Die Leugnung des Urknalls
Über das Sein, das Werden und das Vergehen
Parmenides von Elea gilt als der
Begründer der Seinslehre. In seinem Lehrgedicht Von der Natur
vertritt er bereits die Ansicht, daß von Nichts nichts kommt, und diese
fundamentale Aussage hat, wie wir nachfolgend zeigen werden, nichts von
ihrer Aktualität eingebüßt, egal zu welchen Formulierungen sich Kosmologie
und Astrophysik durchringen. Als Ontologie hat die von Parmenides
begründete Disziplin in die Philosophie Einzug gehalten.
–
»Alles fließt«,
sagt sein Kontrahent, der griechische Philosoph Heraklit, der
etwa zur selben Zeit lebte, und er stand damit im krassen Gegensatz zu Parmenides; dabei hatte
wahrscheinlich auch er gar nicht einmal so unrecht damit,
wenn man den scheinbaren Widerspruch auflöst.
Seit Bekanntwerden der
Masse-Energie-Äquivalenzrelation wissen wir, daß Energie proportional zur
Masse ist. Nun ist aber Masse gleich Dichte mal Volumen d.h. Raum, wobei
Dichte wiederum nichts anderes ist als die im Raum konzentrierte Masse. Wenn
nun aber die Erhaltungssätze gelten
–
und es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln
–,
dann muß auch das Produkt aus Dichte und Raum konstant sein, d.h. es ist gar
nicht nötig, die Ausdehnung des Weltalls mit seiner Entstehung in
Zusammenhang zu bringen, weil sein Urzustand ebensogut durch einen minimalen
Raum von maximaler Dichte begründet werden kann, deren Produkt wiederum der
Ruhemasse bzw. -energie des Universums gleichgesetzt werden kann. Zwischen
dem Anfangszustand mit maximaler Dichte und minimalem Raum und dem
Endzustand mit minimaler Dichte und maximalem Raum folgt unter der Annahme,
daß die Erhaltungssätze nicht angetastet werden dürfen, daß das Weltall
endlich sein muß. Wer nun behauptet, daß das All kleiner gewesen sei, als es
seiner maximalen Dichte multipliziert mit dem minimal möglichen Raum
entspricht, verletzt den Energieerhaltungssatz in ebensolcher Weise wie der,
der einen unendlich ausgedehnten Raum annimmt. Beides ist überholtes
euklidisches Denken. Zwischen diesen beiden Extremen minimaler und maximaler
Weltgröße ist die Lichtgeschwindigkeit das begrenzende Element hinsichtlich
der Ausbreitung, d.h. das Weltall kann sich gar nicht schneller ausdehnen
als mit Lichtgeschwindigkeit. Um denselben Faktor muß aber auch die Dichte
umgekehrt proportional abnehmen, zumal das Produkt aus beiden zur Energie
proportional ist und daher konstant sein muß:
Die maximale Dichte kann nicht diejenige
übertreffen, die in einem Schwarzen Loch herrscht. Dichter läßt Materie sich
nicht packen. Was zwischen diesen beiden Grenzwerten liegt, also alles
Seiende, wird mit der Zeit vollständig in Entropie umgewandelt, denn Zeit
ist nichts anderes als Entropiezunahme. Es ist das große Verdienst eines Max
Planck, erkannt zu haben, daß sämtliche natürlichen Prozesse nur in eine
Richtung ablaufen, und daß die Entropie dabei jedesmal ein Stück
größer wird.
Zwar hat schon Rudolf Clausius gewußt, daß bei sämtlichen Prozessen, in
denen Wärme eine Rolle spielt, Energie »fehlt«,
aber gerade deswegen wurde wohl von ihm auch ein Term hinzugefügt, den er
Entropie nannte und der diese Differenz ausgleichen sollte. Daß dieser Term
langsam aber sicher alle Freie Energie verbrauchen würde, bis nur noch
Unordnung herrsche, war bis dahin aber niemandem bewußt. Der Wärmetod des
Universums, sein Zustand maximaler Entropie,
markiert also zugleich sein maximal
erreichbares Alter. Bisher wurde angenommen, daß die Entropie des Universums
bei seiner Geburt minimal oder gar Null gewesen sei; entsprechend müßte sie
zum Ende hin maximal werden. Der Zustand absoluter Gleichverteilung
wurde von Planck allerdings nicht zu Ende gedacht; denn das Ende des
Universums ist keineswegs ein diffuses, gleichmäßig verteiltes Gas, sondern
in diesem Prozeß des Sterbens, nachdem sämtliche Sterne vollständig
ausgebrannt sind, geht zwar die Temperatur fast auf ihren absoluten
Nullpunkt zurück,
aber seine Masse ist
deswegen noch längst nicht verschwunden. Jedenfalls ist Galaxienbildung in
bezug auf das gesamte Universum alles
andere als ein Prozeß zunehmender Entropie; vielmehr ist es sogar umgekehrt:
Die Bildung von Sternen und Galaxien ist geradezu ein ausgesprochener Prozeß
sich herausbildender Ordnung, der in der Entstehung vieler Schwarzer Löcher gipfelt.
Jedes unserer Milchstraße ähnliche System enthält in seinem Innern ein
gigantisches, massereiches Schwarzes Loch, welches langsam aber sicher alle
Sterne um sich herum in sich hineinzieht. Die Massenansammlung in einem
solchen Gebilde ist derart hoch, daß kein Licht mehr nach draußen dringt. Am
Ende aller Tage werden alle Sterne sämtlicher Galaxien von einem solchen
Schwarzen Loch verschluckt sein, und die Entropie des Alls wird gegen Null
gehen, je mehr Schwarze Löcher sich zu einem einzigen vereinigen, bis ihr
Ereignishorizont durch Zerfall erlischt, so wie es im Anfang war:
Nach den Aussagen der Allgemeinen
Relativitätstheorie hört der die Schwarzen Löcher umgebende Raum irgendwann
auf zu existieren, spätestens dann, wenn keine Materie mehr außerhalb irgend
eines Schwarzen Lochs vorhanden ist. Dann spielt es auch keine Rolle mehr,
ob eines oder viele solcher Schwarzen Löcher vorhanden sind, weil es den sie
verbindenden leeren Raum dazwischen nicht mehr gibt. Somit wird der
Zustand des Alls am Ende der sein, der er am Anfang war, und das Spiel mit
der Entstehung kann erneut beginnen. Das zeigt insbesondere, daß nichts
erschaffen worden sein kann, weil Raum und Zeit sich immer wieder
aufs neue emporziehen. Was dazwischen passiert, sind zwei gegenläufige Tendenzen: die
distributive Wirkung der thermodynamischen Bewegung mit zunehmender Entropie
im Gefolge und die anziehende Wirkung der kohäsiven Kräfte, allen voran die
Gravitation, mit abnehmender Entropie. Erstere führt zu mehr Zuständen mit
verstärkt gleicher Besetzung, sprich Unordnung, letztere zu weniger
Zuständen mit sehr ungleicher Besetzung, d.h. Ordnung. Es gibt also zwei
Welten: eine, in die man hineinsehen kann, das ist diejenige, in der wir
leben, und eine zweite, die uns verschlossen bleibt, weil nichts, auch kein
Licht, aus ihr herauskommt. Da sich die Energie durch diesen Prozeß nicht
ändert, sondern lediglich in Entropie umgewandelt wird, die in ihrem Maximum
umkehrt und wieder gegen Null strebt, wird letztlich auch der
Ausgangszustand der Welt wiederhergestellt: ein homogenes, gleichverteiltes
heißes Gas ohne irgendwelche Schwarzen Löcher, denn diese sind nach einer
Lebensdauer
die größer ist als das Alter das
Universums, durch Hawking-Strahlung zerfallen. Werden und Vergehen sind also
nichts anderes als Energieumwandlungen des Seins, wie Heraklit es zutreffend
ausdrückte, das Sein aber ist ewig, wie Parmenides es formulierte.
Der wesentliche Unterschied zur
Urknalltheorie besteht darin, daß beim Urknall die Materie ohne
ersichtlichen Grund einfach entsteht, unter Nichtbeachtung der Naturgesetze, während sie nach dieser Theorie schon
immer existent war und es eines Schöpfers zu ihrer Erklärung nicht
bedarf. Machen kann aus logischen Gründen nur der etwas, der selbst aus
etwas gemacht ist. Es kann nur werden, was in anderer Form bereits da ist. Denn
es gibt kein Entstehen aus dem Nichts und kein Vergehen in das Nichts.
Alles bleibt, denn es gibt nur das ewig sich wandelnde Sein, mag man es
nun Gott nennen oder anders. Anfang und Ende allen Weltgeschehens sind
zyklisch wiederkehrend, die Periodendauer dieser Zyklen kennen wir nicht. Kein Teilchen wird
vernichtet und keines geboren. Selbst das Licht kehrt irgendwann in sich zurück. Weil aber der Raum nicht taghell erleuchtet ist, läuft das
Licht stets vor sich selbst her. Der Raum dehnt sich maximal mit
Lichtgeschwindigkeit aus, allerdings nur im fernsten Punkt. Daher kann man
nur sehen, was innerhalb des Ereignishorizonts liegt, weil nur dieses jünger
sein kann als das Alter des Universums. Wir können also nicht in unsere
frühere Vergangenheit zurückblicken, sonst würden wir die Zukunft schauen
– und
dem steht das Kausalitätsgesetz entgegen. So gesehen ist Zeit nichts anderes
als eine bloße Entropieänderung. Gleichzeitig findet in der uns nicht
zugänglichen Parallelwelt der Schwarzen Löcher eine Entropieumkehr statt, die
wieder gegen Null geht, sobald die reale umgebende Entropie ihr Maximum
erreicht hat, den absolut leeren Raum und darin eingebettet nichts als
Schwarze Löcher. In der Summe müssen sie aber stets den gleichen
Wert konstanter Energie ergeben, ähnlich wie die quadrierten Sinus- und
Kosinusfunktionen sich zu 1 ergänzen:
Nur so kann dieses System reibungslos
weiterlaufen. Die Welt wechselt somit nach einer halben Weltdauer hinüber in
ihre Parallelwelt, in der sich allerdings dieselben Materiebausteine
wiederfinden, die vorher in der realen Welt sichtbar waren.
Den Grund, warum es Energie gibt und
warum diese konstant bleibt, kennen wir nicht. Wir wissen auch nicht, ob sich
die wiederholten Welten mit allem darin befindlichen Leben genauso
abspielen werden wie die vergangenen. Einen erkennbaren Sinn hat auch ein
solcher Mechanismus nicht, zumal ja die Natur alle ihre Fehler und
Unzulänglichkeiten nur immer wieder aufs neue begehen kann. Was sollte sie auch besser
machen, wenn die Naturgesetze nun einmal sind, wie sie sind, und wenn diese
unsere Welt die beste aller Welten ist, wie Immanuel Kant es einmal
ausgedrückt hat? Der
philosophische Aspekt dieser Botschaft ist, daß der Mensch, der weiß, daß er
dasselbe Leben möglicherweise noch unendlich oft leben muß, sein Leben danach einrichtet
und anders lebt, als er ohne dieses Wissen leben würde. Gerade jene
vorausschauende Selbstlenkung ist es offenbar, was die Natur von sich selbst
will.