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Buch I

    HIER BEGINNT DAS ERSTE BUCH ÜBER DIE TATEN DER FRANKEN WELCHE NACH JERUSALEM PILGERTEN
 
 

I. Das Konzil welches in Clermont abgehalten wurde

m Jahre 1095 nach der Menschwerdung unsres Herrn, als Heinrich, der sogenannte Kaiser, Deutschland regierte und König Philipp in Frankreich, weitete sich aufgrund ins Wanken geratenen Glaubens das Böse aller erdenklichen Art über ganz Europa aus. Papst Urban II. regierte damals in der Stadt Rom. Er war ein in seinem Leben und seinen Gewohnheiten bewundernswerter Mann, der bestrebt war, die Stellung der heiligen Kirche besonnen und tatkräftig immer weiter zu erhöhen. Ferner sah er, daß der Glaube der Christenheit von allen, sowohl vom Klerus als auch von der Laienschaft, mit Füßen getreten und der Frieden gänzlich mißachtet wurde, denn die Fürsten der Länder befanden sich in unablässigem Kriegszustand, indem sie sich mit dem einen oder dem anderen befehdeten. Er sah, daß die Menschen sich gegenseitig irdische Güter wegnahmen, daß viele zu unrecht gefangengenommen und auf das barbarischste ins schmutzige Verliese geworfen und zu unverhältnismäßig hohen Summen wieder freigekauft wurden oder dort durch drei Leiden, nämlich Hunger, Durst und Kälte gepeinigt und klammheimlich umgebracht wurden, daß heilige Stätten geschändet, Klöster und Paläste ein Raub der Flammen, nichts Sterbliches verschont und Menschliches und Göttliches verhöhnt wurden.
    Als Urban hörte, daß der innere Teil Romaniens von den Türken besetzt und die Christen durch einen grausam vernichtenden Überfall unterjocht worden waren, überquerte er, von leidenschaftlicher Frömmigkeit zutiefst bewegt und von Gottes Liebe angetrieben, das Gebirge und stieg hinab nach Gallien und ließ in Clermont, wie die Stadt heißt, in der Auvergne, ein Konzil einberufen. Dieses Konzil, welches durch Boten, die in alle Himmelsrichtungen ausgeschickt wurden, entsprechend angekündigt worden war, setzte sich aus 310 Mitgliedern zusammen, sowohl Bischöfen wie Äbten, die das Crozier trugen.
    Am festgesetzten Tag versammelte Urban sie um sich und gab in einer überzeugenden Rede den Grund der Versammlung bekannt. Mit der sorgenvollen Stimme einer duldsamen Kirche berichtete er von ihrer großen Drangsal. Er hielt eine sorgfältig ausgearbeitete Strafpredigt über die namhaften, zum Rasen verleitenden Versuchungen dieser Welt, in welcher der Glaube, wie oben gesagt worden, gedemütigt worden war. Dann ermahnte er als Bittsteller alle, die Kraft ihres Glaubens wiederaufleben zu lassen und in ihrem Innern eine wilde Entschlossenheit wachzurütteln, den Machenschaften des Teufels zu widerstehen und zu versuchen, der heiligen Kirche, die von den Gottlosen entsetzlich geschwächt worden war, ihren altehrwürdigen Status zur Gänze zurückzuerstatten.

II. Urbans Dekret auf dem besagten Konzil

    "Liebste Brüder," sagte er, "ich, Urban, oberster Pontifex und mit Gottes Duldung Prälat der gesamten Welt, bin in dieser Zeit drängendster Not zu Euch, den Dienern Gottes in diesen Gebieten, als Überbringer göttlicher Ermahnung gekommen. Ich hoffe, daß jene, die Verwalter geistlicher Ämter sind, rein und ehrlich und frei von Heuchelei angetroffen werden. Denn wenn einer verschlagen und unredlich ist und sich weit von einem Maß an Vernunft und Gerechtigkeit entfernt hat und das Gesetz Gottes vereitelt, dann werde ich mir mit göttlicher Unterstützung Mühe geben, ihn zurechtzuweisen. Denn der Herr hat Euch zu Haushaltern seiner Hofhaltung gemacht, auf daß Ihr ihn, wenn die Zeit naht, mit Nahrung maßvoller Würze versehen könnt. Ihr werdet freilich selig, wenn der Herr des Verwalteramtes Euch das tun sieht.
    Man nennt Euch Hirten; seht zu, daß Ihr nicht die Arbeit von Gedungenen verrichtet. Seid wahre Hirten, die stets ihren Krummstab in Händen halten; und schlafet nicht, wachet nach jeder Seite über die Herde, die Euch anvertraut ist. Denn wenn aus Sorglosigkeit oder Nachlässigkeit ein Wolf ein Schaf hinwegträgt, werdet Ihr sicher nicht nur des Lohns, der von unserm Herrn für Euch bereitlag, verlustig gehen, sondern Ihr werdet, nachdem Ihr zuerst mit den Ruten des Liktors geschlagen worden seid, fristlos in den Aufenthalt der Verdammten geschleudert. Mit den Worten des Evangeliums: "Ihr seid das Salz der Erde." Doch wenn Ihr fehlt, wie soll dann das Salzen geschehen? O wie viele Menschen müssen gewürzt werden! Es tut not, daß Ihr die Unwissenden, die allzusehr nach den Lüsten der Welt trachten, mit dem Linderung verschaffenden Salz Eurer Weisheit bestreut. Sonst werden sie durch ihre Vergehen verfaulen und unbestreut angetroffen werden, wenn der Herr zu ihnen spricht. Denn wenn Er wegen Eurer trägen Pflichterfüllung Würmer in ihnen entdeckt, d.h. Sünden, wird Er sie, die Er verschmäht, in den Abgrund der Hölle werfen lassen. Und weil Ihr nicht in der Lage sein werdet, Ihm einen solchen Verlust zurückzuerstatten, wird Er euch, von Seinem Urteil dazu verdammt, stracks aus Seiner Liebe Allgegenwart verbannen. Denn einer, der ausstreut, sollte klug, weitblickend, maßvoll, gelehrt, friedensstiftend, wahrheitssuchend, fromm, gerecht, unparteiisch und rein sein. Denn wie sollen Ungelehrte andere zu Gelehrten machen, Maßlose andere maßvoll und Unreine andre rein? Wie kann einer, der den Frieden haßt, Frieden herbeiführen? Oder wenn einer befleckte Hände hat, wie kann der jene reinwaschen, die durch andere Verunreinigung beschmutzt sind? Denn es steht geschrieben: "Wenn aber ein Blinder den andern führt, so fallen sie beide in die Grube." Tadelt folglich zuerst Euch selbst, so daß Ihr dann ohne Vorwurf jene, die unter Eurer Obhut stehen, zurechtweisen könnt. Wenn Ihr wahrhaftig Freunde Gottes heißen wollt, dann tut frohen Herzens das, wovon Ihr wißt, daß es Ihn erfreut. Seht insbesondere zu, daß die Angelegenheiten der Kirche getreu ihrem Gesetz bewahrt werden, so daß simonische Häresie durch nichts unter Euch Wurzeln schlägt. Sorgt dafür, daß Verkäufer und Käufer, von den Peitschenhieben des Herrn gegeißelt, elendiglich hinausgetrieben werden durch die engen Pforten in die äußerste Verdammnis. Haltet die Kirche in all ihren Rängen gänzlich frei von weltlicher Macht, veranlaßt, daß der Zehnte aller Gaben der Erde gewissenhaft an Gott abgetreten wird, und laßt nicht zu, daß er verkauft oder einbehalten wird.
    Wer auch immer sich an einem Bischof vergriffen hat, solle verflucht sein. Wer immer sich an Mönchen oder Priestern oder Nonnen und ihren Dienern oder Pilgern und Händlern vergriffen hat und sie beraubt hat, möge verflucht sein. Diebe und wer Häuser niederbrennt und ihre Komplicen sollen aus der Kirche verbannt und exkommuniziert werden. ‚Danach müssen wir besonders erwägen,‘ sagte Gregor, ‚wie schwer derjenige bestraft werden muß, der einem anderen etwas stiehlt, ob er etwa zu Höllenstrafen verdammt ist, weil er mit dem eigenen Besitz nicht freigebig umgegangen ist. Denn so geschah es dem Reichen in der bekannten Geschichte aus dem Evangelium. Er wurde nicht bestraft, weil er einem anderen etwas stahl, sondern weil er die Reichtümer, die er empfangen hatte, schlecht verwendete.
    Durch diese Sünden, liebste Brüder, hattet Ihr die Welt lange Zeit in Unordnung geraten sehn und ganz besonders in manchen Teilen Eurer Provinzen, wie man uns erzählt hat. Vielleicht aufgrund unserer eigenen Schwäche, Recht zu sprechen, wagt sich kaum noch einer, der auf Sicherheit baut, auf den Straßen zu reisen, aus Angst, am Tag von Räubern heimgesucht zu werden oder in der Nacht von Dieben, mit Gewalt oder Hinterlist, zu Hause oder draußen. Und deshalb sollte der Gottesfriede, wie er genannt zu werden pflegte, der vor langer Zeit von den heiligen Vätern eingeführt wurde, erneuert werden. Ich rate jedem von Euch dringend, ihn in Eurer eigenen Diözese strikt durchzusetzen. Doch wenn einer, der von Habgier oder Hochmut befallen ist, diesen Frieden bereitwillig bricht, möge er sich kraft Gottes Amtsgewalt und mit Billigung der Entscheide dieses Konzils unter die Exkommunizierten einreihen."

III. Urbans Ermahnung hinsichtlich einer Pilgerfahrt nach Jerusalem

    Als diese und zahlreiche andere Angelegenheiten zufriedenstellend geregelt waren, dankten all jene, die anwesend waren, der Klerus und ebenso das Volk, Gott von Herzen für die Worte Papst Urbans und versprachen ihm ergeben, daß seine Erlasse genau eingehalten würden. Doch der Papst fuhr sogleich fort, daß eine andere Drangsal, die nicht minder, sondern größer war als die ebengenannte, sogar von der schlimmsten Sorte, die Christenheit aus einem anderen Teil der Welt umgab. Er sprach: "Weil Ihr Ihm, o Söhne Gottes, gelobt habt, untereinander Frieden zu halten und für die Rechte der heiligen Kirche aufrichtiger als bisher treu einzustehen, verbleibt Euch eine wichtige Aufgabe, die jüngst durch göttlichen Eingriff wachgerüttelt sich sowohl für Euch als auch für Gott ziemt, bei der Ihr die Ernsthaftigkeit Eures guten Willens erweisen könnt. Denn Ihr müßt euch sputen, um Euren im Osten lebenden Brüdern, die Eure Unterstützung brauchen, um die sie oft dringend nachsuchten, Hilfe zu bringen. Denn die Türken, ein persisches Volk, haben sie angegriffen, wie viele von Euch bereits wissen, und sind bis zu jenem Teil des Mittelmeers, den man den Arm des heiligen Georg nennt, auf römisches Territorium vorgedrungen. Sie haben immer mehr Länder der Christen an sich gerissen, haben sie bereits siebenmal in ebensovielen Schlachten besiegt, viele getötet oder gefangengenommen, haben Kirchen zerstört und haben Gottes Königreich verwüstet. Wenn Ihr ihnen gestattet, noch viel länger weiterzumachen, werden sie Gottes gläubiges Volk auf weiter Flur unterwerfen. Und deshalb ermahne ich, nein, nicht ich, ermahnt Gott Euch als inständige Herolde Christi mit aufrechter Bitte, Männer jeglichen Standes, ganz gleich welchen, Ritter wie Fußkämpfer, reiche und arme, wiederholt aufzufordern, diese wertlose Rasse in unseren Ländern auszurotten und den christlichen Bewohnern rechtzeitig zu helfen.
    Ich richte mich an die Anwesenden, ich verkündige es jenen, die abwesend sind; überdies befiehlt es Christus. All jenen, die dorthin gehen, ob sie auf dem Landweg marschieren oder übers Meer fahren oder im Kampf gegen die Heiden das Ende dieses Lebens in Gefangenschaft finden, werden ihre Sünden vergeben. Dies gewähre ich all denen, die gehn, kraft der Vollmacht, mit der Gott mich ausgestattet hat. O welch eine Schande, wenn eine Rasse, die so verächtlich, so verkommen und von Dämonen geknechtet ist, auf solche Art ein Volk überwinden sollte, welches mit dem Glauben an den allmächtigen Gott ausgestattet ist und im Namen Christi glänzt. O welche Vorwürfe werden Euch vom Herrn selbst zur Last gelegt, wenn Ihr nicht jenen geholfen habt, die wie Ihr dem christlichen Glauben zugerechnet werden!" "Jene," sagte er, "die leichtfertig einen persönlichen Krieg gegen die Gläubigen zu führen pflegen, mögen nun gegen die Ungläubigen in einen Krieg ziehen, der jetzt begonnen und siegreich zu Ende gebracht werden sollte. Jene, die lange Räuber gewesen sind, mögen nun zu Streitern Christi werden. Die, die einst gegen Brüder und Verwandte kämpften, mögen nun rechtmäßig gegen Barbaren kämpfen. Jene, die käuflich gewesen sind für einige Stücke Silbers, sollen nun ewigen Lohn empfangen. Jene, die sich selbst zum Nachteil von Körper und Seele erschöpft haben, sollen nun um doppelten Ruhm arbeiten. Zur einen Hand, fürwahr, werden die Traurigen und die Armen sein, zur anderen die fröhlichen und die Wohlhabenden, hier die Feinde des Herrn, dort Seine Freunde. Nichts möge jene, die sich anschicken zu gehen, aufhalten. Sie sollen ihre Angelegenheiten regeln, Geld anhäufen, und wenn der Winter vorbei und der Frühling gekommen ist, die Reise unter der Führung des Herrn voll Eifers antreten."

IV. Was den Bischof von Le Puy angeht und die darauffolgenden Ereignisse

    Nachdem diese Worte gesprochen waren und in der Zuhörerschaft Enthusiasmus ausgebrochen war, versprachen viele von ihnen, zumal sie dachten, nichts könne wertvoller sein, unverzüglich aufzubrechen und denen, die nicht anwesend waren, es als zwingende Notwendigkeit vor Augen zu führen, das gleiche zu tun. Unter ihnen war ein gewisser Bischof mit Namen Adhemar, der später, als Vikar des Apostolischen Stuhls agierend, das ganze Gottesheer klug und weise lenkte und es energisch dabei anfeuerte, das Unternehmen in die Tat umzusetzen. Wie also diese Angelegenheiten, deren wir erwähnt haben, im Rat beschlossen waren und ihnen alle entschieden zugestimmt hatten, wurde der Segen zur Vergebung der Sünden erteilt, und alle reisten ab. Nachdem sie in ihre Heimat zurückgekehrt waren, erzählten sie denen, die nichts davon wußten, was sich zugetragen hatte. Als der Erlaß des Konzils überall durch die gesamten Provinzen verkündet worden war, willigten jene unter Eid ein, den Frieden, welchen man den Gottesfrieden nennt, zu wahren. Wahrhaftig gelobten viele Menschen aus verschiedenen Berufen, als ihnen entdeckt wurde, daß ihnen ihre Sünden vergeben würden, mit geläuterter Seele dorthin zu gehen, wohin zu gehen man ihnen befohlen hatte.
    O wie angemessen erschien es uns und wie erfreulich war es doch für alle, jene Kreuze aus Seide, Goldbrokat und anderen schönen Stoffen anzuschauen, welche diese Pilger, egal ob Ritter, sonstige Laien oder Kleriker, auf die Schultern ihrer Mäntel nähten. Sie taten dies auf Geheiß Papst Urbans, sowie sie den Eid, daß sie ausziehen würden, geleistet hatten. Es war zweckmäßig, daß die Krieger Gottes, die sich dazu rüsteten, für Seine Ehre zu kämpfen, durch dieses Abzeichen unterschieden und behütet werden konnten. Und weil sie sich mit diesem Zeichen ihres Glaubens schmückten, erwarben sie durch dieses Symbol am Ende die Wahrheit selbst. Sie kleideten sich mit dem äußeren Zeichen, damit sie die innere Wirklichkeit erfuhren.
    Weil eine gute Absicht die Ausführung eines guten Werkes zuwege bringt, ist wahrhaft offenkundig, daß ein gutes Werk das Seelenheil herbeiführt. Wenngleich es billig ist, gute Absichten zu hegen, ist es trotzdem besser, sie nach gründlichem Nachdenken auch auszuführen. Daher ist das Beste, sich einen Vorrat an guten Werken anzusammeln, so daß man durch achtbare Taten Nahrung für die Seele anhäuft. Deshalb soll ein jeder Gutes vollbringen, damit er am Ende Besseres tut und sich schließlich darum verdient gemacht hat, das Beste zu erreichen, das im Jenseits nicht verlorengeht.

Dergestalt erwog Urban, ein weiser Mann und geehrt,
Ein schweres Werk, durch welches die Welt zur höchsten Blüte gelangte.

Denn er stellte den Frieden wieder her und führte die Rechte der Kirche in ihrer früheren Geltung wieder ein. Er unternahm auch gewaltige Anstrengungen, die Heiden aus den Ländern der Christen hinauszutreiben. Und weil er auf jede Art versuchte, alles was Gottes war zu verherrlichen, unterwarf sich fast jeder aus freien Stücken gehorsam seiner väterlichen Autorität.

V. Was die Meinungsverschiedenheit zwischen Papst Urban und Guibert betrifft

    Doch der Teufel, der stets nach der Vernichtung des Menschen trachtet und wie ein Löwe auf der Suche, wen er verschlinge, einhergeht, erweckte zur Verwirrung der Menschen Papst Urban in einem gewissen Guibert mit Namen einen Rivalen. Dieser Mann, der von Stolz getrieben wurde und dem eine Zeitlang durch die Unverschämtheit des Kaisers der Bayern der Rücken gedeckt wurde, begann das apostolische Amt zu usurpieren, als Urbans Vorgänger Gregor, sprich Hildebrand, rechtmäßiger Inhaber des Stuhls war, indem er ihm sogar den Zutritt zur Sankt-Peters-Basilika verwehrte. Und weil Guibert derart verkehrt handelte, blieb den besseren Menschen nichts anderes übrig, als ihn, Gregor, anzuerkennen. Da Urban nach dem Tode Hildebrands legal gewählt und von den Kardinälen geweiht wurde, bevorzugte der größere und frommere Teil der Leute, ihm zu gehorchen. Guibert jedoch, durch die Unterstützung des besagten Kaisers und durch die Vorliebe der meisten römischen Bürger für sich, hielt Urban solange es ging wie einen Fremden im Kloster Sankt Peters. Doch Urban reiste während der Zeit, die er von seiner Kirche ausgeschlossen war, durch das Land, um diejenigen, die ein wenig vom rechten Weg abgekommen waren, mit Gott auszusöhnen.
    Guibert erwies sich, weil er eben durch seinen Primat in der Kirche aufgeblasen war, als ein Papst, der mit Sündern nachsichtig war. Er übte das päpstliche Amt, wenn auch ungerecht, unter seinen Anhängern aus und zog die Maßnahmen Urbans als ungültig ins Lächerliche. Doch Urban erlangte in dem Jahr, in welchem die Franken auf ihrem Weg nach Jerusalem erstmals durch Rom zogen, die gesamte apostolische Macht mit Hilfe einer gewissen, höchst ehrenwerten Edelfrau namens Mathilde, die damals in ihrem Heimatland in der Umgebung von Rom sehr mächtig war. Guibert weilte danach in Deutschland. Es herrschten somit zwei Päpste über Rom, doch wußten viele weder, wem sie gehorchen noch bei wem sie Rat suchen sollten oder wer die Kranken heilen sollte. Einige zogen den einen vor, andere den anderen. Doch war es dem Scharfsinn der Menschen klar, daß Urban der Bessere war, denn der, der seine Leidenschaften, geradezu als wären es seine Feinde, zügelt, wird zurecht als der Bessere angesehen. Guibert war als Erzbischof der Stadt Ravenna sehr reich. Er prangte vor Pomp und Reichtümern. Es war bemerkenswert, daß solche Reichtümer ihn nicht zufriedenstellten. Darf der unter allen als Musterbeispiel rechten Lebens angesehen werden, der, ein Liebhaber des Prunks, sich frech erdreistet, das Zepter von Gottes Macht an sich zu reißen? Gewiß darf dieses Amt nicht mit Gewalt ergriffen werden, sondern muß mit Furcht und Demut angenommen werden. Auch ist es kein Wunder, daß die ganze Welt beunruhigt wurde und aufgescheucht war. Denn wenn der Kirche in Rom, dem Ursprung der Zurechtweisung für die gesamte Christenheit, durch jegliche Ruhestörung Verdruß entsteht, dann empfangen die Angehörigen, die ihr untertan sind, die Krankheit sofort durch die Hauptnerven und werden dadurch, daß sie zusammen mit ihr leiden, geschwächt. Ja wahrhaftig, diese Kirche, die gleichsam unsere Mutter ist, an deren Busen wir großgezogen wurden, deren Vorbild wir uns zunutze machten und durch deren Rat wir gestärkt wurden, wurde von diesem stolzen Guibert unsanft gepeinigt, und wenn der Kopf auf diese Weise getroffen ist, erleiden sofort die Glieder Schaden.

Wenn der Kopf geplagt ist, leiden auch die übrigen Glieder.

Ferner wurden, als der Kopf solcherart krank war, die Gliedmaßen von Pein geschwächt, weil in allen Teilen Europas von Stärkeren wie Geringeren auf Frieden, Tugend und Glauben brutal herumgetrampelt wurde, innerhalb der Kirche und außerhalb. Es tat not, allen diesen Übeln in Übereinstimmung mit dem Plan, der von Papst Urban eingeleitet wurde, ein Ende zu bereiten und den Kampf, der bis dahin wie gewohnt unter den Christen weiterging, gegen die Heiden zu richten.
    Daher muß ich nun meine Feder der Geschichte zuwenden, um denen, die sie nicht kennen, von der Reise derer zu erzählen, die nach Jerusalem zogen, was mit ihnen passierte und wie das Unternehmen und die Mühen mit Gottes Hilfe allmählich zu einem erfolgreichen Abschluß kamen. Ich, Fulcher von Chartres, der ich mit anderen Pilgern zog, trug hinterher all dies sorgfältig und gewissenhaft aus meinem Gedächtnis der Nachwelt zuliebe zusammen, so wie ich es mit meinen eigenen Augen gesehen habe.

VI. Der Zeitpunkt des Aufbruchs der Christen zusammen mit den Namen der Anführer der Pilger

    Im Jahr 1096 der Menschwerdung des Herrn und in jenem Monat März, der auf das Konzil folgte, das Papst Urban, wie gesagt, während des Novembers in der Auvergne abhielt, begannen einige, die etwas schneller in ihren Vorbereitungen waren als andere, die heilige Reise anzutreten. Weitere folgten im April oder Mai, im Juni oder im Juli oder selbst noch im August, September oder Oktober, je nachdem, wann sie in der Lage waren, sich die Mittel zu beschaffen, um die Ausgaben zu bestreiten. In jenem Jahr herrschte durch Gottes Gnade Frieden, und es gab in allen Ländern großen Überfluß an Korn und Wein, so daß auf der Reise bei denen, die sich entschlossen hatten, Ihm mit ihren Kreuzen gemäß Seinen Befehlen zu folgen, keine Knappheit an Brot aufkam.
    Weil es gerade jetzt passend ist, sich die Namen der Pilger in Erinnerung zu rufen, tue ich Hugos des Großen, des Bruders König Philips von Frankreich, Erwähnung, des ersten Helden, der übers Meer fuhr. Hugo landete mit seinen Mannen in der Nähe von Durazzo, einer Stadt in Bulgarien, doch weil er mit seiner kleinen Streitmacht übereilt vorrückte, wurde er dort von den Bürgern gefangengenommen und dem Kaiser in Konstantinopel vorgeführt. Hier hielt er sich einige Zeit auf, wobei er sich nicht völlig frei bewegen konnte. Nach ihm setzte auf der gleichen Strecke mit seinem Heer Bohemund aus Apulien über, ein Sohn Robert Guiskards vom Volk der Normannen. Danach kam Gottfried, der Herzog von Lothringen, mit einer gewaltigen Streitmacht über Ungarn angereist. Raimund, der Graf der Provençalen, und auch Adhemar, der Bischof von Le Puy, durchquerten mit Goten und Gascognern Dalmatien. Ein gewisser Peter der Eremit, der eine Menge Leute zu Fuß, aber nur wenige Ritter um sich geschart hatte, war der erste, der Ungarn durchquerte. Später wurde Walter Habenichts, ein wahrhaftig sehr guter Streiter, Befehlshaber dieser Leute. Im weiteren wurde er mit vielen seiner Begleiter zwischen Nikomedien und Nikäa von den Türken getötet. Im Monat Oktober trat Robert, der Graf der Normannen, ein Sohn Wilhelms, des Königs der Engländer, die Reise an, nachdem er zuvor ein großes Heer von Normannen, Engländern und Bretonen zusammengezogen hatte. Mit ihm zogen sein Schwager Stephan, der edle Graf von Blois, und Robert, der Graf der Flamen, mit vielen weitern Adligen. Weil daher eine solche Masse aus sämtlichen westlichen Ländern herbeikam, schwoll das Heer auf dem Marsch Stück für Stück und Tag für Tag von einer zahllosen Menge zu einem Verein von Heeren an. Es waren Unzählige aus vielen Ländern und von vielen Sprachen darunter zu finden. Jedoch wurden sie nicht eher zu einem einzigen Heer zusammengefaßt, bis daß wir die Stadt Nikäa erreichten. Was soll ich dazu noch sagen? Die Inseln der Meere und alle Königreiche der Erde waren so aufgewühlt, daß man hätte meinen können, die Prophezeiung Davids habe sich erfüllt, der in seinem Psalm sprach: "Alle Völker, die Du gemacht hast, werden kommen und vor Dir huldigen, o Herr," und was jene, die später eintrafen, verdientermaßen sagten: "Wir wollen an dem Ort die Andacht verrichten, wo Seine Füße gestanden haben." Über diese Reise lesen wir noch viel mehr in den Propheten, was hier zu wiederholen zu ermüdend wäre.
    O was für einen Kummer das gab! Was für Seufzer, was für ein Weinen, was für ein Wehklagen unter Freunden, wenn der Gemahl sein geliebtes Weib verließ, seine Kinder, seinen Besitz, so groß er auch sein mochte, seinen Vater und seine Mutter, seine Brüder und andere Verwandte! Doch wenn die, die zurückblieben, auch noch so sehr Tränen um abreisende Freunde vergossen und auch noch in deren Gegenwart, schreckte keiner davor zurück zu gehen, weil sie aus Liebe zu Gott alles was sie besaßen verließen, fest davon überzeugt, daß sie ein Hundertfaches dessen, was der Herr denen, die ihn lieben, versprach, empfangen würden. Dann benannte der Ehegatte seinem Weib die Zeit, um die er heimzukehren gedachte, wobei er ihr versprach, daß er, sollte er mit Gottes Gnade überleben, zu ihr zurückkommen würde. Er empfahl sie Gott, küßte sie sehnsüchtig und versicherte ihr, während sie weinte, daß er heimkehren würde. Sie jedoch, aus Angst, daß sie ihn nie wiedersehen würde, konnte nicht zurückhalten, sondern fiel ohnmächtig zu Boden, wobei sie ihren Liebsten, den sie in diesem Leben verlor, beklagte, als ob er schon tot wäre. Er jedoch ging, wie einer, der kein Mitleid hat - obwohl er es hatte - und als ob er durch die Tränen seines Weibes nicht gerührt wäre und auch nicht vom Gram irgendeines seiner Freunde - in seinem Inneren dennoch insgeheim bewegt -, mit festem Entschluß. Traurigkeit war das Los derer, die zurückblieben, Stolz das jener, die dorthin gingen. Was also können wir dazu noch erzählen? "Das ist das Wirken Gottes und ist ein Wunder vor unsern Augen."

VII. Die Fahrt des Grafen von der Normandie und was in Rom geschah während sie dort weilten

    Dann durchquerten wir westlichen Franken Gallien und kamen, während wir durch Italien reisten, nach Lucca, eine überaus berühmte Stadt. In der Nähe dort begegneten wir Papst Urban, und Robert der Normanne, Graf Stephan von Blois sowie andere, die es wollten, sprachen mit ihm. Nachdem wir seinen Segen erhalten hatten, marschierten wir fröhlich weiter nach Rom.
    Als wir die Basilika von Sankt Peter betraten, trafen wir vor dem Altar die Leute jenes dummen Papstes Guibert an. Mit Schwertern in Händen schnappten sie gierig die Gaben, die dort auf dem Altar ausgebreitet lagen. Andere rannten sogar die Sparren des Klosters entlang und warfen mit Steinen auf uns, als wir zum Gebet hingestreckt lagen. Denn wenn sie irgend jemand sahen, der Urban ergeben war, wollten sie ihn stracks töten. Überdies befanden sich in einem Turm der Basilika die Leute Urbans. Sie bewachten ihn gut und ergeben und leisteten seinen Gegnern so gut es ging Widerstand. Deswegen grämten wir uns, wie wir sahen, welche Freveltaten dort begangen wurden. Doch wünschten wir von Herzen weiter nichts, als daß der Herr Vergeltung übe. Viele, die von weither mit uns gekommen waren, zögerten nicht lange und kehrten, durch Feigheit schwach geworden, in ihre Heimat zurück.
    Wir indes reisten mitten durch Kampanien und erreichten Bari, eine äußerst wohlhabende, am Meer gelegene Stadt. Dort beteten wir in der Kirche des heiligen Nikolaus inbrünstig zu Gott, und darauf gingen wir zum Hafen hinab in der Hoffnung, sofort übersetzen zu können. Weil aber die Seeleute etwas dagegen hatten, dadurch daß sie einwandten, daß uns das Glück nicht hold wäre und die Winterszeit herannahe, was uns Gefahren aussetze, war Graf Robert von der Normandie gezwungen, sich ins Innere Kalabriens zurückzuziehen und dort den ganzen Winter zu verbringen. Robert jedoch, der Graf von Flandern, setzte mit seiner gesamten Streitmacht unverzüglich über.
    Zu jener Zeit verkauften viele aus dem gemeinen Volk, die auf ihre eigenen Mittel angewiesen waren und die für die Zukunft Entbehrungen fürchteten, ihre Waffen und nahmen ihre Pilgerstäbe wieder auf und kehrten heim als Feiglinge. Deswegen wurden sie sowohl von Gott als auch von der Menschheit als jämmerlich empfunden, und es gereichte ihnen zur Schande.

VIII. Das Ertrinken der Pilger und das vom Himmel geoffenbarte Wunder

    Im Jahre des Herrn 1097 begaben sich mit Rückkehr des Frühlings im März der normannische Graf sowie Graf Stephan von Blois einschließlich all seiner Gefolgsleute erneut Richtung Meer, denn Stephan hatte gleichwohl auf eine Gelegenheit zur Überfahrt gewartet. Als die Flotte in den Nonen des April bereitlag, was damals zufällig auf den Osterfeiertag fiel, schifften sie sich im Hafen von Brindisi ein. "Wie unbegreiflich sind die Gerichte Gottes, wie unerforschlich Seine Wege!" Denn unter den vielen Schiffen sahen wir eines nahe der Küste, das aus keinem erkennbaren Grund unvermutet in der Mitte auseinanderbrach. Dadurch kamen vierhundert beiderlei Geschlechts durch Ertrinken um, doch was sie betrifft, stieg sogleich fürstliches Lob zu Gott empor. Denn als jene, die dabeistanden, so viele Leiber der Toten geborgen hatten wie zu leisten war, entdeckten sie bei einigen von ihnen, wahrhaftig ins Fleisch eingebrannt, Kreuze zwischen den Schultern. Denn es deckte sich damit, daß dasselbe Siegeszeichen, welches sie auf ihrer Kleidung getragen hatten, solange sie lebten, durch Gottes Willen zum Zeichen des Glaubens auf denen verbleiben sollte, die damit in Seiner Mission unterwegs waren. Zugleich war es auch dazu angetan, jenen, die Zeugen waren, durch ein solches Wunder zu zeigen, daß die Toten nun durch die Gnade Gottes den Frieden des ewigen Lebens erlangt hatten. Daher war ohne jeden Zweifel offenkundig, daß sich die Prophezeiung der Heiligen Schrift erfüllt hatte: "Wenn aber der Gerechte frühzeitig stirbt, so ist er doch in der Ruhe." Von den anderen, die nun mit dem Tod kämpften, überlebten nur wenige. Ihre Pferde und Maultiere wurden von den Wellen verschluckt, und viel Geld ging verloren. Beim Anblick dieses Unglücks bekamen wir große Angst, so sehr, daß viele Zaghafte, die sich noch nicht eingeschifft hatten, in ihre Heimat zurückkehrten, die Pilgerfahrt aufgaben und sagten, daß sie sich nie wieder der trügerischen See anvertrauten.
    Wir indes, die wir stillschweigend auf den allmächtigen Gott vertrauten, setzten bei sanfter Brise mit gehißten Segeln und unter vielen Fanfarenklängen hinaus aufs Meer. Drei Tage wurden wir auf See aufgrund fehlenden Windes aufgehalten. Am vierten Tag erreichten wir nahe der Stadt Durazzo, nach meiner Einschätzung ungefähr zehn Meilen davon entfernt, Land. Unsere Flotte lief in zwei Häfen ein. Dann setzten wir ersichtlich erleichtert unseren Fuß auf trockenen Boden und gingen hinüber in die ebengenannte Stadt. Und so zogen wir durch die Lande der Bulgaren, inmitten steiler Berge und verlassener Orte. Dann kamen wir zusammen an einen reißenden Strom, der von den Ortsansässigen Teufelsfluß genannt wird, und das mit Recht. Denn wir sahen viele von den Gemeinen darin umkommen, Leute, die watend Schritt für Schritt hinüberzukommen hofften, die aber plötzlich durch die große Kraft der Strömung versanken. Nicht einer der Zusehenden konnte einen von ihnen retten. Und vor Mitleid vergossen wir deswegen viele Tränen. Zahlreiche vom Fußvolk hätten ihr Leben auf die gleiche Weise eingebüßt, würden ihnen nicht die Ritter mit ihren geschulten Pferden Hilfe geleistet haben. Danach schlugen wir unweit der Küste unser Lager auf und nächtigten einmal dort. Rundherum befanden sich hohe Berge, die menschenleer waren.
    Bei Tagesanbruch erschollen die Fanfaren, und wir machten uns an die Besteigung des Berges, der Bagulalus heißt. Nachdem wir den Berg überschritten und die Städte Lucretia, Botella, Bofinat und Stella passiert hatten, kamen wir an einen Fluß namens Bardarius. Obwohl man diesen Fluß normalerweise nur mit Booten überquert, wateten wir mit Gottes Beistand frohgemut hindurch. Am folgenden Tag kampierten wir vor der Stadt Thessalonica, einer an Waren jeglicher Art reichen Stadt. Nach einem viertägigen Aufenthalt reisten wir quer durch Makedonien, durch das Tal von Philippi und durch Crisopolis, Christopolis, Praetoria, Messinopolis, Macra, Traianopolis, Neapolis, Panadox, Rodosto, Heraclea, Salumbria und Natura und erreichten somit Konstantinopel. Wir schlugen unsere Zelte vor dieser Stadt auf und blieben vierzehn Tage hier. Doch versuchten wir nicht, die Stadt zu betreten, weil der Kaiser nicht damit einverstanden war; denn er befürchtete, daß wir möglicherweise böse Ränke gegen ihn schmiedeten. Daher mußten wir unseren täglichen Bedarf außerhalb der Mauern kaufen. Diese Vorräte brachten uns die Bürger auf Befehl des Kaisers. Wir durften die Stadt nicht betreten, außer zu fünft oder sechst in der Stunde. Während wir sie also verließen, kamen andere herein, um in den Kirchen zu beten.

IX. Von Konstantinopel nach Nikäa

    O welch edle und schöne Stadt Konstantinopel doch ist! Wie viele Klöster und Paläste sie besitzt, die mit wunderbarem Kunstsinn geschaffen wurden. Wie viele bemerkenswerte Dinge es in den Hauptstraßen zu sehen gibt und auch in den kleineren Straßen! Es wäre zu ermüdend, den Reichtum aufzuzählen, den es dort in allem hat, an Gold, an Silber, an Gewändern mannigfacher Art und an heiligen Reliquien. Händler bringen auf häufigen Reisen regelmäßig alles was der Mensch braucht in die Stadt. Ungefähr zwanzigtausend Eunuchen, schätze ich, leben ständig hier.
    Nachdem wir hinreichend ausgeruht waren, trafen unsere Führer, nachdem sie sich beraten hatten, ein eidliches Abkommen mit dem Kaiser, weil dieser darauf beharrte. Bohemund und Herzog Gottfried, die uns vorausgegangen waren, hatten diesem bereits zugestimmt. Doch Graf Raimund weigerte sich zu unterzeichnen. Der Graf von Flandern jedoch leistete den Eid wie die andern auch. Denn es war wichtig, daß alle dem Kaiser die Freundschaft aussprächen, denn ohne seine Hilfe und seinen Rat konnten wir die Reise nicht ohne weiteres durchführen, noch würden es jene können, die uns auf dem Fuß folgten. Der Kaiser bot ihnen wahrlich so viele Münzen und seidene Gewänder, bis sie zufrieden waren, und die Pferde und das Geld, das sie brauchten, um eine solche Reise durchzuführen.
    Als dies vorbei war, überquerten wir jenes Meer, welches der Arm des heiligen Georg genannt wird, und darauf eilten wir weiter zur Stadt Nikäa. Der edle Bohemund, Herzog Gottfried, Graf Raimund und der Graf von Flandern waren bereits seit Mitte Mai damit beschäftigt, sie zu belagern. Sie befand sich damals im Besitz der Türken, einem tapferen Volk aus dem Osten, das geübt ist im Umgang mit dem Bogen. Diese hatten, aus Persien kommend, vor fünfzig Jahren den Euphrat überschritten und hatten das gesamte römische Gebiet bis hin zur Stadt Nikomedien unterworfen. Wie viele abgetrennte Köpfe und wie viele Gebeine von Getöteten fanden wir doch auf den Feldern um Nikomedien liegen! In jenem Jahr hatten die Türken die Unsrigen, die von den Pfeilen nichts wußten und denen ihr Gebrauch neu war, aufgerieben. Von Mitleid bewegt, vergossen wir bei diesem Anblick viele Tränen.

X. Die Belagerung Nikäas und seine Einnahme

    Als die, die Nikäa belagerten, wie gesagt worden ist, von der Ankunft unserer Fürsten, des Grafen von der Normandie und Stephans von Blois, hörten, kamen sie uns freudig entgegen und gaben uns militärisches Geleit bis zu einem Ort im Süden der Stadt, wo wir unsere Zelte aufschlugen. Schon früher einmal hatten die Türken ihre Kräfte massiert in der Hoffnung, die Belagerer wo möglich von der Stadt zu vertreiben oder diese sonstwie mit eigenen Leuten wirksamer zu verteidigen. Doch sie wurden von den Unsrigen grimmig zurückgeworfen, wobei ihrer fast zweihundert getötet wurden. Als sie überdies sahen, daß die Franken voll Eifers waren und voll kriegerischen Heldenmuts, zogen sie sich eilends ins Innere Romaniens zurück, bis zu einer Zeit, wo sie die Gelegenheit für günstig erachteten, uns erneut anzugreifen.
    Es war die erste Juniwoche, als wir, die letzten, die ankommen sollten, bei der Belagerung eintrafen. Zu jener Zeit wurde aus den vielen, die dort waren, ein einziges Heer formiert. Jene, die rechnen konnten, schätzten seine Zahl auf 600.000 kampferprobte Männer. Von diesen hatten 100.000 Kettenhemden und Helme als Schutz. Daneben gab es solche, die keine Waffen trugen, nämlich Geistliche, Mönche, Frauen und Kinder. Wir ging es nun weiter? Wenn alle, die, um die heilige Reise zu unternehmen von zu Hause aufgebrochen waren, da gewesen wären, so wären ihrer ohne Zweifel 6.000.000 Kämpfer gewesen. Doch von Rom, von Apulien, von Ungarn oder von Dalmatien waren etliche, die sich den Härten nicht unterziehen wollten, in ihre Heimat zurückgekehrt. An vielen Orten waren Tausende getötet worden, und einige der Kranken, die mit uns weiterzogen, starben schließlich. Es waren zahlreiche Gräber längs der Straßen und auf den Feldern zu sehen, wo unsere Pilger öffentlich bestattet worden waren. Der Erklärung halber sei gesagt, daß in der Zeit, in der wir die Stadt Nikäa belagerten, die Lebensmittel im Einvernehmen mit dem Kaiser auf Seeschiffen herangeführt wurden. Dann ließen unsere Führer Kriegsmaschinen anfertigen: Rammböcke, Scrofae, hölzerne Türme und Petrariae. Pfeile wurden mit Bögen verschossen und Steine mit der Tormenta geschleudert. Unsere Feinde und unsere eigenen kämpften mit all ihrer Macht hin und her. Häufig griffen wir die Stadt mit unseren Maschinen an, aber weil uns eine starke Mauer trotzte, wollte der Angriff nicht so recht gelingen. Türken, die von Pfeilen oder Steinen getroffen wurden, kamen häufig um und Franken auch. Ihr würdet euch in dem Moment, wo die Türken einen der Unseren auf irgendeine Art in der Nähe der Mauer töteten, wahrhaftig gegrämt und vor Mitleid geschluchzt haben, denn sie ließen an Seilen eiserne Haken herab und refften den Körper hoch, um ihn auszuplündern. Keiner der Unseren getraute sich oder war dazu in der Lage, ihnen einen solchen Leichnam zu entreißen. Nachdem die Türken die Leiber entkleidet hatten, warfen sie sie gewöhnlich herab.
    Dann schleppten wir mit Hilfe von Ochsen und Seilen einige kleine Boote von Civetot aus über Land nach Nikäa und ließen sie, um den Zugang zur Stadt zu überwachen, auf dem See zu Wasser, damit der Platz nicht mit Vorräten versorgt werden konnte. Aber nachdem wir die Stadt durch eine fünfwöchige Belagerung zermürbt und den Türken mit unseren Angriffen oftmals einen Schrecken eingejagt hatten, hielten diese in der Zwischenzeit eine Beratung ab und übergaben dem Kaiser durch dessen Mittelsmänner heimlich die Stadt, eine Stadt, die bereits durch unsere Macht und Kriegskunst arg bedrängt war. Daraufhin gewährten die Türken den Turkopolen, die vom Kaiser dorthin geschickt worden waren, den Zutritt. Diese letzteren nahmen die Stadt im Namen des Kaisers mit dem ganzen darin befindlichen Geld in Besitz, genauso, wie er es befohlen hatte. Und deswegen ließ der Kaiser, nachdem das ganze Geld beschlagnahmt war, Geschenke an unsere Fürsten verteilen, Geschenke in Gold und Silber sowie Kleidung; und an das Fußvolk verteilte er Kupfermünzen, die sie Tartarons nennen. An jenem Tag, als Nikäa eingenommen wurde oder sich auf diese Art ergab, hatte der Monat Juni gerade die Sonnenwende erreicht.

XI. Die tödliche Schlacht der Christen mit den Türken

    Als unsere Barone vom Kaiser Erlaubnis erhielten abzurücken, verließen wir Nikäa am dritten Tag vor den Kalenden des Juli, um ins Innere Romaniens hineinzugehen. Doch als wir zwei Tage unterwegs gewesen waren, wurde uns berichtet, daß uns die Türken in den Ebenen, durch die wir, wie sie dachten, kommen müßten, eine Falle gestellt hatten, und daß sie dort darauf warteten, uns eine Schlacht zu liefern. Als wir dies hörten, verloren wir dennoch nicht den Mut. Doch an jenem Abend, als unsere Späher viele von den Türken ein großes Stück entfernt sahen, setzten sie uns unverzüglich davon in Kenntnis. Daher ließen wir in jener Nacht überall unsere Zelte von Wachen beschützen. Frühmorgens, es war an den Kalenden des Juli, ergriffen wir die Waffen und teilten uns beim Klang der Fanfaren in Schlachtflügel auf, wobei die Heerführer und Zenturionen die Kohorten und Hundertschaften waffenkundig anführten. Mit flatternden Fahnen begannen wir in sicherer Aufstellung vorzurücken.
    Siehe da, um die zweite Stunde des Tages näherten sich ihre Späher unseren Wachposten! Als wir das erfuhren, schlugen wir unsere Zelte in der Nähe eines Sumpfes auf und nahmen unsere Packsättel ab, damit wir besser kämpfen könnten. Nachdem dies geschehen war, siehe! da waren die Türken da, jene heidnischen Perser, deren Emir und Fürst jener Suleiman war, der die Stadt Nikäa und das Land Romanien in seiner Gewalt gehabt hatte. Sie hatten sich auf seinen Befehl hin um Suleiman geschart, waren ihm über eine Entfernung von mehr als dreißig Tagen zu Hilfe geeilt. Es befanden sich viele Emire sprich Fürsten bei ihm, nämlich Amircaradigum, Miriathos und viele andere. Insgesamt beliefen sie sich auf 360.000 Kämpfer, genauer gesagt, Bogenschützen, denn es war bei ihnen der Brauch, auf diese Art bewaffnet zu sein. Alle waren beritten. Wir verfügten umgekehrt sowohl über Fußvolk als auch Bogenschützen.
    Zu jener Zeit waren Herzog Gottfried, Graf Raimund und Hugo der Große zwei Tage lang von uns fern gewesen. Sie hatten sich aus einem bestimmten Grund, ich weiß nicht welchen, mit einer großen Zahl von Leuten an einer Stelle, wo die Straße sich gabelte, von uns getrennt. Deshalb erlitten wir in der darauffolgenden Schlacht einen nicht wiedergutzumachenden Verlust, weil von den Unseren so viele getötet wurden wie Türken da waren, die dem Tod beziehungsweise der Gefangennahme entronnen. Weil unsere Boten jene, die von uns getrennt waren, spät erst erreichten, kamen sie uns zu spät zu Hilfe. Währenddessen heulten die Türken wie Wölfe und verschossen ungestüm eine Wolke von Pfeilen. Wir waren davon wie gelähmt. Da wir dem Tod ins Auge sahen und weil sehr viele von uns verwundet waren, wandten wir uns alsbald zur Flucht. Auch dies ist nichts Ungewöhnliches, weil uns diese Art von Kriegführung allen unbekannt war. Und nun bahnte sich von der anderen Seite des Sumpfes eine dichte Masse des Feindes ihren Weg bis vor unsere Zelte. Die Türken drangen in einige dieser Zelte ein und rissen unsere Habseligkeiten an sich und töteten einige der Unseren, als durch Gottes Willen die Vorhut von Hugo dem Großen, Graf Raimund und Herzog Gottfried von hinten her auf dieses Unglück stieß. Weil die Unseren sich zu ihren Zelten zurückgezogen hatten, flohen diejenigen des Feindes, die eingedrungen waren, sogleich, zumal sie dachten, daß wir plötzlich zurückgekommen seien, um sie anzugreifen. Was sie für Kühnheit und Mut hielten, war in Wirklichkeit, wenn sie es gewußt hätten, große Furcht. Was soll ich weiters erzählen? Wir waren wirklich alle so zusammengedrängt wie Schafe im Pferch, zitternd und in Schrecken versetzt, auf allen Seiten von Feinden umgeben, so daß wir uns nach keiner Richtung wenden konnten. Uns war klar, daß uns dies wegen unserer Sünden widerfuhr. Denn Wohlleben hatte einige von uns befleckt, und Habsucht und andere Laster hatten andere verkommen lassen. Ein großes Geschrei stieg zum Himmel auf, nicht nur von den Unsrigen und unseren Frauen und Kindern, sondern auch von den Heiden, die sich auf uns stürzten. Mittlerweile hegten wir keine Hoffnung mehr auf Überleben. Daraufhin bekannten wir, daß wir Angeklagte waren an der Schranke zwischen Richter und Sündern, und wir bettelten Gott demütig um Gnade an. Der Bischof von Le Puy, unser Schirmherr, und vier weitere Bischöfe waren dort und auch eine Vielzahl von Priestern, alle in Weiß gekleidet. Sie baten Gott demütig, daß Er die Macht unseres Feindes zerschlage und über uns das Geschenk seiner Gnade ausgieße. Weinend sangen sie und singend weinten sie. Darauf liefen viele, die Angst hatten, daß der Tod näherrücke, zu den Priestern und bekannten ihre Sünden. Unsere Fürsten, Graf Robert von der Normandie und Stephan, der Graf von Blois, sowie Robert, der Graf von Flandern, und auch Bohemund hielten den Türken so gut sie konnten stand und versuchten sie des öfteren anzugreifen. Auch sie wurden von den Türken heftig attackiert.

XII. Die Flucht der Türken und der Sieg der Christen

    Der Herr verleiht den Sieg nicht dem hellen Glanz des Adels und auch nicht dem Leuchten der Waffen, sondern steht liebevoll denen bei, die reinen Herzens sind, sowie jenen, die durch göttliche Kraft gefestigt erscheinen. Deshalb stellte Er, vielleicht durch unser Flehen zu Zugeständnissen beschwichtigt, allmählich unsere Kräfte wieder her und schwächte die Türken immer mehr. Denn als wir unsere Kameraden uns von hinten zu Hilfe kommen sahen, lobten wir Gott und formierten uns zu Scharen und Kohorten und rangen damit, dem Feind standzuhalten. O wie viele der Unseren, die auf der Straße hinter uns her bummelten, töteten die Türken an jenem Tag. Von der allerersten Stunde des Tages an bis zur sechsten waren wir, wie ich erzählt habe, in Schwierigkeiten verstrickt. Jedoch erwachten unsere Lebensgeister nach und nach wieder zum Leben, als uns unsere Kameraden Verstärkung brachten und als göttliche Gnade wundersamerweise gegenwärtig war, und dann, wie durch einen plötzlichen Anstoß, ergriffen die Türken sämtlich die Flucht. Wild schreiend folgten wir ihnen über Berge und durch Täler. Wir hielten so lange nicht damit ein sie zu verfolgen, bis unsere flinksten Männer ihre Zelte erreicht hatten. Dann beluden einige der Unseren zahlreiche der Kamele und Pferde der Türken mit ihrer Habe und sogar mit den Zelten, die dort in Panik aufgegeben wurden. Andere folgten den fliehenden Türken bis Einbruch der Nacht. Weil unsere Pferde verschmachtet und erschöpft waren, behielten wir einige der ihrigen. Es grenzte an ein großes Wunder Gottes, daß während des nächsten und des übernächsten Tages die Türken nicht einhalten wollten zu fliehen, obwohl ihnen niemand außer Gott noch folgte. Über einen solchen Sieg erfreut, statteten wir allesamt Gott unseren Dank ab. Er hatte nicht gewollt, daß unsere Reise gänzlich zunichte gemacht würde, sondern daß sie dieser Seiner Christenheit zuliebe noch ruhmreicher als ohnedies Erfolg habe. Und deshalb soll die Kunde davon von Ost nach West ewig widerhallen.
    Daraufhin setzten wir unsere Reise wahrhaftig behutsam fort. Eines Tages litten wir an einem solch außerordentlichen Durst, daß einige Männer und Frauen an seinen Qualen starben. Die Türken, die Hals über Kopf vor uns flohen, suchten sich in ganz Romanien zu verstecken.

XIII. Die bittere Not der Christen

    Dann gelangten wir nach Antiochien, welches das Kleinere genannt wird, in der Provinz Pisidien und dann nach Ikonium. In diesen Gegenden hatten wir häufig Mangel an Brot und sonstiger Nahrung. Denn wir fanden Romanien, ein Land, das sich durch Erzeugnisse jeglicher Art auszeichnet und sehr fruchtbar ist, durch die Türken schrecklich verwüstet und entvölkert. Häufig konntet ihr jedoch viele von den Erzeugnissen aus verstreuten Gehöften, die wir ab und zu überall im Land fanden, wieder aufblühen sehn. Das war die Hilfe jenes Gottes, der mit fünf Laiben und zwei Fischen fünftausend Menschen speiste. Und deshalb waren wir überaus zufrieden, und freudig gaben wir zu, daß dies Geschenke der Barmherzigkeit Gottes waren. Dann hättet ihr wahrhaftig gelacht oder vor Mitleid vielleicht auch geweint, weil viele der Unseren, denen es an Lasttieren fehlte, zumal viele ihrer eigenen umgekommen waren, Hammel, weibliche Ziegen, Säue und Hunde mit ihren Habseligkeiten beluden, nämlich mit Kleidung, Nahrung oder was immer Pilger brauchten. Wir sahen, wie der Rücken dieser kleinen Tiere unter dem Gewicht dieser Ladung wund wurde. Und nicht selten benutzten sogar bewaffnete Ritter Ochsen als Reittiere. Und wer hörte je ein solches Durcheinander an Sprachen im selben Heer? Da waren Franken, Flamen, Friesen, Gallier, Allobroger, Lothringer, Alemannen, Bayern, Normannen, Engländer, Schotten, Aquitaner, Italiener, Daker, Apulier, Iberer, Bretonen, Griechen und Armenier. Wenn irgendein Brite oder Teutone mich etwas fragen wollte, konnte ich ihm weder antworten noch ihn verstehen. Doch obwohl wir unterschiedlicher Zungen waren, schienen wir aus Liebe zu Gott dennoch Brüder und nahezu einer Meinung zu sein. Denn wenn einer irgend etwas von seiner Habe verlor, hätte der, der es fand, es sorgsam viele Tage lang aufbewahrt, bis er durch seine Nachforschungen den Verlierer ausfindig gemacht und das, was gefunden worden war, zurückgegeben hätte. Das war wirklich anständig gegenüber denjenigen, die aus Frömmigkeit diese Pilgerfahrt machten.

XIV. Die Taten und die Tapferkeit von Gottfrieds Bruder Graf Balduin und die Einnahme der auch Roha genannten Stadt Edessa

    Als wir zur Stadt Heraklea kamen, erblickten wir ein gewisses Zeichen am Himmel, das sich in brillantem Weiß in Form eines Schwertes mit der Spitze nach Osten zeigte. Was es für die Zukunft voraussagte, wußten wir nicht, doch überließen wir die Gegenwart und die Zukunft Gott. Wir gelangten dann an eine blühende Stadt mit Namen Marasch. Dort verbrachten wir drei ungestörte Tage. Als wir jedoch eine Tagesreise von dort wegmarschiert waren und nun nicht mehr weit von Antiochien in Syrien entfernt waren, zog ich, Fulcher, mich vom Hauptheer zurück und wandte mich mit dem edlen Grafen Balduin dem Land zu unserer Linken zu.
    Balduin war wahrhaft ein höchst fähiger Ritter. Kürzlich hatte er mit jenen, die er mitgebracht hatte, das Heer verlassen und hatte mit großer Kühnheit die Stadt in Kilikien, die man Tarsus nennt, eingenommen. Er nahm sie Tankred weg, der mit Billigung der Türken seine eigenen Leute hineingelegt hatte. Nachdem er eine Besatzung darin zurückgelassen hatte, war Balduin zum Hauptheer zurückgekehrt. Und dadurch, daß er auf den Herrn vertraute und auf seine eigenen Kräfte setzte, scharte Balduin einige Ritter um sich und brach auf Richtung Euphrat. Dort nahm er viele Städte ein, sowohl durch Gewalt als auch mit List. Darunter befand sich die begehrteste namens Turbessel. Die Armenier, die sich dort aufhielten, übergaben sie ihm friedlich, und viele andere Städte wurden ihm auch untertan.
    Als die Nachricht davon weite Kreise zog, schickte der Fürst von Edessa eine Gesandtschaft an Balduin. Jene Stadt ist hochberühmt und ist in einem überaus fruchtbaren Gebiet gelegen. Sie befindet sich in Syrisch-Mesopotamien, ungefähr zwanzig Meilen hinter dem obenerwähnten Euphrat und ungefähr hundert Meilen oder mehr von Antiochien entfernt. Balduin wurde vom Herzog gebeten, dorthin zu kommen, damit sie gegenseitig Freunde werden könnten wie Vater und Sohn, solange sie beide lebten. Und wenn der Herzog von Edessa zufällig sterben sollte, sollte Balduin unverzüglich die Stadt sowie den gesamten Besitz des Herzogs als dauerhaftes Erbe in Empfang nehmen, so als ob er der eigene Sohn des letzteren wäre. Da der Herzog weder Sohn noch Tochter hatte und weil er nicht dazu in der Lage war, sich gegen die Türken zu behaupten, wünschte dieser Grieche, daß er und sein Gebiet durch Balduin verteidigt werden sollten. Er hatte erfahren, daß Balduin und seine Ritter gar gewaltige Recken seien. Sowie Balduin dieses Angebot aufgenommen hatte und von seiner Aufrichtigkeit durch die Eidesleistung der Gesandten aus Edessa überzeugt war, schickten er und sein geringes Heer von achtzig Rittern sich an, den Euphrat zu überschreiten. Nachdem wir diesen Fluß überquert hatten, eilten wir in äußerster Eile die ganze Nacht hindurch weiter, wobei wir große Angst ausstanden, und gingen zwischen den sarazenischen Städten hindurch, die überall verstreut lagen.
    Als die Türken, die sich in der befestigten Stadt Samosata aufhielten, dies in Erfahrung brachten, legten sie uns längs des Weges, von dem sie glaubten, daß wir ihn wählen würden, Hinterhalte. In der folgenden Nacht jedoch gewährte uns ein gewisser Armenier, sich dabei vorsehend, Zuflucht in seiner Burg. Er riet uns, uns vor diesen Fallen des Feindes in acht zu nehmen, und aus diesem Grund hielten wir uns dort zwei Tage versteckt. Am dritten Tag jedoch warfen sich die Türken, die durch einen derartigen Verzug verdrossen waren, aus ihren Verstecken hervorbrechend auf uns und galoppierten mit wehenden Fahnen vor die Burg, in der wir uns aufhielten, und führten vor unseren Augen den Viehbestand, den sie auf den Weiden antrafen, als Beute hinweg. Wir gingen wider sie hinaus, aber weil wir wenige waren, konnten wir uns nicht gegen sie behaupten. Sie verschossen Pfeile, verwundeten jedoch keinen von uns. Jedoch ließen sie einen der Ihrigen, der von einer Lanze getötet worden war, auf dem Feld zurück. Sein Pferd behielt derjenige ein, der ihn abgeworfen hatte. Daraufhin machte sich der Feind auf und davon, wir indes blieben dort.
    Am folgenden Tag setzten wir unsere Reise fort. Als wir an den Städten der Armenier vorbeikamen, wäret ihr erstaunt gewesen mitanzusehen, wie sie untertänig Kreuze und Fahnen tragend herbeikamen, um uns willkommen zu heißen, und Gott zuliebe unsere Füße und Kleider küßten, da sie erfahren hatten, daß wir kämen, sie vor den Türken zu beschützen, unter deren Joch sie lange unterdrückt waren. Am Ende erreichten wir Edessa, wo uns der obengenannte Fürst der Stadt und dessen Weib gemeinsam mit den Bürgern freudig aufnahmen und ihr Versprechen Balduin gegenüber ungesäumt erfüllten.
    Nachdem wir dort fünfzehn Tage geblieben waren, schmiedeten die Bürger bösartig ein Komplott, um ihren Fürsten, weil sie ihn haßten und um Balduin auf den Thron zu heben, damit er das Land regiere, zu töten. Dies wurde vorgeschlagen und es wurde ausgeführt. Balduin und die Seinen waren sehr erbittert, weil sie keine Gnade für ihn erwirken konnten. Sobald Balduin von den Bürgern die fürstliche Stellung dieses Mannes, der auf schlimme Art umgebracht worden war, als Geschenk angenommen hatte, begann er gegen die Türken, die im Land waren, den Krieg. Oftmals besiegte oder tötete er sie. Es geschah aber auch, daß viele der Unseren von den Türken getötet wurden.
    Ich, Fulcher von Chartres, war der Kaplan des besagten Balduin. Ich möchte nun die Erzählung vom Heer Gottes, die ich unterbrach, wiederaufnehmen.

XV. Die Ankunft der Franken vor Antiochien und das Auf und Ab der Belagerung

    Im Monat Oktober kamen die Franken nach Antiochien in Syrien, einer von Seleukos, dem Sohn des Antiochos, gegründeten Stadt. Seleukos machte sie zu seiner Hauptstadt. Sie hieß früher Reblata. Ferner lag sie auf der anderen Seite des Flusses, den sie Fernus oder Orontes nannten. Man ließ unsere Zelte vor der Stadt aufbauen, zwischen dieser und dem ersten Meilenstein. Hier wurden später sehr häufig Schlachten ausgetragen, die für beide Seiten höchst verlustreich waren. Als die Türken aus der Stadt hervorbrachen, töteten sie viele der Unseren, doch als das Blatt sich wendete, grämten sie sich, sich geschlagen geben zu müssen. Antiochien ist eine durchweg recht große Stadt, gut befestigt und stark gelegen. Sie würde von Feinden von außen niemals eingenommen werden können, vorausgesetzt, daß die Einwohner mit Lebensmitteln versorgt sind und entschlossen, sie zu verteidigen. Antiochien besitzt eine überaus bekannte Kirche, die zu Ehren des Apostels Petrus geweiht ist, wo dieser, zur Bischofswürde erhoben, als Bischof saß, nachdem er von Herrn Jesus den Primat der Kirche und die Schlüssel zum himmlischen Königreich empfangen hatte. Es gibt dort noch eine Kirche, rund in ihrer Form, die zu Ehren der heiligen Jungfrau erbaut wurde, und noch einige andere entsprechend gebaute. Diese waren lange Zeit unter der Herrschaft der Türken gestanden, doch Gott, der alles vorhersieht, bewahrte sie für uns auf, damit Er eines Tages in ihnen von uns verehrt würde. Das Meer, glaube ich, ist ungefähr dreizehn Meilen von Antiochien entfernt. Weil an der Stelle der Fernus ins Meer fließt, werden mit Waren aus fernen Landen gefüllte Schiffe über sein Flußbett nach Antiochien heraufgebracht. Auf diese Art zur See und zu Land mit Waren versorgt, besitzt die Stadt Reichtümer jeglicher Art im Überfluß.
    Als sie einsahen, wie schwierig es sein würde, die Stadt einzunehmen, schworen sich unsere Fürsten gegenseitig, bei einer Belagerung zusammenzuarbeiten, bis sie sie, so Gott es wollte, mit Gewalt oder durch Kriegslist einnähmen. Sie entdeckten auf dem obenerwähnten Fluß eine Reihe von Booten. Diese beschlagnahmten sie und bildeten eine Schiffsbrücke daraus, auf der sie übersetzten, um ihr Vorhaben auszuführen. Zuvor waren sie nicht in der Lage gewesen, den Fluß zu durchwaten. Die Türken jedoch, als sie sich ängstlich umgesehen hatten und sahen, daß sie von einer solchen Masse von Christen umgeben waren, fürchteten, daß sie ihnen vielleicht doch nicht entkommen könnten. Nachdem sie sich gegenseitig abgesprochen hatten, schickte Aoaxianus, der Fürst und Emir von Antiochien, seinen Sohn Sanxado zum Sultan, d.h. zum Kaiser von Persien, um ihn dringend darum zu bitten, daß er ihnen in aller Eile helfe. Der Grund dafür war, daß sie keine Hoffnung auf andere Hilfe hatten, außer durch Mohammed, ihren Fürsprecher. Sanxado führte die ihm übertragene Mission in größter Eile aus. Jene, die in der Stadt blieben, bewachten sie und warteten auf den Beistand, um den sie gebeten hatten, während sie in der Zwischenzeit auf vielerlei Art gefährliche Intrigen gegen die Franken ausheckten. Nichtsdestotrotz vereitelten letztere die Kriegslisten des Feindes so gut sie konnten. An einem bestimmten Tag geschah es, daß siebenhundert Türken von den Franken getötet wurden, und somit wurden jene, die den Franken eine Falle gestellt hatten, selbst durch eine Falle überwunden. Denn die Macht Gottes war dort offenkundig. Alle von den Unseren bis auf einen, der von ihnen verwundet wurde, kehrten sicher heim. O wie viele Christen in der Stadt, Griechen, Syrer und Armenier töteten die Türken aus Wut, und wie viele Köpfe schleuderten sie vor den Augen der Franken mit Petrariae und Fundibula über die Mauern! Dies grämte die Unseren sehr. Die Türken haßten diese Christen, zumal sie befürchteten, daß letztere den Franken vielleicht auf irgendeine Weise gegen einen türkischen Angriff beistehen könnten.
    Nachdem die Franken die Stadt eine Zeitlang belagert hatten und das umliegende Land auf der Suche nach Nahrung für die Ihren durchstöbert hatten und nicht einmal mehr Brot kaufen konnten, litten sie großen Hunger. Aus diesem Grund waren alle ziemlich niedergeschlagen, und viele hatten insgeheim vor, sich von der Belagerung zurückzuziehen und auf dem Land- oder Seeweg zu fliehen. Doch hatten sie kein Geld, wovon sie hätten leben können. Sie waren sogar gezwungen, ihr Auskommen weit weg sowie in großer Angst zu suchen, indem sie sich vierzig oder fünfzig Meilen von der Belagerung entfernten, und dort in den Bergen wurden sie häufig von den Türken aus dem Hinterhalt getötet. Wir spürten, daß über die Franken aufgrund ihrer Sünden Leid hereingebrochen war, und daß sie aus diesem Grund die Stadt nach so langer Zeit noch nicht hatten einnehmen können. Wohlleben und Geiz sowie Stolz und Raub hatten sie in der Tat verdorben. Daraufhin schlossen die Franken, nachdem sie sich wiederholt untereinander abgestimmt hatten, die Frauen vom Heer aus, die verheirateten wie die ledigen, aus Furcht, daß sie den Herrn, befleckt durch die Besudelung eines zügellosen Lebens, verletzen könnten. Diese Frauen suchten daraufhin Zuflucht in benachbarten Städten. Den Armen wie auch den Reichen ging es schlecht, sowohl wegen des Hungers als auch wegen des Blutbades, das täglich angerichtet wurde. Würde nicht Gott Seine Schafe wie ein guter Pastor zusammengehalten haben, wären sie ohne Zweifel sofort von dort geflohen, trotzdem sie sich geschworen hatten, die Stadt einzunehmen. Viele suchten jedoch wegen der Lebensmittelknappheit viele Tage lang in den benachbarten Dörfern was sie zum Leben brauchten; und sie kamen nachher nicht zum Heer zurück, sondern gaben die Belagerung ganz auf.
    Zu jener Zeit sahen wir ein bemerkenswertes rötliches Glühen am Himmel und spürten daneben ein großes Beben in der Erde, welches uns allesamt furchtsam werden ließ. Zudem sahen viele ein bestimmtes Zeichen in Form eines Kreuzes, weißlich von Farbe, das sich auf geradem Weg nach Osten zu bewegte.

XVI. Die erbärmliche Armut der Christen und die Flucht des Grafen von Blois

    Im Jahre des Herrn 1098, nachdem das Gebiet um Antiochien von der großen Zahl der Unseren vollständig ausgeplündert worden war, waren sowohl die Alten als auch die Jungen zunehmend durch den übermäßigen Hunger erschöpft. Damals verschlangen die hungernden Menschen Bohnenhalme, die noch auf den Feldern standen, mit Salz viele Arten noch unreifer Kräuter und selbst Disteln, die wegen des Fehlens von Feuerholz nicht gar zubereitet waren und daher die Zungen derer reizten, die sie aßen. Sie verzehrten auch Pferde, Esel, Kamele, Hunde und sogar Ratten. Die ärmeren Leute aßen selbst die Häute von Tieren und die Samen von Korn, die sie im Dung fanden. Die Menschen ertrugen aus Liebe zu Gott Kälte, Hitze und Wolkenbrüche von Regen. Ihre Zelte wurden schäbig und zerrissen und verrotteten von der andauernden Nässe. Aus diesem Grund hatten viele kein anderes Dach als den Himmel. Gerade weil Gold dreifach feuererprobt und siebenfach gereinigt ist, glaube ich, daß die Auserwählten vom Herrn versucht wurden und durch solches Leiden von ihren Sünden gereinigt wurden. Denn obgleich das Schwert des Assassinen nicht fehlte, als es sein tödliches Werk verrichtete, durchlitten viele der Menschen einen langen Todeskampf und beschritten frohgemut den ganzen Weg des Märtyrertums. Vielleicht fanden sie Trost am Beispiel des heiligen Hiob, der, während er seine Seele von den Qualen des Körpers reinigte, stets Gott gedachte. Indem sie sich mit den Heiden abmühten, waren sie für Gott tätig. Obwohl Gott, der alles erschafft, allem was Er erschaffen hat gebietet und durchsetzt was Er befohlen hat, mit Nachdruck regiert und alles was immer er wünscht zu zerstören oder wiederherzustellen imstande ist, spüre ich, daß Er auf Kosten des Leidens der Christen will, daß die Heiden vernichtet werden, sie, die so viele Male alles was Gottes ist mit Füßen in den Schmutz getreten haben, wenngleich mit Seiner Erlaubnis und obgleich die Menschen es verdienen. In Wirklichkeit hat Er zugelassen, daß die Christen getötet werden, um ihr Heil zu mehren, die Türken indessen, um ihre Seelen zu verdammen. Doch gefiel es Gott, jene unter den Türken, denen die Erlösung vorherbestimmt war, durch unsere Priester taufen zu lassen. "Die Er aber vorherbestimmt hat, die hat Er auch berufen und verherrlicht."
    Was kam dann? Einige der Unsern zogen sich, worüber ihr gehört habt, von einer Belagerung, die sich derart schwierig gestaltete, zurück, etliche aus der Not heraus, andere aus Feigheit, einige aus Angst vor dem Tod, zuerst die Armen, dann die Reichen. Daraufhin gab Graf Stephan von Blois die Belagerung auf und kehrte auf dem Seeweg nach Frankreich zurück. Diese Nachricht schmerzte uns alle sehr, denn er war ein sehr edler Mann und verfügte über Waffengewalt. Am Tag nach seiner Abreise wurde die Stadt Antiochien den Franken übergeben. Wenn er durchgehalten hätte, wäre er mit den übrigen hoch erfreut gewesen, denn das was er tat, gereichte ihm zur Schande. Denn aus einem guten Beginnen kann man keinen Nutzen ziehen, wenn man keinen glücklichen Ausgang nimmt. In Sachen, die mit Gott zu tun haben, werde ich mich kurz fassen, damit ich nicht vom rechten Weg abkomme, denn in diesen Angelegenheiten muß ich aufpassen, nicht von der Wahrheit abzuschweifen.
    Von diesem Monat Oktober an setzte die Belagerung der Stadt sich wie gesagt den gesamten darauffolgenden Winter und Frühling bis in den Monat Juni hinein fort. Türken und Franken inszenierten abwechselnd zahlreiche Angriffe und Gegenangriffe. Sie siegten und wurden besiegt. Wir jedoch gewannen häufiger als sie. Einmal geschah es, daß viele Türken im Fliehen in den Fernus stürzten und elendig ertranken. Diesseits und jenseits des Flusses kämpften beide Völkerschaften viele Male. Unsere Fürsten erbauten Festungswerke vor der Stadt. Durch häufige Ausfälle aus diesen hielten die Unseren die Türken standhaft zurück. Der Erfolg war, daß sie den Tieren des Feindes oftmals das Weiden versagten. Nichts gelangte durch die Armenier der Gebiete außerhalb hinein; dennoch handelten diese oft zu unserem Nachteil.

XVII. Die Auslieferung Antiochiens

    Als es jedoch Gott, von ihren Gebeten zweifellos zu großer Nachgiebigkeit beschwichtigt, gefiel, die Mühen Seines Volkes, das Ihm täglich flehende Bittgebete hatte ausströmen lassen, zu beenden, gewährte er in Seiner Liebe, daß durch den Verrat dieser selben Türken die Stadt heimlich ausgeliefert und den Christen zurückgegeben werden sollte. Laßt euch daher von einem Verrat berichten, der dennoch keiner war. Unser Herr erschien einem gewissen Türken, der von Seiner Gnade dazu ausersehen war, und sprach zu ihm: "Erhebe Dich, der Du schläfst. Ich befehle Dir, die Stadt den Christen zurückzugeben." Obwohl er sich darüber wunderte, bewahrte der Mann die Vision als sein Geheimnis. Wieder erschien ihm der Herr. "Gib die Stadt den Christen zurück," sagte Er, "denn ich, der Dir dieses befiehlt, bin Christus selbst." Da er also nicht wußte, was er tun sollte, ging der Mann zu seinem Herrn, dem Fürsten von Antiochien, und vertraute ihm seine Erscheinung an. Letzterer antwortete: "Möchtest Du dummer Mensch einem Geist gehorchen?" Der Mann kehrte zurück und verhielt sich still. Erneut erschien ihm der Herr, indem er sprach: "Warum hast Du nicht getan, was ich befohlen habe? Du bist nicht dazu ausersehen zu zaudern, denn ich, der dieses befiehlt, bin der Herr von allem." Der Türke, der keine Zweifel mehr hatte, heckte mit den Unseren im geheimen eine Verschwörung aus, mittels der die Stadt in ihre Hände fallen sollte.
    Als diese Vereinbarung getroffen war, übergab der Türke dem edlen Bohemund, dem dieser Plan als erstem vorgeschlagen worden war und auf den er als ersten Einfluß ausgeübt hatte, seinen Sohn als Geisel. In der dafür festgesetzten Nacht gewährten die Türken zwanzig der Unseren mit Hilfe von Strickleitern Einlaß über die Mauern. Sofort, ohne Zögern, wurde das Tor geöffnet. Die Franken, die bereitstanden, drangen in die Stadt ein. Vierzig weitere unserer Bewaffneten, die bereits mit Hilfe von Seilen hineingelangt waren, töteten sechzig Türken, die sie beim Bewachen der Türme antrafen. Dann schrien alle Franken vereint mit lauter Stimme: "Gott will es! Gott will es!" Denn dies war stets unser Erkennungsschrei, wann immer wir im Begriff waren, ein Unternehmen, das sich dafür schickte, auszuführen. Als die Türken das hörten, waren sie allesamt außerordentlich erschrocken. Die Franken begannen sogleich die Stadt anzugreifen, während die Morgendämmerung sich allmählich lichtete. Sowie die Türken Bohemunds rotes Banner gewahr wurden, welches nun hoch oben flatterte, den großen Tumult, der schon ringsherum wütete, die Fanfaren der Franken, die von der Mauer herab erschallten, sowie die Franken selbst, die mit gezückten Schwertern durch die Straßen liefen und brutal die Leute töteten, waren sie verstört und begannen nach hie und dort zu fliehen. Soviele Türken als irgend konnten flohen in die Zitadelle, die auf einem hochaufragenden Felsen lag. Unser gemeines Volk riß wahllos an sich, was immer es in den Straßen und Häusern fand, die Ritter jedoch, die im Kriegshandwerk erfahren waren, fuhren fort, die Türken ausfindig zu machen und zu töten. Der Emir Antiochiens namens Aoxianus wurde auf der Flucht von einem armenischen Bauern, der den abgeschnittenen Kopf unverzüglich den Franken überbrachte, enthauptet.

XVIII. Die Auffindung der Lanze

    Es geschah ferner, daß ein gewisser Mann, nachdem die Stadt eingenommen war, in einem Loch auf dem Boden unter der Kirche des heiligen Apostels Petrus eine Lanze fand. Als sie entdeckt wurde, versicherte der Mann, daß es genau jene Lanze sei, mit welcher Longinus nach den Heiligen Schriften Christus die rechte Seite durchbohrt habe. Er sagte, daß ihm dies vom heiligen Andreas dem Apostel entdeckt worden war, und als der Mann es persönlich dem Bischof von Le Puy und Graf Raimund erzählte, glaubte der Bischof die Geschichte nicht, der Graf jedoch war der Hoffnung, daß sie stimmte. Alles Volk jubelte und war voll des Lobes für Gott, als es dies hörte. Denn beinahe einhundert Tage wurde die Lanze mit großer Ehrfurcht behandelt und von Graf Raimund, der sie behütete, ruhmreich geführt. Dann aber zeigte es sich, daß viele von den Priestern und der Laienschaft Bedenken trugen, der Meinung waren, daß dies nicht die Lanze des Herrn sei, sondern eine andere, die von diesem tölpelhaften Menschen in betrügerischer Absicht gefunden worden war. Und deshalb entzündeten sie im achten Monat nach der Einnahme Antiochiens, nachdem drei Tage des Fastens und Betens festgesetzt worden waren, an die sich alle hielten, mitten auf dem Feld vor der Stadt Archis einen Holzstoß; über jenem Feuer sprachen die Bischöfe die richterliche Segnung aus, und der Entdecker der Lanze rannte schnell voll durch die Mitte des brennenden Stoßes, um seine Aufrichtigkeit, wie er es selbst verlangt hatte, unter Beweis zu stellen. Als der Mann die Flammen durchquert hatte und aus ihnen hervorkam, sahen sie, daß er schuldig war, denn seine Haut war verbrannt, und sie wußten, daß er innerlich tödlich verwundet war. Das hat sich in der Folge bewahrheitet, denn am zwölften Tag starb er, von seinem schlechten Gewissen versengt. Und weil jeder die Lanze Gott zu Ehren und Ihm zuliebe bewundert hatte, wurden nun jene, die zuvor an sie geglaubt hatten, zweifelnd und sehr traurig, als das Gottesurteil vorbei war. Nichtsdestotrotz bewahrte sie Graf Raimund noch lange Zeit danach auf.

XIX. Die Belagerung der Christen durch die Türken innerhalb Antiochiens

    Am Tag, der wie oben berichtet auf die Einnahme Antiochiens folgte, legte eine unermeßliche Menge von Türken einen Belagerungsring um die Stadt. Denn sowie der Sultan, d.h. der König der Perser, hörte, daß die Franken Antiochien belagerten, scharte er unverzüglich eine große Zahl von Männern um sich und entsandte ein Heer gegen die Franken. Kerbogha war der Anführer und Satrap dieser Leute. Er hielt sich drei Wochen vor der Stadt Edessa auf, die sich damals im Besitz des edlen Balduin befand. Doch weil er nichts ausrichtete, eilte er nach Antiochien, um Fürst Aoxianus zu befreien. Als ihnen dies vor Augen geführt wurde, waren die Franken erneut entmutigt, und das nicht weniger schlimm als sonst, denn ihre Bestrafung hatte sich in Anbetracht ihrer Sünden verdoppelt. Denn als sie die Stadt betreten hatten, hatten viele von ihnen sich sogleich mit unehelichen Frauen vereinigt.
    Sodann drangen ungefähr 60.000 Türken auf seiten der hohen Steilwand über uns durch die Zitadelle in die Stadt ein und schlossen die Unseren durch häufige und lebhafte Angriffe ein. Doch blieben sie nicht lange, denn sie wurden vom Schrecken gepackt und gaben die Stadt auf, um sie von draußen zu belagern. Die Franken blieben darin zurück, eingemauert wie sie waren, wobei sie sich noch größere Sorgen machten, als man sich vorstellen kann.

XX. Die Gesichte die in der Stadt erschienen

    In der Zwischenzeit erschien der Herr, eingedenk unser, vielen Menschen, welche Tatsache diese immer wieder erzählten, und um ihnen Mut zuzusprechen, versprach Er ihnen, daß sie sich binnen kurzem des Sieges erfreuen würden. Dann erschien der Herr einem gewissen Geistlichen, der vor Todesangst floh, und sprach zu ihm: "Wohin gehst Du, Bruder?" "Ich fliehe," sagte dieser, "damit ich nicht durch ein Unglück umkomme.

Auf solche Weise flohen viele, damit sie nicht durch einen schrecklichen Tod umkämen.

Dem Geistlichen antwortete der Herr: "Fliehe nicht, sondern eile Dich zurückzukommen und sage den andern, daß ich in der Schlacht mit ihnen sein werde. Denn durch die Gebete meiner Mutter beschwichtigt, werde ich mich den Franken gnädig erweisen. Aber weil sie gesündigt haben, sind sie fast umgekommen. Möge ihre Hoffnung in Mich von Dauer sein, und ich werde sie über die Türken triumphieren lassen. Sie mögen Reue zeigen und sie werden erlöst werden. Denn der zu Dir spricht, bin ich, der Herr." Der Geistliche kehrte unverzüglich um und erzählte, was er gehört hatte.
    Unterdessen wollten viele Franken, weil sie Angst hatten, durch die Not oder durch das Schwert zu sterben, bei Nacht und Nebel an Seilen von der Mauer herabklettern und davonlaufen. Einem von jenen, die sich abseilten, erschien sein Bruder, der bereits tot war, und sprach: "Wohin fliehst Du, Bruder? Bleib! Fürchte Dich nicht, denn Gott wird Dir in Deinem Kampf beistehen und Deine Gefährten auf dieser Reise, die Dir im Tod schon vorabgefolgt sind, werden mit Dir gegen die Türken kämpfen." Der andere, der über die Worte eines Toten erstaunt war, hielt ein zu fliehen und gab weiter, was er gehört hatte. Denn sie konnten eine solche Pein nicht länger ertragen. Sie hatten nichts mehr zu essen, und darum waren sowohl sie als auch ihre Pferde sehr schwach. Als es Gott gefiel, die Mühen Seiner Diener zu beenden, einigten sie sich auf ein dreitägiges Fasten mit Gebeten und Almosengeben, damit diese Bußen und Gebete Gott günstig stimmen könnten.

XXI. Der von den Franken befohlene Angriff auf die Türken

    Unterdessen setzten die Franken, nachdem sie sich beraten hatten, die Türken durch einen gewissen Peter den Eremiten davon in Kenntnis, daß sie, die Franken, sie höchstwahrscheinlich am nächsten Tag angreifen würden, wenn sie das Land, welches in früheren Zeiten den Christen gehört hatte, nicht in aller Ruhe räumten. Wenn die Türken es vorzögen, könnte der Kampf zwischen fünf bis zehn oder zwanzig, ja selbst einhundert Rittern auf jeder Seite ausgetragen werden, damit nicht im Falle, daß alle kämpften, sogleich eine große Zahl stürben. Diejenige Partei, deren Männer die anderen schlügen, könnte die Stadt und die Herrschaft ungehindert ohne allen Widerspruch in Empfang nehmen. So lautete die Forderung, doch sie wurde von den Türken nicht zugestanden. Sie vertrauten auf ihre große Masse und Stärke und dachten, daß sie uns besiegen und vernichten könnten. Sie wurden auf eine Zahl von dreihunderttausend geschätzt, sowohl an Reitern wie Fußvolk. Sie wußten, daß aus unseren Rittern schwache und hilflose Fußkämpfer geworden waren.
    Daraufhin kehrte Peter, unser Sendbote, zurück und überbrachte ihre Antwort. Als die Franken sie vernahmen, bereiteten sie sich ohne zu zögern auf die Schlacht vor, wobei sie ihre ganze Hoffnung auf Gott setzten. Die Fürsten der Türken waren zahlreich und sie nannten sich Emire. Es waren Kerbogha, Maledoctus, Amisoliman und viele andere, zu zahlreich, um sie alle zu nennen.

XXII. Die Vorbereitungen zur Schlacht

    Die Fürsten der Franken waren Hugo der Große, Robert, der Graf von der Normandie, Robert, der Graf von Flandern, Herzog Gottfried, Graf Raimund und Bohemund nebst vielen weniger Edlen. Möge Gott Seinen Segen der Seele Adhemars spenden, dem Bischof von Le Puy, der, in Wahrheit selbst ein apostolischer Mann, stets den Menschen Mut zusprach und sie im Herrn bestärkte. O fromme Vorsehung! In der vorhergehenden Nacht ließ Adhemar persönlich durch einen Herold verlauten, daß jeder Ritter im Heere Gottes seinem Roß so viel von seiner milden Gabe an Korn verabreichen möge wie möglich, jedoch reichlich, damit das Pferd am nächsten Tag zur Schlachtzeit nicht schwach vor Hunger zusammenbreche. So wurde es angeordnet und es wurde ausgeführt. Und so verließen sie alle, auf diese Weise zur Schlacht gerüstet, bei Tagesanbruch die Stadt, was sich am vierten Tag vor den Kalenden des Juli ereignete. Das Fußvolk und die Reiter wurden in Kompanien und Abteilungen eingeteilt, wobei jedes Mal die Banner vorneweg gingen. Unter ihnen befanden sich die in Weiß gekleideten Priester. Letztere, die um das gesamte Volk weinten, brachten dem Herrn Gesänge dar und ergossen sich in vielen Gebeten aus der Tiefe ihres frommen Innern.
    Ein gewisser Türke namens Amirdalis, ein überaus trefflicher Ritter, zeigte sich sodann ersichtlich überrascht, wie er die Unseren mit flatternden Fahnen auf sich zurücken sah. Und als er die Flaggen unserer Anführer, die ihm bekannt waren, ausgemacht hatte, wie sie eine nach der anderen in geordneter Weise vorangetragen wurden, war ihm klar, daß eine Schlacht unmittelbar bevorstand. Er war mit Antiochien vertraut und hatte die Franken kennengelernt. Er begab sich stracks zu Kerbogha, berichtete ihm, was er gesehen hatte, und sagte zu ihm: "Warum spielst Du Schach? Sieh doch, die Franken kommen." Letzterer gab zur Antwort: "Kommen Sie, um zu kämpfen?" Amirdalis antwortete: "Ich kann das im Moment noch nicht erkennen, warte darum noch ein Weilchen." Und als Amirdalis die Flaggen unserer Fürsten, die sich in militärischer Weise auf der anderen Seite fortsetzten, unterscheiden und ihre dicht geschlossenen Schlachtreihen, welche ihnen forsch folgten, erkennen konnte, kehrte er bald darauf zurück und sagte zu Kerbogha: "Sieh Dir die Franken an!" "Was glaubst Du?" antwortete letzterer. "Ich glaube, daß es zur Schlacht kommen wird," sagte dieser, "doch warte ein bißchen. Ich kann die Fahnen, die ich sehe, nicht unterscheiden." Dann, als er genauer hinsah, erkannte er die Standarte des Bischofs von Le Puy, welche der dritten Abteilung vorangetragen wurde.

Indem er sich nicht länger geduldete, sagte er zu Kerbogha:
"Sieh dort, die Franken kommen, fliehe nun oder kämpfe tapfer,
Denn ich sehe das Banner des mächtigen Papstes auf uns zukommen.

Bange nun, damit nicht Du von jenen besiegt wirst, von denen Du dachtest, daß Du sie völlig vernichten würdest." Kerbogha sprach: "Ich werde den Franken Nachricht geben, daß ich das, was sie gestern von mir verlangten, heute gewähren werde." Amirdalis erwiderte: "Das sagst du zu spät." Nichtsdestotrotz stattete Kerbogha das Gesuch ab, doch was er suchte, erhielt er nicht. Amirdalis, der sich bald

Von seinem Herrn zurückzog, gab seinem Pferd die Sporen.
Er überlegte, ob er fliehen sollte, doch trieb er noch alle seine Kameraden an,
Tapfer zu kämpfen und rasch ihre Pfeile zu verschicken.

XXIII. Die Schlacht, der Sieg der Christen und die Flucht der Türken

    Seht da! Hugo der Große, Graf Robert der Normanne und Robert, der Graf von Flandern, waren die Anführer in der ersten Angriffswelle. Herzog Gottfried folgte in der zweiten mit den Deutschen und den Lothringern. Nach ihnen kam der Bischof von Le Puy mit den Männern von Graf Raimund, den Gascognern und Provençalen. Der Graf selbst blieb in der Stadt zurück, um sie zu schützen. Bohemund deckte die Menge waffengeübt im Rücken. Als die Türken sahen, daß ihre Reihen durch den heftigen Ansturm des gesamten fränkischen Heeres durchstoßen wurden, fingen sie an, einzeln hervorzubrechen, um, wie es bei ihnen der Brauch war, Pfeile zu verschicken. Doch von Furcht befallen, die der Himmel entsandte, flohen sie alle Hals über Kopf, als ob die ganze Welt über ihnen zusammengebrochen wäre. Die Franken verfolgten die Flüchtigen, so schnell sie irgend konnten. Weil aber die Franken über wenig Pferde verfügten und diese schwach vor Hunger waren, erwischten sie nicht so viele von den Heiden, wie sie es hätten sollen. Die Zelte der Türken verblieben jedoch allesamt in deren Lagern. Darin fanden die Franken vielerlei Sachen, unter anderem Gold, Silber, Mäntel und andere Kleidung, Gebrauchsgegenstände und vieles andere, was die Türken in ihrer Panik und in wilder Flucht durch ihr Lager entweder zurückgelassen oder fallengelassen hatten. Zum Beispiel fanden sich Pferde, Maultiere, Kamele, Esel, prächtige Turbane, Bögen und Pfeile in Köchern. Kerbogha floh, flink wie ein Reh, er, der die Franken so oft mit grimmigen Worten und Drohungen erschlagen hatte. Doch warum floh er, gerade er, der ein solch großes Heer besaß, das so zahlreich über Reiter verfügte? Weil er es wagte, mit Gott zu kämpfen, vernichtete der Herr, der Kerboghas Prunk aus weiter Ferne wahrnahm, seine Macht vollständig. Diejenigen Türken, die gute und schnelle Pferde hatten, entkamen, doch die Versprengten waren den Franken ausgeliefert. Viele von ihnen, insbesondere die sarazenischen Fußkämpfer, wurden gestellt. Umgekehrt wurden von den Unsern nur wenige verwundet. Was die Frauen anbelangt, die in den Zelten des Feindes aufgefunden wurden, so fügten ihnen die Franken kein Leid zu, außer daß sie ihnen Lanzen in den Unterleib stießen.
    Daraufhin priesen alle mit frohlockender Stimme den Herrn des Lobes. In gerechtem Mitleid hatte Er sie vom grausamsten Feind befreit, sie, die in große Not und Drangsal versetzt nichtsdestotrotz auf Ihn vertraut hatten. Mit Seiner Macht hatte Er die Türken, die bis dahin die Christen fast besiegt hatten, in den Zustand der Unterlegenheit versetzt. Unser Volk kehrte, um die Beute des Feindes bereichert, triumphierend in die Stadt zurück.

Als die alte Stadt Antiochien eingenommen wurde,
Waren es elfhundert, wenn man zwei davon abzieht,
Der Jahre unseres Herrn, der von der Jungfrau geboren ward
Im Zeichen der Zwillinge, als Phoebus zweimal neun Male aufgestiegen war.

    Darauf, an den Kalenden des August, starb der Bischof Adhemar. Möge seiner Seele ewiger Frieden beschieden sein. Amen! Und danach reiste Hugo der Große mit dem Einverständnis der Fürsten nach Konstantinopel ab und von dort nach Frankreich.

XXIV. In Anbetracht dieser Dinge richtete die erlauchte Schar der Anführer des gesamten Heeres folgenden Brief an den römischen Pontifex

    An den ehrwürdigen Herrn Papst Urban! Seid gegrüßt von Bohemund, Graf Raimund von Saint-Gilles, Herzog Gottfried von Lothringen, Graf Robert von der Normandie, Graf Robert von Flandern und Graf Eustach von Boulogne, und wie es sich für Söhne einem geistigen Vater gegenüber geziemt: zu treuen Diensten und in wahrer Unterwerfung Christi.
    Wir wünschen und verlangen danach, daß Ihr Kunde erhaltet davon, daß Antiochien durch die große Gnade Gottes wie auch durch Seinen offenkundigen Beistand von uns eingenommen worden ist; daß die Türken, die unseren Herrn mit großer Schmach beladen hatten, gefangengenommen und getötet worden sind; daß wir, Pilger Jesu Christi, die nach Jerusalem ziehen, die Kränkung Gottes des Allmächtigen gerächt haben; daß wir, die die Türken zuerst belagerten, hernach von anderen Türken, die aus Khorasan, Jerusalem, Damaskus und vielen anderen Plätzen kamen, belagert wurden; und wie wir durch die Gnade Jesu Christi erlöst wurden.
    Nach der Einnahme von Nikäa überwanden wir, wie Ihr gehört habt, den großen Haufen von Türken, die uns an den Kalenden des Juli im Tal von Doryläum entgegentraten, und wiesen dem mächtigen Suleiman den Weg und beraubten ihn all seines Landes und seiner Besitzungen. Nachdem wir ganz Romanien gewonnen und unterworfen hatten, schritten wir zur Belagerung Antiochiens. Im Laufe seiner Bestürmung ertrugen wir viele Härten, insbesondere durch Angriffe benachbarter Türken und Heiden, die sooft und so zahlreich auf uns einstürmten, daß man von uns wahrhaftig sagen konnte, daß wir von denen belagert worden sind, die wir in Antiochien belagerten. Am Ende waren sämtliche Schlachten gewonnen und auf diese Weise der christliche Glaube durch die erfolgreiche Übergabe jener erhöht. Ich, Bohemund, traf mit einem gewissen Türken, der mir die Stadt auslieferte, eine Abmachung. Kurz vor Morgendämmerung, am dritten Tag vor den Nonen des Juni, ließ ich Leitern an der Mauer aufstellen, und somit nahmen wir die Stadt, die sich Christus widersetzt hatte, in Besitz. Wir erschlugen Cassianus, den Tyrannen der Stadt, und viele seiner Männer und behielten ihre Frauen, Kinder und Familien mitsamt ihrem Gold und Silber und all ihrer Habe für uns.
    Wir waren jedoch nicht in der Lage, Antiochiens Zitadelle einzunehmen, die zuvor von den Türken verstärkt worden war. Doch als wir soweit waren, sie am nächsten Tag zu bestürmen, sahen wir eine unermeßliche Menge von Türken durchs ganze Land ziehen. Viele Tage lang hatten wir erwartet gehabt, daß sie kommen würden, um sich mit uns, solange wir noch außerhalb der Stadt waren, zu messen. Am dritten Tag, nachdem wir die Stadt eingenommen hatten, umgaben sie uns mit einem Belagerungsring, und mehr als hunderttausend von ihnen begaben sich in die obenerwähnte Zitadelle, in der Hoffnung, durch ihr Tor in den Stadtteil darunter einzudringen, den teilweise wir, teilweise sie besaßen. Doch wir, die wir auf einer anderen Anhöhe gegenüber der Zitadelle standen, sicherten den Pfad, der sich zwischen beiden Heeren befand und der in die Stadt hinabführte, so daß die Türken in ihrer großen Masse nicht durchbrechen konnten. Wir kämpften innerhalb und außerhalb der Mauern, Tag und Nacht, und zwangen unsere Feinde schließlich, durch das Burgtor, durch welches man in die Stadt hinabgelangt, in ihr Lager zurückzukehren. Als sie sahen, daß sie uns von dieser Seite aus nicht schaden konnten, umstellten sie uns von allen Seiten, so daß weder einer die Stadt verlassen noch betreten konnte. Über diese Entdeckung waren wir alle derart entmutigt und es war uns so elend zumute, daß viele von uns, die vor Hunger und anderen Übeln zu sterben drohten, unsere Pferde und Esel, die ebenfalls Hungers starben, schlachteten und verzehrten.
    Unterdessen fanden wir durch die gütigste Gnade des allmächtigen Gottes, der über uns wacht und uns beisteht, die Lanze des Herrn, mit welcher die Seite unseres Erlösers von Longinus durchbohrt wurde. Sie wurde einem gewissen Diener Gottes dreimal vom heiligen Apostel Andreas offenbart, der ihm die Stelle anwies, wo die Lanze in der Kirche des heiligen Petrus des Apostelfürsten verborgen lag. Nachdem uns durch diese Entdeckung und zahlreiche andere göttliche Offenbarungen Mut zugesprochen worden war, waren wir innerlich derartig gestärkt, daß wir, die wir zuvor niedergeschlagen und furchtsam gewesen waren, uns nun aufs tapferste und sogleich gegenseitig anfeuerten zu kämpfen.
    Dann kamen wir, nachdem wir drei Wochen und vier Tage lang belagert worden waren, nachdem wir alle unsere Sünden gebeichtet und uns Gott anvertraut hatten, am Festabend der Apostel Sankt Peter und Paul in Schlachtordnung vor die Stadttore. Wir waren so wenige, daß der Feind dachte, daß wir nicht ihn bekämpfen wollten, sondern fliehen würden. Als wir jedoch alle soweit waren und zu Fuß wie zu Pferd in gewohnter Ordnung aufgestellt waren, rückten wir mit der Lanze des Herrn tapfer gegen den Kern der größten Türkenmacht und -stärke vor und zwangen sie, aus ihrer vorgeschobenen Stellung zu weichen. Sie aber, weil es bei ihnen so der Brauch war, begannen sich nach allen Richtungen zu zerstreuen. Indem sie Hügel und Straßen besetzten, wo immer dies möglich war, gedachten sie uns einzukreisen. Auf die Weise hofften sie uns sämtlich zu erschlagen. Doch wir waren gegen ihre List und Tücke durch so manche Schlacht geschult. Die Gunst und Gnade Gottes leisteten uns Beistand, so daß wir, die wir so wenige waren im Vergleich zu ihnen, sie auf einen Haufen zusammendrängten. Mit der strafenden Hand Gottes, der auf unserer Seite kämpfte, zwangen wir die so zusammengepferchten Türken dazu, zu fliehen und ihr Lager mit allem was darin war aufzugeben. Nachdem wir die Türken überwunden und sie einen ganzen Tag lang verfolgt und Tausende von ihnen getötet hatten, kehrten wir jubelnd und glücklich in die Stadt zurück. Daraufhin übergab ein gewisser Emir die vorhin erwähnte Zitadelle mit tausend darin befindlichen Menschen an Bohemund. Auf Geheiß Bohemunds überantwortete jener sie freudig alle auf einmal dem christlichen Glauben. Somit machte unser Herr Jesus Christus ganz Antiochien dem römischen Bekenntnis und Glauben untertan. Und weil auf dem Gipfel der Freude immer etwas Trauriges geschieht, starb an den Kalenden des August der Bischof von Le Puy, den Ihr uns als Euren Stellvertreter gesandt hattet. Dies geschah nach jener Schlacht, in welcher er eine rühmenswerte Rolle gespielt hatte und nachdem die Stadt befriedet worden war.
    Deshalb erbitten wir, Eure Kinder, des Vaters, der uns zugeteilt war, beraubt, von Euch, unserem geistlichen Vater, folgendes: Weil Ihr diese Pilgerfahrt ins Leben rieft und durch Eure Predigten uns sämtlich dazu veranlaßt habt, unsere Länder und alles was darin war zu verlassen, weil Ihr uns ermahnt habt, durch Aufnahme des Kreuzes Christus zu folgen, und weil Ihr uns dazu bewogen habt, den Namen Christi zu erhöhen, bitten wir Euch in Erfüllung dessen, was Ihr gepredigt habt, zu uns zu kommen und wen immer ihr könnt dazu zu bringen, mit Euch zu gehen. Denn hier war es, wo der Name Christ herstammt. Nachdem der heilige Petrus in jener Kirche, die wir täglich aufsuchen, inthronisiert wurde, wurden sie, die früher Galiläer hießen, hauptsächlich hier das erste Mal Christen genannt. Was auf dieser Welt würde sich daher mehr geziemen, als daß Ihr, der Ihr der Vater und das Haupt christlicher Frömmigkeit seid, in eigener Person zu der ersten und der Hauptstadt des christlichen Namens kommen und dem Krieg, der Eure ureigene Idee war, ein Ende bereiten würdet. Wir haben die Türken und die Heiden unterworfen, doch die Häretiker, Griechen und Armenier, Syrer und Jakobiter, konnten wir nicht überwinden. Daher bitten wir Euch, unseren liebsten Vater, immer wieder aufs neue, daß Ihr als Pastor und Führer an den Ort Eures Vorgängers kommt, daß Ihr, der Ihr Stellvertreter des heiligen Petrus seid, Euch auf seinen Thron setzt und Euch unser als Euren ergebenen Söhnen bedient, damit jedwedes zum Gelingen gereiche, und daß Ihr kraft Eurer Autorität und unsrer Stärke jegliche Häresie, gleich welcher Art, ausrottet und vernichtet. Und somit werdet Ihr mit uns die Pilgerfahrt Jesu Christi, die von uns übernommen und von Euch öffentlich ausgerufen wurde, beschließen; und Ihr werdet uns die Tore des einen und des andern Jerusalem öffnen und werdet das Grab des Herrn befreien und den christlichen Namen über alles stellen. Denn wenn Ihr zu uns kommt und die Pilgerfahrt, die von Euch eröffnet wurde, mit uns beendet, wird Euch die ganze Welt untertan sein. Möge Gott, der schaltet und waltet, jetzt und in alle Ewigkeit, Euch gestatten, dieses auszuführen. Amen.

XXV. Der Feldzug gegen die übrigen Städte; die vor Archis begonnene Belagerung; die Reise der Franken nach Jerusalem und ihre Ankunft an diesem Ort

    Nachdem unsere Mannen und Rosse, die von den vielen Tagen anstrengender Arbeit ermüdet waren, sich durch Ruhe und Speise vier Monate in der Umgebung Antiochiens erholt hatten, war ihr ursprünglicher Gesundheitszustand wiederhergestellt. Nachdem man sich beraten hatte, begab sich ein Heeresteil ins Innere Syriens und wollte den Gang nach Jerusalem hinausschieben. In diesem waren Bohemund und Graf Raimund die Anführer. Die übrigen Fürsten blieben solange in der Nachbarschaft Antiochiens.
    Jene beiden Führer bemächtigten sich mit den Ihrigen der beiden Städte Barra und Marra in einem Angriff, der von großer Tapferkeit zeugte. Die erste nahmen sie recht schnell ein, töteten die Bürger bis auf den letzten Mann und nahmen alles in Beschlag. Danach eilten sie zur andern Stadt und belagerten sie zwanzig Tage lang. Hier litten die Unseren übermäßig an Hunger. Mich schaudert, es auszusprechen, daß viele der Unseren, die vom Wahnsinn des Hungertodes schrecklich gepeinigt wurden, aus den Gesäßen der Sarazenen, die tot herumlagen, Fleischstücke herausschnitten. Diese Stücke kochten und aßen sie, verschlangen roh das Fleisch, noch bevor es ausreichend durchgebraten war. Dergestalt wurden die Belagerer schlimmer heimgesucht als die Belagerten. Unterdessen überstiegen die Franken, die Maschinen gebaut hatten, wie sie sie eben herstellen konnten, und diese an die Mauer herangebracht hatten, mit Gottes Segen in einem mit großer Tapferkeit vorgetragenen Angriff den Mauerkranz. An jenem und den darauffolgenden Tagen töteten sie sämtliche Sarazenen vom Obersten zum Niedersten und plünderten ihre gesamten Habseligkeiten.
    Als Marra solcherart zerstört war, kehrte Bohemund nach Antiochien zurück. Er vertrieb daraufhin die Männer daraus, die Graf Raimund als Wächter seines Abschnitts eingesetzt hatte. Damit besaß Bohemund Antiochien mit seiner gesamten Umgebung, denn er berief sich darauf, daß die Stadt durch seine Verhandlung und Kriegslist gewonnen worden war. Die Folge war, daß Graf Raimund Tankred an sich band und den Vormarsch gegen Jerusalem wieder aufnahm. In ähnlicher Weise schloß sich am Tag nach Verlassen Marras auch Graf Robert der Normanne dieser Streitmacht an.
    Im Jahre 1099 der Menschwerdung unseres Herrn zog diese Streitmacht zu der Archis genannten Feste am Fuß des Libanongebirges weiter. Wir können nachlesen, daß sie von Arachäus, dem Sohne Kanaans und Enkel Noahs, gegründet wurde. Doch weil sie sehr schwer einzunehmen war, belagerten sie sie fast fünf Wochen lang, erreichten aber nichts. Herzog Gottfried und Graf Robert von Flandern folgten diesem Heer nicht weit hinterher. Als sie die Feste Gibellum belagerten, erhielten sie eine Nachricht, worin man sie bat, denen vor Archis zu helfen. Daher verließen sie Gibellum unverzüglich und eilten dem Heer wie erwartet zu Hilfe. Doch nachdem sie um die Stadt herumgegangen waren, kam die erwartete Schlacht nicht zustande. Bei dieser Belagerung von Archis wurde Anselm von Ribemont, ein tapferer Ritter, von einem Stein getroffen und getötet. An dieser Stelle besprachen sich die Franken untereinander und kamen zu dem Entschluß, daß, wenn sie eine Weile hierblieben und die Festung Archis nicht nehmen könnten, ihnen allen nicht wiedergutzumachendes Übel daraus erwachsen würde. So sagten sie sich, daß es klüger wäre, die Belagerung aufzugeben und den Marsch fortzusetzen, denn auch wenn sie wüßten, daß ihre Strecke frei von Handelsverkehr war, blieb noch immer Zeit, Jerusalem während der Erntezeit zu erreichen. Wenn sie also weiterziehen würden, könnten sie allerorts von den Ernten leben, vom Auskommen, das Gott ihnen bescherte, und würden unter Seiner Führung an ihrem meistersehnten Ziel ankommen. So lautete der Vorschlag, und so wurde es beschlossen.
    Nachdem sie ihre Zelte abgebrochen hatten, brachen sie daher auf und durchquerten die Stadt Tripolis. Dieses getan, kamen sie bei der Festung Gibellum an. Es war im Monat April, und bereits jetzt zehrten sie von den Ernten. Während sie weitergingen und irgendwann an der Stadt Beirut vorbeikamen, trafen sie auf eine andere Stadt, die wir in unserer Sprache wie Sidon lesen. Sie liegt auf phönizischem Gebiet und wurde von Sidon, dem Sohn Kanaans gegründet, von dem die Sidonier abstammen. Von Sidon zogen die Unseren nach Sarepta weiter. Von da aus rückten sie gen Tyrus vor, einer sehr schönen Stadt. Von hier stammte Apollonius, über den wir gelesen haben. Von diesen beiden Städten sagt der Evangelist "in die Gegend von Tyrus und Sidon." Die Bewohner dieses Gebiets nennen die erstere heute "Sagitta" und die andere "Sur." Auf Hebräisch heißt es "Soor". Dann kamen sie zu einer Festung namens Ziph, das knapp sechs Meilen von Ptolemais entfernt ist. Als nächstes zogen sie an Ptolemais vorbei, das früher Akkon hieß, welches einige der Unseren fälschlich Acheron nennen. Doch Acheron ist eine Philisterstadt in der Nähe von Askalon, zwischen Jamnia und Azotus. Akkon, das heißt Ptolemais, hat aber den Berg Karmel im Süden. Indem sie an ihm vorbeigingen, kamen die Heerscharen zu ihrer Rechten an der Stadt vorbei, die man Haifa nennt. Danach kamen sie in die Nähe von Dora und dann nach Cäsarea in Palästina. Dieses letztere ist seit alters her anders genannt worden, nämlich Stratons Turm. Darin starb, elendiglich von Würmern zerfressen, Herodes Agrippa, der Enkel desjenigen Herodes, zu dessen Zeit Christus geboren wurde. Als nächstes durchquerten die Franken, indem sie das Meer und die Stadt Arsuf zu ihrer Rechten ließen, die Stadt, welche Ramatha oder Arimathea heißt. Ihre sarazenischen Einwohner waren tags zuvor geflohen. Die Franken fanden dort viel Korn, das sie auf ihre Tiere luden und nach Jerusalem beförderten. Nachdem sie dort vier Tage verweilt und für die Basilika des heiligen Georg einen Bischof ernannt hatten und auf den Verteidigungsanlagen der Stadt Männer postiert hatten, richteten die Franken ihren Weg gen Jerusalem. An jenem Tag marschierten sie bis Emmaus, in dessen Nähe sich Modein, die Stadt der Makkabäer, befindet.
    In der kommenden Nacht bestiegen hundert ausgesuchte Ritter ihre Pferde und eilten, wobei sie bei Tagesanbruch in der Nähe von Jerusalem vorbeikamen, nach Bethlehem. Einer von ihnen war Tankred und ein anderer Balduin. Als die Christen, die sich dort aufhielten, Griechen und Syrer, aufgingen, daß die Franken angekommen waren, wurden sie vollends von ihren Gefühlen übermannt. Jedoch wußten sie zuerst nicht, wer die Leute waren, und dachten, daß es Türken oder Araber seien. Doch sowie sie aus größerer Nähe klar erkannten und sich sicher waren, daß es Franken waren, nahmen sie unversehens, voller Freude, Kreuze und Fahnen auf und kamen weinend und inbrünstig singend heraus, um ihnen entgegenzugehen. Sie weinten, weil sie befürchteten, daß so wenig Leute von der großen Masse von Heiden, die wie sie wußten im Lande waren, ganz leicht und jederzeit getötet werden konnten. Sie sangen, weil sie jene willkommen hießen, deren Ankunft sie lange ersehnt hatten und die, wie ihnen schien, den christlichen Glauben, der vom Heiden lange mißbraucht worden war, in seiner ursprünglichen und rechtmäßigen Würde wiederherstellen würden. Nachdem sie in der Basilika der heiligen Maria fromme Gebete an Gott gerichtet und nachdem sie den Ort besucht hatten, wo Christus geboren wurde und den Syrern den Friedenskuß gegeben hatten, gingen die Unseren in Eile in Richtung der Heiligen Stadt, Jerusalem, zurück.
    Siehe, da erschien der Rest des Heeres, welches sich der Stadt näherte. Es hatte Gibeon, fünfzig Stadien von Jerusalem entfernt, zur Linken passiert, Gibeon, wo Josua der Sonne und dem Mond Befehle gab. Als die Standartenträger der Vorhut auf den Höhen den Bürgern ihre Fahnen entfalteten, machten letztere sogleich einen Ausfall wider sie. Doch sie, die rasch herauskamen, wurden noch schneller in die Stadt zurückgetrieben.

Der Juni war bereits von der Hitze seiner siebten Sonne gerötet,
Als die Franken Jerusalem belagernd einschlossen.
 

XXVI. Die Stätten Jerusalems

    Die Stadt Jerusalem liegt in einer bergigen Region, die ohne Bäume, Flüsse und Quellen ist, mit Ausnahme des Teichs von Siloah, der nur einen Bogenschuß von der Stadt entfernt ist. Manchmal hat er genügend Wasser und manches Mal einen Mangel daran, aufgrund einer leichten Entleerung. Diese kleine Quelle befindet sich in dem Tal zu Füßen des Zionsberges im Laufe des Kidronbaches, der zur Winterszeit normalerweise durch das Tal von Joschaphat fließt. Die vielen Zisternen innerhalb der Stadt, die den Winterregen vorbehalten sind, verfügen über genügend Wasser. Weitere, woran auch Menschen und Tiere sich erfrischen können, sind auch außerhalb der Stadt zu finden. Es wird allgemein gesagt, daß die Stadt in so exakten Proportionen angelegt ist, daß sie weder zu klein noch zu groß erscheint. Ihre Breite von Mauer zu Mauer entspricht der von vier Bogenschußweiten. Gegen Westen hin erhebt sich der auf beiden Seiten von der Stadtmauer flankierte Davidsturm; im Süden liegt, etwas weniger weit als eine Bogenschußweite, der Zionsberg; und nach Osten zu, tausend Schritte außerhalb der Stadt, der Ölberg. Der obenerwähnte Davidsturm ist ein festes Gemäuer, auf halbem Wege bergan, mit großen quadratischen Blöcken, die mit geschmolzenem Blei fugendicht gemacht sind. Fünfzehn bis zwanzig Männer könnten ihn, wenn sie ausreichend mit Lebensmitteln versorgt sind, gegen alle Angriffe eines Feindes verteidigen.
    In dieser Stadt ist auch der seiner Form nach runde Tempel des Herrn erbaut, wo Salomon in alten Zeiten den älteren, herrlichen Tempel errichtet hatte. Obwohl er in nichts in seinem Aussehen mit dem früheren Bauwerk verglichen werden kann, ist doch auch dieser von wunderbarer Ausfertigung und äußerst prächtiger Aufmachung. Die Kirche vom Grabe des Herrn ist ähnlich kreisförmig im Aussehen. Sie wurde oben niemals zugemauert, sondern läßt immerzu das Licht durch eine dauerhafte Öffnung einfallen, die unter der Leitung eines sich auf Kunstfertigkeit verstehenden Baumeisters entstand. Ich kann nicht, ich wage nicht, ich weiß nicht, wie ich die vielen Gegenstände, die sie heute beherbergt oder in der Vergangenheit enthielt, aufzählen soll, damit ich nicht irgendwie diejenigen täusche, die darüber lesen oder davon hören. In der Mitte des Tempels war, als wir ihn das erste Mal betraten und auch noch nach fünfzehn Jahren, eine Art natürlicher Felsen. Es wird erzählt, daß die Bundeslade des Herrn zusammen mit der Urne und den Tafeln von Moses in ihn eingelassen sei, daß Josia, der König von Judäa, sie dort ablegen ließ, wobei er sprach: "Nun sollt ihr sie nicht mehr auf den Schultern tragen." Denn er sah die kommende Gefangenschaft vorher. Aber das widerspricht dem, was wir in den Beschreibungen des Jeremia, im zweiten Buch der Makkabäer, lesen, daß er sie persönlich in Arabien verbarg, wobei er sagte, daß sie nicht gefunden würde, bevor nicht sein Volk wieder vereint sei. Jeremia war ein Zeitgenosse König Josias, der König starb aber vor Jeremia. Man erzählte sich, daß der Engel des Herrn auf dem vorgenannten Felsen gestanden hatte und das Volk schlug wegen der Zählung der Menschen, die David dummerweise anstellen ließ und die dem Herrn mißfiel. Überdies wurde dieser Felsen, weil er den Tempel des Herrn verunstaltete, hinterher mit Marmor bedeckt und gepflastert. Nun steht ein Altar auf ihm, und dort hat der Klerus einen Chor aufgestellt. Alle Sarazenen erwiesen dem Tempel des Herrn große Verehrung. Hier wie kaum anderswo sagten sie vorzugsweise die Gebete ihres Glaubens auf, obwohl solche Gebete verschwendet waren, weil sie einem Götzen dargebracht wurden, der im Namen Mohammeds aufgestellt war. Sie erlaubten keinem Christen, den Tempel zu betreten.
    Ein anderer Tempel, der Tempel Salomos heißt, ist groß und wunderbar, doch ist er nicht derjenige, den Salomon erbauen ließ. Dieser konnte wegen unserer Armut nicht in dem Zustand erhalten werden, in dem wir ihn vorfanden. Deshalb ist er bereits zum großen Teil zerstört. In die Straßen der Stadt waren Rinnsteine eingelassen, durch welche in Zeiten des Regens jeglicher Unrat fortgeschwemmt wurde. Der Kaiser Aelius Hadrian schmückte diese Stadt aufs herrlichste und verschönte die Straßen und Plätze mit geeigneten Pflastern. Ihm zu Ehren wurde Jerusalem Aelia genannt. Aus diesen und vielen anderen Gründen ist Jerusalem eine der namhaftesten und ruhmreichsten Städte.

XXVII. Die Belagerung von Jerusalem

    Als die Franken die Stadt erblickten und sahen, daß sie schwer einzunehmen sei, befahlen unsere Führer, hölzerne Leitern anzufertigen. Indem sie diese an die Mauern herantrugen, aufstellten und ungestüm damit die Mauern hinaufkletterten, hofften sie, mit Gottes Beistand in die Stadt einzudringen. Besagte Leitern wurden gezimmert, und am siebten Tag nach der Ankunft gaben unsere Führer den Befehl anzugreifen. Beim Klang der Fanfaren stürmten die Unsrigen mit bemerkenswertem Tatendrang von überallher auf die Stadt ein. Als sie aber den Angriff bis um die sechste Stunde des Tages fortgesetzt hatten und es ihnen nicht gelang, mit Hilfe der Leitern, die sie dazu hergestellt hatten, in die Stadt einzudringen, weil der Leitern zu wenige waren, gaben sie den Angriff, wenngleich widerwillig, auf. Nachdem sie sich beraten hatten, befahlen unsere Führer daraufhin unseren Zimmerleuten, Belagerungsmaschinen zu bauen. Sie hofften dadurch, mit Gottes Hilfe das Gewünschte zu erreichen, wenn diese gegen die Mauern bewegt würden. Also geschah es. Unterdessen litten die Unseren jedoch nicht etwa unter einem Mangel an Brot oder Fleisch, sondern sie wie auch ihre Tiere litten, weil dieses Gebiet trocken, ohne Bewässerung und Flüsse war, unter dem Mangel an Trinkwasser. Und deshalb schleppten sie, weil die Not sie dazu zwang, zur Belagerung täglich Wasser herbei, welches sie mühselig aus vier bis fünf Meilen Entfernung in Tierhäuten beförderten.
    Als die Maschinen, und zwar Rammböcke und sogenannte Scrofae, fertig waren, machten sich die Unseren erneut auf, die Stadt anzugreifen. Unter den genannten Vorrichtungen, die sie zimmerten, war auch ein Turm, der, weil es in jenem Gebiet kein längliches Material gab, aus kurzen Stücken Nutzholzes gefertigt wurde. Als das Kommando kam, transportierten sie den Turm in der Nacht, in Teile zerlegt, an eine Ecke der Stadt. Des Morgens stellten sie ihn in aller Eile, und zwar alle, die zu diesem Zweck zusammengekommen waren, nicht weit von der Mauer entfernt auf, zusammen mit sogenannten Petrariae und anderen Unterstützungswaffen, welche sie dazu hergerichtet hatten. Nachdem sie ihn zusammengebaut und an der Außenseite durch Häute geschützt hatten, schoben sie ihn Stück für Stück näher an die Mauer heran. Danach kletterten einige Krieger, nur wenige, aber dafür mutige, bei einem Fanfarensignal auf den Turm. Nichtsdestotrotz stellten die Sarazenen gegen sie eine Verteidigung auf die Beine. Mit der sogenannten Fundibula schleuderten sie kleine brennende Fackeln, die in Öl und Fett getränkt waren, gegen den Turm und gegen die Kämpfenden, sich darin befanden. Infolgedessen ereilte in diesem Kampf auf beiden Seiten viele ein plötzlicher Tod. Graf Raimund und seine Männer setzten auf der Seite, auf der sie standen, dem Zionsberg nämlich, einen schweren Angriff in Gang. Von der anderen Seite, wo sich Herzog Gottfried, Graf Robert von der Normandie und Robert von Flandern aufgestellt hatten, erfolgte ein noch wuchtigerer Angriff auf die Mauer. Dies waren die Geschehnisse des Tages.
    Am nächsten Tag starteten sie unter Ankündigung von Fanfaren dasselbe Vorhaben mit noch größerem Eifer. Sie schlugen mit Erfolg eine Bresche in die Mauer, indem sie wiederholt an ein und derselben Stelle mit den Rammböcken dagegenhämmerten. Die Sarazenen hatten zwei Hölzer vor ihren Zinnen aufgehängt und befestigten sie mit Seilen als Schutz gegen die Steine, die von ihren Gegnern auf sie geschleudert wurden. Was sie aber im Hinblick auf ihren Vorteil taten, gereichte ihnen danach, aufgrund der göttlichen Vorsehung, zu ihrem Nachteil. Denn als die Franken den besagten Turm gegen die Mauer geschoben hatten, benutzten sie eine Art Sicheln, um die Seile, mit denen die beiden Balken aufgehängt waren, durchzuschneiden. Mit diesen Hölzern fanden sie einen Weg, eine Brücke zu errichten, die sie geschickt vom Turm zum Rand der Mauer legten. Ein aus Stein gebauter Turm an der Mauer, an welcher jene arbeiteten und gegen den unsere Maschinen lodernde Brände geworfen hatten, stand bereits in Flammen. Dieses Feuer, welches nach und nach von den Holzteilen im Innern des Turms gespeist wurde, verursachte so viel Rauchentwicklung und Flammen, daß keiner der Wächter in der Stadt es längere Zeit dort aushalten konnte. Bald, gegen Mittag, drangen daher die Franken siegreich in die Stadt ein, am Tage, der als "Dies Veneris" bekannt ist, an dem Christus der ganzen Welt durch das Kreuz die Erlösung brachte. Mitten im Klang der Fanfaren, während alles in Aufruhr war, griffen sie tapfer an, wobei sie schrien: "Gott mit uns!" Gleich danach hißten sie auf der Mauer ein Banner. Die Heiden waren völlig verängstigt, weil sie samt und sonders ihren einstigen Mut in kopflose Flucht durch die engen Gassen der Stadt verwandelten. Je schneller sie flohen, desto geschwinder wurden sie verfolgt.
    Graf Raimund und seine Männer, die die Bestürmung in einem anderen Teil der Stadt entschieden vorantrieben, stellten dies erst fest, als sie sahen, daß die Sarazenen von der Mauer herabsprangen. Sowie sie dies bemerkten, rannten sie im Siegestaumel, so schnell sie konnten, in die Stadt und schlossen sich ihren Gefährten im Verfolgen und Erschlagen ihrer gottlosen Feinde an, und sie bereiteten dem kein Ende. Einige von diesen, Araber und Äthiopier, flüchteten sich in den Davidsturm, wieder andere sperrten sich im Tempel des Herrn und im Tempel Salomons ein. Auf dem Hof dieser Bauten wurden die Sarazenen zu einem hitzigen Gefecht genötigt. Es gab keinen Ort, wo sie unseren Schwertern entgehen konnten. Eine Menge Sarazenen, die bei ihrer Flucht auf das Dach des Tempels Salomos geklettert waren, wurden mit Pfeilen heruntergeholt und stürzten kopfüber vom Dach. Fast zehntausend wurden in diesem Tempel enthauptet. Wäret ihr dort gewesen, wären eure Füße bis zu den Knöcheln rot gefärbt gewesen vom Blut der Erschlagenen. Was soll ich noch sagen? Daß man keinen von ihnen am Leben ließ, weder Frauen noch Kinder verschonte!

XXVIII. Die Beute, welche die Christen machten

    In was für ein Erstaunen wäret ihr versetzt worden, mitanzusehen, wie unsere Junker und Bedienten, nachdem sie den Betrug der Sarazenen aufgegangen waren, jenen die Bäuche aufschlitzten, die sie soeben getötet hatten, um den Eingeweiden die Bezanti zu entnehmen, die die Sarazenen, während sie noch am Leben waren, mit ihrem ekelhaften Schlund hinuntergeschluckt hatten. Aus eben diesem Grund schichteten die Unsrigen einige Tage später die Leichen zu einem großen Haufen auf und verbrannten sie zu Asche, um leichter an das soeben erwähnte Gold zu gelangen. Und auch Tankred stürmte in den Tempel des Herrn und riß eine Menge Goldes und Silbers an sich und viele Edelsteine. Aber er erstattete diese zurück, indem er sie oder etwas Gleichwertiges zurück an die heiligen Stätten brachte, trotz der Tatsache, daß zu jener Zeit keine Gottesdienste mehr dort abgehalten wurden. Die Sarazenen hatten nach abergläubischem Ritus ihren Götzendienst an diesem Ort ausgeübt und darüber hinaus keinem Christen gestattet, diesen zu besuchen.

Mit gezückten Schwertern rannten die Unsrigen durch die Stadt,
Wobei sie niemanden verschonten, nicht einmal jene, die um Gnade flehten.
Das gemeine Volk fiel, wie faule Äpfel von geschüttelten Zweigen fallen
Und Eicheln von sich im Winde wiegenden Eichen.

XXIX. Der Aufenthalt der Christen in der Stadt

    Nach diesem großen Schlachten drangen sie in die Häuser der Bürger ein, rissen an sich, was sie in ihnen fanden. Dies geschah in der Weise, daß derjenige, der ein Haus als erster betrat, wer immer er war, ob arm oder reich, von keinem anderen Franken deswegen zur Rede gestellt wurde. Er sollte das Haus oder den Palast in Besitz nehmen und sich aneignen, was er darin vorfand, als ob es gänzlich sein eigen wäre. Auf diese Weise erkannten sie sich gegenseitig das Besitzrecht an, und so wurden viele Leute wohlhabend.
    Dann besuchten der Klerus und der Laienstand frohen Herzens die heiligen Stätten, wie sie es sich lange ersehnt hatten, und sie gingen zum Heiligen Grab und Seinem höchst ruhmreichen Tempel, sangen dem Herrn mit der feierlichen Stimme des Triumphs ein neues Loblied, überreichten Gaben und richteten überaus fromme Bittgesuche an Ihn. O du heiß ersehnter Tag! O denkwürdigste aller Zeiten! O Tat der Taten! Wahrhaftig ersehnt, weil im innersten Wunsche des Herzens von allen Anhängern des katholischen Glaubens stets die Hoffnung genährt worden war, daß jener Ort seiner ursprünglichen Erhabenheit zurückgegeben werde, wo Gott, der Schöpfer aller Kreaturen, den Menschen erschuf, in Seinem unermeßlichen Erbarmen mit dem Menschengeschlecht durch Seine Geburt, Seinen Tod und Seine Auferstehung denen, die an Ihn glauben und Ihm vertrauen, das Geschenk der Erlösung erwies. Sie wünschten, daß dieser Ort, der so lange vom Aberglauben der heidnischen Einwohner verseucht war, von ihrem verderblichen Einfluß reingewaschen werde. Es war eine wahrlich denkwürdige Zeit, und mit Recht deswegen, weil an diesem Ort alles was Gott der Herr, unser Jesus Christus, auf Erden tat oder lehrte, als Mensch unter Menschen lebte, ins Gedächtnis derer, die wahren Glaubens sind, zurückgerufen und erneuert wurde. Und dieses selbe Werk, welches der Herr hierfür auswählte, für diese Aufgabe, wie ich glaube, ausersah, um es durch Sein Volk, Seine innig geliebten Kinder und Seine Familie zu vollbringen, soll widerhallen und im Munde aller Völker fortbestehen bis ans Ende aller Zeit.

XXX. Die Ernennung eines Herrschers und Patriarchen in der Stadt und die Entdeckung des Kreuzes unsres Herrn

Im Jahre elfhundert minus eins
Seit der jungfräulichen Geburt des erlauchten Herrn,
Als Phoebus den Juli fünfzehnmal beleuchtet hatte,
Eroberten die Franken mit ihrer Macht Jerusalem
Und machten schon bald Gottfried zum Fürsten des Vaterlandes.

Alle in der Heiligen Stadt aus dem Heere des Herrn wählten Gottfried aufgrund der Würde seines Charakters, seines kriegerischen Könnens, seiner geduldigen Führung und aus nichts Geringerem als der Vornehmheit seiner Sitten wegen zum Fürsten des Königreichs, es zu schützen und zu regieren. Dann setzten sie zu Seinen Diensten in der Grabeskirche und in Seinem Tempel auch Domherren ein. Ferner entschieden sie um diese Zeit, daß so lange kein Patriarch eingesetzt werden sollte, bis man sich beim Papst in Rom Erkundigungen eingeholt habe, wen er in dieses Amt einzuführen gedenke. Unterdessen baten einige Türken und Araber und ungefähr fünfhundert schwarze Äthiopier, die im Davidsturm Zuflucht genommen hatten, Graf Raimund, der in der Nähe der Zitadelle einquartiert war, daß es ihnen unter der Bedingung, daß sie ihre Geldmittel dort zurückließen, erlaubt sein möge, ihr Leben zu retten. Er gestand ihnen dies zu, und sie zogen nach Askalon ab.
    Zu jener Zeit gefiel es Gott, daß an einem geheimen Ort ein kleines Stück vom Kreuze des Herrn gefunden werde. Es war in alten Zeiten von frommen Menschen versteckt worden. Und nun war es durch Gottes Willen von einem gewissen Syrer, der es mit Wissen seines Vaters sorgfältig versteckt und vor dem Verderb bewahrt hatte, wiederaufgefunden worden. Dieses Stück, in Form eines Kreuzes gearbeitet, teilweise mit Gold- und Silberarbeiten bedeckt, trugen sie hoch erhoben gemeinsam zum Grabe des Herrn und von dort zum Tempel, und sie sangen jubilierend und dankten Gott, der diesen Seinen und unseren Schatz über den langen Zeitraum hinweg für Sich und uns aufbewahrt hatte.

XXXI. Ankunft und Angriff der Heiden und Sieg der Christen

    Ferner versammelten der Kalif von Kairo und der Befehlshaber der Streitmacht namens el-Afdal, sowie sie hörten, daß die Franken bereits in ihre Gebiete eingedrungen seien, um sich das ägyptische Kalifat zu unterwerfen, mittels Aufruf eine große Masse von Türken, Arabern und Äthiopiern, und sie beeilten sich den Kampf mit ihnen aufzunehmen. Und als sie durch eine Anzahl weiterer Kundschafter gehört hatten, daß Jerusalem mit einer solchen Raserei eingenommen worden war, wurde der soeben erwähnte Heerführer sehr zornig und rückte heran, den Eindringlingen eine Schlacht zu liefern oder sie in der Stadt eingeschlossen zu belagern. Als die Franken dies erfuhren, faßten sie einen äußerst kühnen Entschluß. Sie ließen ihre Streitkräfte gegen jene Despoten in Richtung Askalon aufmarschieren und nahmen das Holz des lebenspendenden Kreuzes mit sich, von dem oben die Rede war.
    Eines Tages, als die Franken in Erwartung der Schlacht vor Askalon umherstreiften, entdeckten sie eine ansehnliche Beute, bestehend aus Ochsen, Kamelen, Schafen und Ziegen. Als die Unsren, wie der Tag vorüber war, diese Tiere nahe ihren Zelten zusammengetrieben hatten, erließen unsere Fürsten ein striktes Verbot, daß die Leute in Anbetracht der zu erwartenden Schlacht, damit sie durch nichts behindert würden und desto unbelasteter für den Kampf seien, am folgenden Tag ihre Beute mit sich führten. Am nächsten Morgen erfuhren die Franken von den Fährtensuchern, die ausgeschickt worden waren, daß sich die Heiden näherten. Als dies bekanntgemacht wurde, stellten die Führer des Heeres und der Hundertschaften die Ihrigen unverzüglich zu Flügeln und Schlachtreihen auf, ordneten sie aufs beste für das Treffen und rückten mutig mit erhobenen Bannern gegen den Feind vor. Da hättet ihr die obenerwähnten Tiere sehen sollen, wie sie sich rechts und links unserer Heeresordnung nach ihrem eigenen Gutdünken vorwärts bewegten, als sei es ihnen befohlen worden; dennoch hat sie niemand angetrieben. Da zogen etliche der Heiden, die die Tiere mit unseren Bewaffneten ziehen sahen, von fern den Schluß, daß der ganze Aufzug das Heer der Franken sei. Daraufhin näherten sich die Heiden, eine unzählige Menge, wie Hirsche, die mit den Gabeln ihres Geweihes vorwärtsdrängen, unseren Einheiten. Sie teilten ihre Vorhut auf, ließen einen aus Arabern bestehenden fliehenden Flügel ungedeckt und wollten es so einrichten, uns im Rücken zu umzingeln. Als Reaktion darauf ritt Herzog Gottfried mit einer schweren Abteilung gepanzerter Ritter zurück und rettete somit die Nachhut. Die anderen Fürsten zogen weiter, einige in der ersten, andere in der zweiten Reihe. Als sie sich Feind zu Feind bis auf einen Steinwurf genähert hatten, begannen unsere Fußkämpfer, Pfeile auf ihre Gegenüber zu schießen, deren Reihen sich dadurch lichteten. Bald darauf lösten die Lanzen unserer Ritter die Pfeile ab und setzten, als wäre es unter Eid gegenseitig abgestimmt, einen heftigen Angriff in Gang. In dem Getümmel wurden die Schwächeren der Pferde des Feindes über den Haufen geworfen, auf ihre Reiter. In der kurzen Spanne von nur einer Stunde wurden viele der Leiber bleich und regungslos. Zahlreiche der Feinde kletterten während ihrer Flucht auf Bäume. Noch an Ort und Stelle wurden sie mit Pfeilen durchbohrt und fielen tödlich getroffen erbärmlich auf die Erde. In dem wogenden Angriff kamen die Sarazenen allerorten um. Jene, die entkamen, flohen mitten durch ihr Lager zu den Wällen von Askalon. Diese Stadt ist 720 Stadien von Jerusalem entfernt.
    El-Afdal, ihr Anführer, der die Franken bis jetzt geringschätzte, kehrte gleich beim ersten Zusammenstoß den Rücken. Er gab damit unfreiwillig sein Zelt preis, welches zwischen den übrigen aufgeschlagen und mit einer Menge Geldes angehäuft war. Dorthin kehrten die Franken zurück, als glückliche Sieger, und sprachen, wieder vereinigt, Gott ihren Dank aus. Dann drangen sie in des Feindes Zelte ein und fanden unermeßliche königliche Reichtümer vor: Gold, Silber, lange Umhänge und andere Kleidung und Edelsteine. Von den letzteren waren es zwölf verschiedene: Jaspis, Saphir, Chalzedon, Smaragd, Sardonyx, Sarder, Chrysolith, Beryll, Topas, Chrysopras, Hyazinth und Amethyst. Sie fanden auch zahlreiche Gefäße und vielerlei Dinge wie goldverzierte Helme, schönste Ringe, wunderbare Schwerter, Getreide, Mehl und vieles andere. Die Unsrigen verbrachten die Nacht dort und paßten, dadurch daß sie äußerst wachsam waren, gut auf sich auf. Denn sie glaubten, daß am nächsten Tag der Kampf von den Sarazenen wiederaufgenommen würde, aber letztere, die maßlose Angst vor uns hatten, flohen samt und sonders in jener Nacht. Als dieser Sachverhalt am Morgen von den Kundschaftern bestätigt wurde, priesen und verherrlichten die Franken Gott mit überschäumendem Lob, welcher zugelassen hatte, daß soviel Tausend Ungläubige durch ein winziges Christenheer zersprengt wurden. "Gelobt sei der Herr, daß er uns nicht gibt zum Raub in ihre Zähne!" "Wohl dem Volk, dessen Gott der Herr ist!" Haben nicht etwa jene Ägypter damit gedroht, indem sie sagten: "Lasset uns hingehen und Jerusalem mit den eingeschlossenen Franken erobern. Nachdem wir sie alle erschlagen haben, lasset uns jenes Grab, welches ihnen so teuer ist, niederreißen und die Steine aus der Stadt werfen, und niemals wieder soll das Grab je erwähnt werden dürfen." Aber aufgrund von Gottes Gnade wurde dies zunichte gemacht. Unterdessen beluden die Franken die nämlichen Pferde und Kamele mit dem Geld der Sarazenen. Da sie nicht in der Lage waren, die Zelte und die vielen Speere, Bogen und Pfeile, die auf den Boden geworfen waren, in die Heilige Stadt mitzunehmen, übergaben sie alles den Flammen und kehrten dann triumphierend nach Jerusalem zurück.

XXXII. Die Rückkehr der Fürsten in ihre Heimatländer

    Nachdem dieses erreicht war, wünschten einige Leute in ihre Heimatländer zurückzukehren. Sowie sie in den Wassern des Jordan gebadet hatten und in der Nähe von Jericho, von dem man behauptet, daß es der Garten Abrahams sei, Palmzweige gesammelt hatten, brachen Graf Robert von der Normandie und Graf Robert von Flandern zu Schiff nach Konstantinopel auf und kehrten von dort in ihre Besitzungen nach Frankreich zurück. Raimund wandte sich jedoch nach Laodikäa in Syrien, ließ dort seine Gemahlin zurück und ging nach Konstantinopel weiter, mit dem festen Vorsatz zurückzukehren. Herzog Gottfried, der Tankred und einige andere bei sich behielt, leitete in Jerusalem die Regierungsgeschäfte, die er mit dem Einverständnis aller wahrzunehmen sich vorgenommen hatte.

XXXIII. Bohemund und Balduin auf ihrer Pilgerfahrt

    Der edle Bohemund, ein weiser und starker Mann, regierte zu jener Zeit in Antiochien, während Balduin, ein Bruder des eben genannten Gottfried, in Edessa und dem umgebenden Land auf der drüberen Seite des Flusses Euphrat herrschte. Als sie erfuhren, daß Jerusalem von ihren Gefährten, die ihnen vorangegangen waren, eingenommen worden war, waren sie erfreut und statteten dafür Gott Lob und Gebete ab. Auch wenn jene, welche, was die Zügigkeit ihrer Fahrt nach Jerusalem anbelangt, zuerst da waren, ihre Sache gutgemacht und zu ihrem Vorteil erledigt hatten, bestand dennoch kein Zweifel darüber, daß die beiden letzteren mit ihren Begleitern, wenngleich sie später eintrafen, ebenso heldenmütig waren. Denn es war notwendig, daß das Land und die Städte, die man den Türken unter solchen Schwierigkeiten abgenommen hatte, sorgsam geschützt würden. Diese könnten, wenn sie vorschnell unbewacht zurückgelassen worden wären, von den Türken, die nun bis Persien zurückgedrängt worden waren, in einem plötzlichen Angriff zurückerobert werden. In diesem Fall würde allen Franken großes Leid widerfahren, sowohl denen, die nach Jerusalem gehen, als auch denen, die von dort zurückkehren. Vielleicht war es göttliche Vorsehung, die Bohemund und Balduin sich verspäten ließ und die entschied, daß sie nützlicher in dem waren, was zu tun blieb, als darin, was getan worden war. O wie viele Male war derselbe Balduin mittlerweile den Kämpfen gegen die Türken in den Ländern Mesopotamiens überdrüssig geworden. Wie viele türkische Häupter dort abgeschlagen wurden, könnte man unmöglich angeben. Oft geschah es, daß Balduin mit seinen wenigen Leuten gegen eine große Übermacht des Feindes kämpfte und sich mit Gottes Hilfe des Sieges freute. Als nun Bohemund Balduin durch Boten vorschlagen ließ, daß sie beide mit den Ihrigen die Fahrt nach Jerusalem, die sie noch nicht vollendet hatten, zu Ende bringen sollten, regelte Balduin in kurzer Zeit seine Angelegenheiten und machte sich zum Gehen bereit. Als Balduin jedoch hörte, daß die Türken in einen Teil seines Landes eingefallen seien, zögerte er den Beginn seiner Reise hinaus. Da er sein kleines Heer noch nicht für die Fahrt nach Jerusalem zusammengezogen hatte, marschierte er mit nur ein paar Leuten gegen die Türken. Eines Tages fühlten sich die Türken, die dachten, daß Balduin seine Reise nach Jerusalem bereits angetreten habe, in ihren Zelten sicher, bis sie das weiße Banner sahen, welches Balduin trug. Sie gerieten in Panik und flohen so schnell sie konnten. Nachdem er sie ein Stück des Wegs mit seinen Männern verfolgt hatte, kehrte er zu dem Vorhaben zurück, welches er zuvor in Angriff genommen hatte. Indem er die Reise antrat und Antiochien zu seiner Rechten liegen ließ, kam er nach Laodikäa, wo er Vorräte für die Reise einkaufte und von neuem die Packtiere belud. Dann brachen wir auf. Es war im Monat November. Nachdem wir Gibellum passiert hatten, kamen wir an Bohemund heran, der vor einer gewissen Stadt namens Banias sein Zeltlager aufgeschlagen hatte. Bei ihm befand sich ein gewisser pisanischer Erzbischof namens Dagobert, der mit einigen Toskanern und Italienern zur See nach dem Hafen von Laodikäa gekommen war und dort auf uns gewartet hatte, um sich uns anzuschließen. Es war dort auch ein gewisser Bischof aus Apulien. Ein dritter befand sich bei Balduin. Die Zahl derer, die dort in Freundschaft zusammengekommen waren, schätzten wir beiderlei Geschlechts auf fünfundzwanzig-tausend, Berittene und solche zu Fuß.
    Als wir das Innere des Landes der Sarazenen betraten, konnten wir von den feindselig gesinnten Bewohnern weder Brot noch sonst etwas zu essen bekommen. Keiner wollte etwas abtreten oder verkaufen, und als immer mehr unserer Vorräte aufgebraucht waren, trat ein, daß viele kläglich unter Hunger litten. Die Pferde und Lasttiere litten doppelt unter dem Mangel an Futter. Sie mußten laufen, hatten aber nichts zu fressen. Aber auf den bestellten Feldern, über die wir auf unserem Marsch schritten, gab es eine Art reifer Pflanzen, die das gemeine Volk "Honigrohr" nannte und die dem Schilf sehr ähnlich waren. Der Name setzt sich aus "Rohr" und "Honig" zusammen, wovon, glaube ich, der Ausdruck "Holzhonig" stammt, weil letzterer kunstgerecht aus diesem Rohr gewonnen wird. In unserem Hunger kauten wir dieses wegen seines Honiggeschmacks den ganzen Tag lang. Dies half zwar, jedoch wenig. Wahrlich, aus Liebe zu Gott standen wir diese und andere Drangsale wie Hunger, Kälte und heftigen Regen aus. Viele, die Hungers litten, aßen Pferde, Esel und Kamele. Ferner wurden wir sehr oft von übermäßig kalten und häufigen Regengüssen geplagt, denn die Sonnenwärme reichte nicht hin, damit wir unsere durchnäßte Kleidung hätten trocknen können, als uns schon ein neuer Regen für vier oder fünf Tage fortwährend belästigte. Ich sah viele, die keine Zelte hatten, aufgrund des Regens vor Kälte sterben. Ich, Fulcher von Chartres, der ich bei ihnen war, sah viele Menschen beiderlei Geschlechts und eine Vielzahl von Tieren wegen der gefrierenden Regen irgendwann sterben. Es wäre zu zeitaufwendig zu erzählen und zu ermüdend anzuhören, weil keine Schrecken, kein Elend dem Volk Gottes erspart blieben. Oft wurden viele Franken von Sarazenen, die an den engen Pfaden beidseits des Weges lauerten, umgebracht oder wurden gefangen, während sie auf Nahrungssuche ausgingen. Ihr hättet Ritter von edler Geburt sehen können, die sich ins Fußvolk einreihen mußten, weil sie auf die eine oder andere Art ihre Pferde verloren hatten. Ihr hättet auch Ziegen und Hammel sehen können, die man den Sarazenen abgenommen hatte, die aufgrund des Mangels an Lasttieren von dem Gepäck, das man ihnen aufgebürdet hatte, total erschöpft waren und deren Rücken wund war vom Scheuern ihrer Trage. Zweimal unterwegs, und nicht öfter, bekamen wir Brot und Korn, das wir, da wir uns nicht anders zu helfen wußten, zu einem sehr hohen Preis in Tripolis und in Cäsarea einkauften. Somit wird verständlich, daß man etwas Großes nicht ohne entsprechende Anstrengung erreichen kann. Es war wirklich ein Ereignis von großer Tragweite, als wir in Jerusalem ankamen.
    Mit dem Besuch Jerusalems war unsere Aufgabe, die sich in die Länge gezogen hatte, erledigt. Als wir das lang ersehnte Allerheiligste bewunderten, wurden wir von einer unermeßlichen Freude erfüllt. O wie viele Male riefen wir uns da die Prophezeiung Davids ins Gedächtnis, welche besagt: "Wir wollen in seine Wohnung gehen und anbeten vor dem Schemel seiner Füße." Wahrheitsgemäß sahen wir jene Prophezeiung in diesem Augenblick in Erfüllung gehen, jedoch vieles daran bezog sich auch auf anderes. Dort stiegen wir wahrhaftig, "wohin die Stämme hinaufsteigen, die Stämme des Herrn", um an Seinen Heiligen Stätten "zu preisen den Namen des Herrn." Am Tag unseres Einzugs in Jerusalem nahm die untergehende Sonne, die ihren Tiefstand während des Winters beendet hatte, wieder einen ansteigenden Lauf. Als wir das Grab des Herrn besucht hatten sowie Seinen höchst ruhmreichen Tempel und andere heilige Orte, gingen wir am vierten Tag nach Bethlehem, um die Geburt des Herrn zu feiern. Wir wollten diese Nacht den Gebeten an der Krippe, wo die verehrte Mutter Maria Jesus gebar, persönlich beiwohnen. Nachdem wir die dazugehörige Andacht in jener Nacht beendet und die dritte Messe zelebriert hatten, kehrten wir um die neunte Stunde des Tages nach Jerusalem zurück. O welch ein Gestank die Mauern der Stadt umgab, sowohl inner- als auch außerhalb, von den verwesenden Körpern der von unseren Kameraden zur Zeit der Einnahme der Stadt erschlagenen Sarazenen, die herumlagen, wo sie gerade zur Strecke gebracht worden waren! Nachdem wir uns und unsere Tiere durch eine dringend benötigte Rast eine Weile erquickt hatten und nachdem der Herzog und die anderen Hauptleute den obengenannten Dagobert als Patriarchen für die Kirche des Heiligen Grabes gewählt hatten, füllten wir unsere Vorräte wieder auf, beluden unsere Tiere und gingen hinab zum Jordanfluß. Einige aus dem Heer, die als letzte ankamen, entschieden sich, in Jerusalem zu bleiben; andere, die schon vorher gekommen waren, zogen es vor, mit uns zu gehen. Herzog Gottfried setzte die Regierung des Gebiets von Jerusalem wie früher mit starker Hand fort.

Am Dritten der Iden des August, einem düsteren Tag,
Ging der ehrwürdige Urban, Pontifex von Rom, von uns.
 

XXXIV. Die Rückkehr Fürst Bohemunds und Graf Balduins in ihre Ländereien

    Im Jahre 1100 seit der Menschwerdung unseres Herrn, am Neujahrstag, nahmen wir alle eine Palme auf, deren Zweige wir, wie es der Brauch ist, in Jericho geschnitten hatten, und am zweiten Tag traten wir die Rückreise an. Es gefiel unseren Fürsten, durch die Stadt Tiberias zu ziehen, welche an einem See gelegen ist. Dieser See, der aus Süßwasser besteht, ist achtzehn Meilen lang und fünf Meilen breit. Von dort aus zogen wir durch Cäsarea Philippi, welches auf syrisch Paneas heißt. Es liegt zu Füßen des Libanongebirges an einem Ort, wo zwei Quellen entspringen und den Jordanfluß bilden. Dieser fließt durch den See Galiläas und weiter ins Tote Meer. Überdies ist dieser See, der auch Genezareth genannt wird, vierzig Stadien breit und hundert lang, wie Josephus angibt. Der Fluß fließt weiter in seinem Bett und ergießt sich in jenes Meer, welches das Tote genannt wird, weil es keinerlei Leben enthält. Man glaubt, daß dieser See, der auch Asphaltsee heißt, bodenlos ist, weil Städte wie Sodom und Gomorrha in seinen Tiefen verschwunden sind.
    Ich habe sorgfältigste Untersuchungen angestellt, was diese Quellen angeht, die bei Sankt Hieronymus erwähnt sind, dessen Buch über den Propheten Amos ich gelesen habe. Ich schloß daraus, daß Dan innerhalb der Grenzen Judäas lag, wo jetzt Paneas liegt. Weil der Stamm Dan dort eine Stadt erbaute, nannte das Volk sie Dan nach ihrem Vorfahren. Aus diesem Grund wurde die Quelle, so glaube ich, Dan genannt und die andere in ihrer Nachbarschaft Jor.
    Dann kamen wir zu einer sehr stark befestigten Stadt namens Baalbek, die von Salomon gegründet, von ihm mit hohen Mauern umgeben und von ihm Tadmor genannt wurde. Diese Stadt ist einen Zweitagesmarsch vom oberen Syrien entfernt, sechs Tage vom Großen Babylon und einen Tag vom Euphrat. Die Griechen nannten sie Palmyra. Quellen und reichliche Brunnen sind vorhanden, doch in der Wüste hat man Wasser noch nie gefunden. Hier trafen ungefähr vierhundert türkische Krieger aus Damaskus mit uns zusammen. Da sie gesehen hatten, daß wir schwach und erschöpft waren von unseren Anstrengungen, glaubten sie uns vielleicht in irgendeiner Form schaden zu können. Wenn nicht durch Zufall der edle Balduin derjenige gewesen wäre, der uns im Rücken deckte, was er sorgfältig und gestreng tat, wären viele der Unseren getötet worden. Ihre Pfeile und Bögen versagten aufgrund des Regens, denn in jenen Ländern wird, um Waffen anzufertigen, Leim hierfür hergenommen. Bohemund kommandierte die Vorhut, und durch Gottes Beistand errang der Feind keinen Vorteil über uns.
    Dann lagerten wir uns vor der obenerwähnten Stadt. Gleich am nächsten Tag kamen wir näher ans Meer und zogen an den Städten Tortosa und Laodikäa vorüber. In Laodikäa trafen wir Raimund an, den wir dort zurückgelassen hatten. Da die Verpflegung knapp war, konnten wir keine Vorräte kaufen, von denen wir hätten leben können. Daher eilten wir ohne uns aufzuhalten weiter, bis wir in Edessa ankamen.

XXXV. Die Gefangennahme Fürst Bohemunds

    Bohemund kam als erster in Antiochien an, wo er von seinen Freunden begeistert empfangen wurde und wo er weitere sechs Monate wie bisher regierte. Aber im folgenden Monat Juli, als er mit ein paar Leuten sich der Stadt, die Melitene heißt, näherte - die ihm von seinem Gönner namens Gabriel als Ausdruck des Pfandaustauschs und gegenseitiger Freundschaft übergeben werden sollte -, rückte ein gewisser Emir namens Ibn-Danischmend mit einer großen Menge von Türken gegen ihn vor. Seine Absicht war es, Bohemund, der nichts von ihm ahnend dahinmarschierte, den Weg abzuschneiden; und nicht weit von der obenerwähnten Stadt drangen jene Verruchten aus dem Hinterhalt von überallher auf Bohemund ein. Die Unsrigen, die nicht zu kämpfen wagten, weil sie zu gering an Zahl waren, zerstreuten sich sogleich und flohen. Die Türken brachten viele von ihnen um und nahmen all ihr Geld an sich. Sie nahmen auch Bohemund fest und führten ihn in die Gefangenschaft.
    Als die Nachricht von diesem Unglück von denen, die entkamen, überbracht wurde, machte sich unter den Unsrigen eine große Niedergeschlagenheit breit. Herzog Balduin von Edessa jedoch scharte so viele Franken, wie er in Antiochien und Edessa finden konnte, um sich und suchte unverzüglich nach dem obenerwähnten Feind an dem Ort, wo er sich nach dem Gehörten aufhalten sollte. Bohemund seinerseits schnitt sich eine Locke seines Haares vom Kopf und ersuchte Balduin durch dieses Zeichen, das zuvor unter ihnen abgesprochen war, aus Liebe zu Gott unverzüglich Hilfe zu leisten. Als Danischmend davon erfuhr, fürchtete er ihre Rache und wagte es nicht länger, sich vor Melitene, welches er durch einen Belagerungsring eingeschlossen hatte, aufzuhalten. Statt dessen zog er sich allmählich vor uns zurück, und es gelang ihm, in sein Land zurückzukehren. Aus diesem Grund waren wir sehr enttäuscht, denn wir hatten die Türken in dem heißen Verlangen, ihnen eine Schlacht zu liefern, drei Tage über Melitene hinaus verfolgt. Als wir zurückkamen, übergab Gabriel, der zuvor erwähnt wurde, die Stadt Melitene an Balduin. Nachdem er die Bande der Freundschaft geknüpft und seine Aufseher in Melitene eingesetzt hatte, ging letzterer nach der Stadt Edessa zurück. Die aus Antiochien kehrten, ihres Herrn verlustig, nach Hause zurück.

XXXVI. Der Tod Herzog Gottfrieds

    Gerade als Balduin sein Glück zu genießen anfing, siehe! da verkündete ihm ein Bote aus Jerusalem, daß Herzog Gottfried, sein Bruder, am fünfzehnten Tag vor den Kalenden des August daselbst gestorben war.

Zu Beginn des Jahres, nachdem die Stadt erobert worden war, schenkte Dir,
Herzog Gottfried, der Herr zur Krönung Deiner Verdienste
Diese Herrschaft. Aber nicht lange hast
Du sie ausgeübt, als Du durch eine Fügung des Schicksals umkamst.
Als die aufgehende Sonne in das Zeichen des glühenden Löwen eintrat,
Stiegest Du frohen Sinnes, getragen vom Erzengel Michael, in den Himmel empor.

HIER ENDET DAS ERSTE BUCH
 

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