Beitragendes dem Zuschauer vorenthalten wird. Daß jeweils gut
recherchiert wurde, muß man dem Regisseur vollends zugestehen, daß dem
Publikum, das intellektuell möglicherweise sogar überfordert wird, eine
Kinoshow geboten wird, die mit modernsten Mitteln ein anschauliches und
realistisches Bild der Vergangenheit entwirft, zurück bis zu den Wurzeln der
abendländischen Kultur, kann mit dem Beifall eines jeden Historikers nur
begrüßt werden. Sowohl die Kostüme, das Bühnenbild und die Landschaftsbilder
an Originalschauplätzen, ob nun im Hindukusch oder Industal, sind sicher so
originalgetreu wie möglich ausgewählt bzw. nachempfunden worden. Auch die
Atmosphäre des Schlachtengeschehens, welches die ganze Grausamkeit des
Krieges widerspiegelt, hat der Regisseur bestens einzufangen gewußt, Dinge,
die nicht rekonstruiert werden können, wie etwa die Musik, sind mit den
Klängen eines Vangelis gegen ein modernes äquivalentes Tonkolorit
ausgetauscht worden. Auffallend, doch längst nicht verwunderlich ist, daß
keine Starbesetzung an Hollywoodgrößen die Rollen vertritt, sondern mehr
oder minder unbekannte Schauspieler des Laientheaters Akteure des Geschehens
sind, die ihren Vorzug in erster Linie in ihrer Bezahlbarkeit haben, dafür
aber an schauspielerischen Qualitäten deutlich hinter Bekannteren
zurückstehen. Das Thema selbst, es war gewiß nicht einfach abzuhandeln, da
uns Heutigen die Einfühlung in die griechische Denkweise, die ihren Ausdruck
in einer Vielzahl skurriler Gottheiten und fremder Kulte findet, fehlt, für
uns auch zu sehr ins Mythologische verlagert ist, als daß wir in direktem
Bezuge etwas damit anzufangen wüßten. Das Drehbuch als solches, von dem der
Urheber vielleicht den Anspruch erheben mag, etwas für moderne Menschen
durchaus Verwertbares auf die Leinwand gebracht zu haben, ist allerdings als
ein verunglückter Versuch zu werten, Probleme von damals auf Probleme von
heute umzumünzen. Es kommt uns so vor, als würde eine Wagner-Inszenierung im
Frack vorgeführt, zwar nicht mit Bezug auf das Bühnenbild, doch auf die
wesentlichen psychologischen Momente der Handlung. Viel allzu Gegenwärtiges
ist eingeflossen, angefangen von den Ausdrucksformen der Homosexualität bis
hin zu den Problemen von Rassismus und Völkerverständigung. Man gewinnt den
Eindruck, als sei dieser Alexander ein Vorreiter unserer modernen
Welt, wenngleich die Aufführung sich schwertun dürfte, auf ein
demokratisches Verständnis hinzuwirken. Religiöse Konflikte bleiben bewußt
ausgespart, da die Toleranz der Griechen in bezug auf Religion
sprichwörtlich war. Sie wiesen fremden Göttern, wie später auch die Römer,
einfach die Attribute ihrer eigenen Gottheiten zu. So dürfte Ahura Mazda,
der Gott des persischen Feuerkults, weniger dem Zeus als dem griechischen
Gott des Feuers und der Schmiedekunst, Hephaistos, gleichgesetzt worden
sein. Aber dennoch, Alexander war ein fleißiger Bekenner der
Götterverehrung, was sich durch seine in der Realität zahlreich
vorgenommenen, im Film jedoch komplett ausgeklammerten Opferhandlungen
zeigt. Daß der Film von einer Vermittlung der Methodik zur Eroberung der
Welt abrückt, sich mit antiker Strategie und Belagerungstechnik nur sekundär
beschäftigt und statt dessen ein Psycho-Melodram des Wechselwirkens höchst
komplexer Persönlichkeiten daraus macht, wird weder dem Alexanderroman noch
Alexanders Biographen und Chronisten gerecht, die in erster Linie seine
militärischen Erfolge zu deuten suchten. Es ist einfach nicht wahr, wie im
Buch zum Film behauptet wird, daß wir über die Dialoge praktisch nichts
wüßten, im Gegenteil, viele berühmte Aussprüche Alexanders sind minutiös von
Plutarch und anderen gesammelt und der Nachwelt überliefert worden. Es
schmerzt, nicht einmal den berühmten Ausspruch des Diogenes: „Geh mir nur
ein wenig aus der Sonne!“ zu vernehmen. Der provozierende Satz des Kleitos,
der damit seinen Tod einleitete, indem er die folgenden Verse des Euripides
aus der Andromache zitierte: „Weh, welch schlimme Sitte herrscht in
Griechenland!“, ist ebensowenig zu hören wie die in Stein gemeißelten Worte
des Kyros, als Alexander an dessen Grabe in Pasargadae stand: „Mißgönne mir
nicht das bißchen Erde, das meinen Leichnam bedeckt.“ Es fehlen viele
gewichtige Worte, die nur so und nicht anders gesagt werden können, weil sie
Dichtungen entnommen sind. Der Film ist auf den völlig Ungebildeten
zugeschnitten, dem ein anspruchsvollerer Dialog nicht zugemutet werden darf,
weil er das Hochtrabende nicht zu begreifen imstande ist. So kreisen statt
dessen diese ganzen Pseudoreden, wie man sie aus seiner Alltagsumgebung
gewohnt ist, immer wieder um die gleichen Themen Größenwahn, Ruhmsucht und
Männerliebe. Man vermag sich offenbar heute nicht einmal mehr wahre
Männerfreundschaft vorzustellen, ohne dahinter gleich eine homoerotische
Verbindung zu wittern, wahrlich ein Armutszeugnis unserer aufgeklärten,
sexuellen Schranken nicht mehr unterworfenen Zeit. Dabei ist Liebe unter
Männern durchaus nichts Unnatürliches, wenn sie die sexuelle Komponente
wegläßt. Eine Freundschaft unter Männern war zu jeder Zeit, nur nicht zu der
unsrigen, eine Bereicherung des Lebens. Man hat sich das Entstehen dieser
Männerbeziehungen wie folgt vorzustellen: einmal erwuchsen sie daraus, daß
sich fast zwangsläufig schon aus dem Soldatentum Jugendfreundschaften
ergaben, weil man sich gegenseitig im Kampfe beistand, beschützte,
freikämpfte und Seite an Seite, füreinander und miteinander,
Extremsituationen meisterte; all das verbindet; zum anderen haben junge
Soldaten oft noch keine Frauen, sie sind also mehr mit sich selbst
beschäftigt, woraus sich fast ebenso zwangsläufig ergibt, daß sie sich
beinahe ausschließlich mit dem eigenen Geschlecht befassen müssen, solange
sie die Bereicherung durch das andere nicht kennen. Die Beweise, die für
Alexanders homoerotische Veranlagung aufgeführt werden, sind äußerst
schemenhaft und basieren auf nur wenigen greifbaren Indizien. Daß Alexander
seinen treuen Freund und General Hephaistion beweint, den er entgegen der
Darstellung im Film nicht mehr lebend antraf, mit ihm auch seinen treuesten
Kampfgefährten verlor, der ihn im Streit niemals im Stich ließ und mit ihm
durch dick und dünn gegangen ist, ist mehr als verständlich, und daß er
danach drei Tage keine Speisen anrührt und keinen sehen will, muß nicht als
Beweis für eine homoerotische Verbindung zwischen den beiden gewertet
werden, sondern entsprach ganz dem Ritual der letzten Ehre, die man einem
Toten erwies. Wurde doch auch Hephaistion mit einer Perserin namens Drypetis
verheiratet, was zeigt, daß offenbar auch er ganz normale Neigungen besaß.
Das Infame des Regisseurs im Film ist, daß er eben diesen Tatbestand
gänzlich wegläßt. Für ihn ist Hephaistion nur der unliebsame Konkurrent im
Kampf zwischen ihm und Roxane um Alexanders Liebe. Daß das Weinen bei
seelischer Erregung als Ausdruck von Schwäche gewertet wird, ist nichts als
ein besonderer Wesenszug barbarischer Völkerschaften, für den feinsinnigeren
Griechen muß das nicht unbedingt gegolten haben. Zur Erinnerung: auch Achill
weinte um Patroklos. War dieser deswegen auch Homoerotiker? Daß die
Filmbranche als solche sich gern mit diesem Genre umgibt, legt eigentlich
offen, daß in ihren Kreisen viele davon beheimatet sind. Auch die Bedeutung
des Kusses, speziell unter Männern, wird wohl anhand der historischen
Vorlagen falsch interpretiert, küssen sich doch noch heute Slawen und Araber
in der Öffentlichkeit ganz ungeniert. Wenn es zu den gesellschaftlichen
Gepflogenheiten im alten Griechenland gehörte, sich unter Männern zu küssen,
darf daraus nicht zwingend die falsche Schlußfolgerung gezogen werden, daß
damit sexuelle Erregung einherging. Plutarch berichtet uns, daß Alexander
alle seine Generäle, die ihm durch die Proskynese huldigten, mit einem Kuß
bedachte, wobei einer aus der Rolle fiel, weil er sich dem Kniefall, der
nicht der makedonischen Sitte entsprach, widersetzte. Als Alexander den
Bagoas küßte, seinen Liebling unter den Chorschauspielern, der im Film als
sein fortwährender Diener gezeigt wird, war er gänzlich vom Weine berauscht,
und er tat dies auch nur, weil seine ebenso betrunkenen Makedonen unter
Beifallskundgebungen dies von ihm verlangten. Dazu muß man sagen, daß
Alexanders Feinde unter seinen Biographen ihm dadurch übel wollten, indem
sie solches über ihn berichteten. Was Alexander von der Anklage der
Homophilie eher freispricht, ist die Stelle bei Plutarch, wo ein gewisser
Theodoros aus Tarent durch Philoxenos fragen läßt, ob er ihm zwei ausnehmend
schöne Knaben abkaufen wolle, woraufhin Alexander antwortet: „Welche
Schändlichkeit hat denn dieser Philoxenos jemals bei mir entdeckt, daß er
sich erdreistet, für mich solche Schandkerle auftreiben zu wollen!“ Den
Philoxenos hieß er, den Theodoros samt seinem Angebot zum Henker zu
schicken. Ebenso grob ließ er auch den Hagnon abfahren, der ihm einen
vielbewunderten Knaben aus Korinth kaufen und zu ihm bringen wollte.
Alexander scheint aber diese zu seiner Zeit übliche Praxis immerhin geduldet
zu haben, wenngleich er selbst eher nichts damit anzufangen wußte. Menschen
wie er, die sich in Enthaltsamkeit üben, was bei Plutarch bezeugt ist,
müssen sich nicht selten solch üble Nachreden gefallen lassen. Insofern ist
der Film an dieser Stelle nicht nur ungerecht, ja das ganze
Schwulenpanoptikum an Schauspielern macht einem den ganzen Film sogar
zuwider. Gerade die Person des Bagoas erweckt den Anschein, als sei sie
soeben einer Transvestitenschau entlaufen, und selbst der Hauptdarsteller,
Colin Farrell, fügt sich aufgrund seines zweifelhaften Äußeren ganz gut in
diese Clique ein, für einen Alexanderdarsteller eignet er sich bisweilen
ganz und gar nicht, wirkt eher wie eine Mischung aus einem griechischen
Adonis und dem Schnulzensänger Costa Cordalis. Die äußere Erscheinung
Alexanders wird am besten durch die Statuen des Lysipp wiedergeben, eines
bedeutenden Bildhauers aus Sikyon, der vor allem Bronzebildnisse schuf.
Seine Haut war weiß, nicht wie Apelles von Kolophon ihn darstellte, der ihn
dunkler und bräunlicher malte. Er besaß nach Arrian und Curtius Rufus einen
makellosen athletischen Körper, der dem schmalschultrigen Farrell gänzlich
abzusprechen ist. Nahm doch bei den Griechen Gymnastik stets einen hohen
Stellenwert ein. Griechische Bildhauer schufen Plastiken, wo jede
Muskelfaser sich originalgetreu abbildete, unserem Helden hingegen scheint
jegliche athletische Ausprägung zu fehlen. Ließ sich wirklich kein Besserer
finden als dieser farblose Colin Farrell? als Schauspieler gerade einmal
Mittelmaß. Was Alexander vermissen läßt, gleicht indes seine Mutter
Olympias, Anhängerin des orphischen Kultes und der dionysischen Mysterien,
in Person der Angelina Jolie wieder vollständig aus, eine wirklich
wunderschöne leidenschaftliche Frau, die ihre Rolle einer machtbesessenen
Mutter, die für ihren Sohn kämpft, nicht besser hätte spielen können. Roxane,
die erste Gemahlin Alexanders, überzeugt mehr durch ihre Nacktszenen und
ihre wilde Eifersucht als durch Schönheit, gleicht sie doch eher einer
Barbarin als Alexanders Mutter. In Wirklichkeit war Roxane, nach der
Gemahlin des Dareios, die schönste Frau, welche die Makedonen in ganz Asien
gesehen haben, und deshalb hat Alexander sie vermutlich geheiratet. Wie
jeder Grieche war auch er süchtig nach Schönheit. Das zum Verständnis der
Größe von Alexanders Taten Wichtige an dieser Verfilmung wäre gewesen, die
Mittel und Wege für die schrittweise Eroberung der ganzen damals bekannten
Welt aufzuzeigen, aber genau davor hütet der Regisseur sich bewußt. Ihm
kommt es in erster Linie darauf an, Alexander, nach dem Vorbild von Goethes
„Die Leiden des jungen Werthers“, als psychisch Kranken hochzustilisieren,
der sich auf der permanenten Flucht vor seiner Mutter befindet, er will
ausschließlich seinen Hang zum Pathologischen und zur Selbstapotheose ins
Visier nehmen, den philosophisch gebildeten Machtmenschen nachzustellen
gelingt ihm indes kaum. Die Reihe der Eroberungen und Schlachten bis zu der
von Gaugamela, der alles entscheidenden Schlacht, die ihm den endgültigen
Sieg einbringt, wir nur angerissen: die erfolgreichen Schlachten am Granikos
und bei Issos, die Belagerung und Einnahme von Tyrus und der Sieg in Ägypten
werden mit einer Eleganz übergangen, als seien sie selbstverständlich
gewesen. Auch bleibt die Durchtrennung des Gordischen Knotens und Alexanders
Besuch bei den Amazonen, egal ob nun Sage oder nicht, ausgespart. Man
erfährt nichts Eigentliches über Persepolis, Susa und Pasargadae, den großen
Stätten persischer Geschichte, man erhält keine echte Vorstellung von der
Fahrt des Nearchos, von dem Drama, das sich in Gedrosien abgespielt hat. Die
einzige weitere Schlacht ist die gegen Poros mit seinen Elefanten, die aber
auch gegenüber der Darstellung der Schlacht bei Gaugamela stark abfällt,
durch Zeitlupenaufnahmen und Verfremdungseffekte verwässert wird. Die
Bedeutung der Phalanx für das siegreiche Kriegsgeschehen sowie die großen
militärischen Leistungen von Alexanders Generälen Seleukos, Antigonos,
Antiochos, Ptolemaios und Parmenides werden überhaupt nicht
herausgearbeitet, lediglich, wenn es um das Abhalten von Festgelagen geht,
glänzen sie durch ihre Trunksucht. Der Tenor des Films liegt eben, ohne daß
ich mich wiederholen möchte, eindeutig auf dem Kult um Alexanders Person in
allen ihren positiven und Schattenseiten, in seiner Zerrissenheit zwischen
Muttersöhnchen und Nacheiferer Achills. Aber gerade in letzterem kann der
Film den Erfordernissen überhaupt nicht gerecht werden, denn die Idee eines
Achilles, der von dem Gedanken einer Welteroberung und Völkerverständigung
himmelweit entfernt ist, könnte, abgesehen vom persönlichen Heldentum,
wesensverschiedener nicht sein. Über all dem darf eines nicht übersehen
werden, daß Alexander zwar aus heutiger Sicht ein Visionär, aus der Sicht
seiner Zeit aber ein Vaterlandsverräter war, der sich in persische Gewänder
kleidete und dadurch, daß er die persische Kultur der griechischen
gleichberechtigt gegenüberstellte und sie mit ihr zu vermischen suchte, den
Untergang Griechenlands einleitete. In der Tat haben auch die späteren
Parther von den Seleukiden die Militärkunst übernommen, was sie zu
Angstgegnern der Römer werden ließ. Was dem Achämenidenreich über die
Jahrhunderte nicht gelang, vollzog Alexander mit einem Pinselstrich.
Eingedenk all dieser Vorbehalte und Ungereimtheiten sollte man ihn sich aber
dennoch unbedingt ansehen, diesen Film, denn er zeigt bei allem Mißstimmigen
immer noch großes Kino.
Copyright © Manfred Hiebl, 2004. Alle Rechte vorbehalten.