Vom Geist der Wiedergeburt
Daß der Kosmos und die Natur schwer zu verstehen
sind, ist eine unbestreitbare Tatsache. Selbst große Denker, Astrophysiker und
Philosophen haben dieses Geheim-nis bislang nicht gelüftet. Anders verhält
es sich hingegen mit unserer
eigenen Existenz, sie können wir
begreifen. Wir leben, weil wir geboren wurden, und aus keinem anderen Grund.
Und da wir geboren wurden, müssen wir zuvor gezeugt worden sein, hervorgegangen aus der Verschmelzung zweier
Geschlechtszellen, denn nichts anderes als ein Fortpflanzungsmechanismus
hätte uns zu unserer Existenz verhelfen können. Wir leben demnach, weil die, die uns
erschufen,
den Beischlaf miteinander ausübten. Das also sind die Gründe,
warum es uns gibt.
Die höheren Lebewesen haben sich im Laufe der Evolution
durch Mutationen aus primitiveren Lebensformen entwickelt. Bedingung
dafür und damit Ursache des Lebens war die Existenz der Aminosäuren, jener
kleinsten Bausteine alles Organischen, und die treibende Kraft, die erst den
Zusammenschluß zu größeren Molekülen ermöglicht, war die gegenseitige
Anziehungskraft der Massen, die dem Newtonschen Gravitations-gesetz
gehorchen. Was dann noch fehlte war eine
Energiezufuhr, gleich welcher Art, um die chemischen Reaktionen auszulösen. Damit die heutigen Lebensformen entstehen konnten, bedurfte es
eines Planeten mit sehr speziellen Lebensbedin-gungen, z.B. mit Wasser- und
Sauerstoffvorkommen, einer moderaten mittleren Temperatur und einem
schützenden Magnetfeld. Dies alles sind die Voraussetzungen, damit Leben
überhaupt entstehen konnte, denn eine Eigenschaft allein reicht dazu bei weitem
nicht aus. Es bedarf zur Entstehung des Lebens auch keines Gottes, nur eines
beinahe unendlich großen Zufalls für ein mit fast verschwindend geringer
Wahrschein-lichkeit eintretendes Ereignis, damit alle Bedingungen, an die das
Leben geknüpft ist, zusammengenommen gleichzeitig erfüllt sind, wenn es
quasi von selbst in Gang kommen soll.
Das Gehirn mit all seinen Funktionen und Fähigkeiten
der Sinneswahrnehmung, des Denkvermögens, der Gefühlsäußerung und des
Ich-Bewußtseins ist integraler Bestand-teil des Körpers und stirbt mit
diesem bei nicht ausreichender Energiezufuhr wie jedes andere Organ nach dem
Tode ab. Was wir Seele nennen, ist an Körperfunktionen gebunden und kann
nicht aus dem Nichts heraus entstanden sein. Kognitive Fähigkeiten besitzt
nicht nur der Mensch; letzterer unterscheidet sich vom Tier im wesentlichen
durch Sprach- und erhöhte Lernfähigkeit bzw. handwerkliches Geschick sprich
Intelligenz. Die für die Gehirntätigkeit verantwortlichen neuronalen Netze
tauschen sich durch elektrochemische Wechselwirkungen aus. Wenn man dem
Gehirn sozusagen den Strom abdreht, geht schlagartig auch die Persönlichkeit
und damit die Seele verloren. Nach den Naturgesetzen ist es nicht möglich,
daß eine rein geistige Existenz ohne Energiezufuhr, etwa vom Körper oder
ersatzweise aus irgendeinem Reservoir gespeist, weiterleben kann. Dafür gibt
es keinerlei Hinweise, zumal ja die Persönlichkeit nicht nur aus den
entsprechenden geistigen Fähigkeiten besteht, sondern zu ihrem Dasein auch
einen entsprechenden Apparat benötigt, der eben aus der Hirnmasse mit ihren
grauen Zellen und neuronalen Verknüpfungen besteht. Niemand könnte doch
ernsthaft behaupten, daß eine Software auf einem Computer ohne die
entsprechende Hardware und Stromversorgung lauffähig sei. Die Software kann
allenfalls noch auf gedrucktem Papier oder in einem gebrannten EEPROM
existieren. Somit muß eine metaphysische Seele gar nicht postuliert
werden, wo sie doch als substantielles materielles Gebilde schon in der
bloßen Realität existieren kann.
Das Ich in unserer Seele ist ein infinitesimales
Linienelement des vierdimen-sionalen Raum-Zeit-Kontinuums und folgt genau
einer Weltlinie, genauer gesagt sind es die durch chemische Bindung
zusammengehaltenen Atome, die alle ungefähr parallelen Weltlinien folgen,
solange der Zusammenhalt gewahrt bleibt. Lösen sich die Bindungen zwischen den einzelnen
Atomen jedoch auf, etwa durch Verwesung des Organismus, folgt jedes Atom,
vielleicht schon in einen anderen Organismus integriert, einer eigenen
Weltlinie, wodurch das Ich buchstäblich zerfließt. Theoretisch kann das Ich
neu entstehen, wenn dieselben oder identisch austauschbare Teilchen sich auf
genau denselben Weltlinien wiederfinden würden, wie sie verlaufen wären,
wenn das todbringende Ereignis nicht stattgefunden hätte. Dieser Fall kann
aber von selbst nicht eintreten, weil die Irreversibilität sämtlicher
natürlichen Vorgänge aufgrund des Zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik dem
entgegensteht. Es hieße auch, die Kausalität zu ändern, was schon nach der
Speziellen Relativitätstheorie nicht möglich ist, und es ist außerdem nicht
möglich, jedes für die Identität der Persönlichkeit notwendige Atom mit all
seinen Raumzeitkoordinaten so an der richtigen Stelle im vierdimensionalen
Kontinuum zu plazieren, daß das Ich vollständig wiederhergestellt werden
kann, weil die zuletzt angenommene Konfiguration nicht bekannt ist.
Das Ich läßt sich auch nicht klonen, nicht einmal bei
eineiiger genetischer Überein-stimmung. Zwillinge haben bekanntlich jeder
ein eigenes Ich, weil ihre Weltlinien zwar recht ähnlich, aber immer noch
unterschiedlich genug verlaufen. Eine gegenseitige Durchdringung zweier
Körper läßt sich ebenfalls nicht realisieren, und selbst dann hätte das
geklonte Wesen eine andere Vorgeschichte mit anderen Erfahrungen. Wir müssen
uns daher mit unserer Einmaligkeit, unserem Gefangensein in Raum und Zeit
und unserem Tod abfinden. Selbst wenn das Weltall unendlich oft wiederkehren
würde, wäre die exakt gleiche Kausalitätskette und damit auch unsere
Wiedergeburt schon aufgrund der Heisenbergschen Unschärferelation mit der
Wahrscheinlichkeit Null versehen. Und auch wenn es anschaulich nur schwer
vorstellbar ist, aber die Natur würfelt tatsächlich, wobei dieser Würfel
unendlich viele Oberflächen mit genauso vielen unterschiedlichen Zahlen
aufweist.
Beweise für die Existenz einer metaphysischen Seele
gibt es bislang nicht, und es kann sie schon rein empirisch nicht geben,
weil das Metaphysische mit unserer Vorstellung nicht faßbar ist und somit
real auch nicht nachgewiesen werden kann. Wer etwa etwas anderes behauptet,
lebt in seiner eigenen, rein spekulativen Welt, die jedem wissenschaftlichen
Zugang fremd ist. Meist neigen dazu Menschen mit geringer oder nicht
ausreichender Bildung, die durch überkommenes religiöses Gedankengut negativ
beeinflußt wurden. Solche Spekulationen rühren in der Regel vom Nachsinnen
über die nicht zu beantwortende Sinnfrage her. Alle großen Religionsstifter
haben sie bisher gestellt, aber auch nur willkürlich
beantwortet, indem sie die Welt als Schöpfung eines allmächtigen Gottes
ansahen, der dem Menschen die Wahl zwischen Gut und Böse läßt. Das Böse,
behaupten sie, würde nach dem Tode bestraft, das Gute dagegen belohnt. Einen
wirklichen Beweis bleiben allerdings alle diese Theorien schuldig. Vielmehr
ist offenkundig, daß im echten Leben das Böse weder bestraft noch das Gute
belohnt wird. Warum es dann, wenn überhaupt, im jenseitigen oder nächsten
Leben bestraft oder belohnt werden sollte, können diese Leute ebenfalls
nicht schlüssig begründen. Welches überirdische Wesen sollte eine Genugtuung
daran haben, ob der Mensch in diesem Leben gut oder böse war, und welchen
Unterschied sollte das in seinem nächsten machen? Wer ist es, der die
Belohnungen verteilt und die Bestrafungen vornimmt, und warum belohnt und
straft er nicht sofort – etwa um Zeit für eine Bewährung zu lassen? Warum
sollte Gott den Menschen – wenn man diesen Gedanken nicht ohnehin sofort
wieder beiseite schiebt – nach seinem Ebenbild erschaffen haben, so wie er
tatsächlich ist: degeneriert und voller Mängel? Um ihn anschließend für sein
eigenes Werk zu bestrafen? Das wäre doch nicht logisch. Überhaupt ist ein
strafender Gott eine sehr menschliche Erfindung. Primitive Rachgefühle und
Haß ziemen eines Gottes nicht, sondern reflektieren ihn als ein aus niederen
Beweggründen handelndes Wesen. Gott menschliche Eigenschaften
anzudich-ten – nichts anderes vermag der Mensch offenbar. Jedoch reicht auch das nicht hin, die Welt
in ihrem Innersten zu erklären, geschweige denn, daß die Physik das
jemals können wird. Aber muß sie das überhaupt; warum nicht das Sein
akzeptieren, wie es ist? Viele kluge Leute haben sich deswegen schon den
Kopf zerbrochen, aber zur Erkenntnis gelangt sind sie dadurch nicht. Was
nicht geht, das soll man besser bleiben lassen, sonst kommt nichts als
eine unfundierte Meinung dabei heraus, ein Sammelsurium selbstgezimmerter
Heilslehren, die dem wahren Wesen der Natur auch nicht besser gerecht
werden. Der Wunsch, nach dem Tod weiterzuleben, und der nach Gerechtigkeit
trachtende Sinn des Menschen sind zwar durchaus verständlich – wenn auch
leicht zu durchschauen –, zu einer Sinngebung des Daseins tragen sie aber
dennoch nichts bei. Das Tier versucht dieses erst gar nicht und lebt glücklich und
zufrieden, bis es von einem anderen aufgefressen wird. Nur der Mensch will
mehr wissen und macht sich damit erst recht unglücklich, weil ihm diese
Erkenntnis auf ewig verborgen bleibt.
Abstruse Theorien wurden als Erklärungsversuche schon
mehr als einmal geschmie-det, die wohl seltsamsten unter ihnen stammen aus
Indien. Wer auf die leeren Versprechungen von Scharlatanen hereinfällt und
labil genug ist, an sie zu glauben, kommt leicht in Gefahr, aus Sehnsucht
nach einem zweiten, besseren Dasein freiwillig aus dem Leben zu scheiden. Im
übrigen basieren alle Religionen auf der Annahme eines zur freien
Entscheidung fähigen Willens, denn wenn alles determiniert ist, kann es
diesen freien Willen natürlich nicht geben, aber auch, wenn alles nur Zufall
ist, entscheidet nicht der Mensch über Gut und Böse, sondern die Laune der
Natur. Ein solcher freier Wille setzt voraus, daß der menschliche Körper von
extern durch eine sogenannte Seele gelenkt werden kann, und daß die Seele
über den Körper Macht und Zwang ausübt. Doch dies steht
im Widerspruch dazu, daß vielmehr innere Regungen und gedankliche
Fluktuationen unser Denken steuern und wir nur deren unfreiwilliges Opfer
sind, Vollzieher unserer Triebe und Begierden. Auf einen freien Willen gibt
es bislang keinerlei Hinweise, zumal dieser das Kausalitätsgesetz verletzen
würde, indem er sich selbst zum Naturgesetz erklärt. Der Mensch unterliegt
aber im Gegenteil in jeder seiner Regungen der Natur, die Natur
bestimmt sein Denken und Handeln, er ist nur ihr bloßes Werkzeug. Nachdem
also der
menschliche Wille nicht frei ist, gibt es auch keine Wahlmöglichkeit, sich
eindeutig für das Gute oder Böse zu entscheiden, und wenn es nicht möglich
ist, sich für eines von beiden zu entscheiden, kann man auch für das Böse,
das man im Leben getan hat, nicht bestraft werden.
Die Religion der Hindus
gipfelt nun darin, auch dem Tier eine Seele zuzubilligen, und verbietet den
Genuß von Fleisch, weil dieser ein Tötungsdelikt darstellt. Daß die Tiere,
wenn sie denn schon eines natürlichen Todes sterben müssen, vielfach
qualvoller verenden, als wenn sie schnell getötet werden, das sieht der
Hindu nicht und entscheidet im Zweifelsfall, daß es für das Tier besser sei
zu leiden. Über solche Widersprüchlichkeiten denken Religionseiferer aber
meist nicht nach, auch nicht darüber, daß eine Überpopulation, z.B. von
Heuschrecken, zur Plage werden kann. Daß freilaufende Ratten, die die Pest
verbreiten, angebetet werden müssen, weil die Seele der Großmutter in ihnen
stecken könnte, weist die ganze Absurdität dieser Religion aus. Sie gipfelt
bei den Jainas darin, daß Menschen einen unnatürlichen Atemschutz tragen
müssen, um ja keine Fliege einzuatmen. Solche Ansichten sind hoch
degenerativ und zeigen, daß diese Menschen ihren Lebenskampf nicht mehr
zu meistern in der Lage sind. Was aber das Absurdeste daran ist: Das Ende der Seelenwanderung besteht nach Erreichen der
sittlich-moralischen Vollkommenheit dennoch im Tod, wenn es der Seele
nach unzähligen Wiedergeburten schließlich ins Nirwana einzugehen erlaubt
ist – welch eine Gnade nach so vielen vergeblichen Versuchen. Wem diese
vollkommene Reinheit am Ende gefallen soll, erschließt sich daraus nicht.
Das Glück aus Sicht dieser Menschen besteht darin, irgendwann einmal nicht
mehr wiedergeboren zu werden und so auf ewige Zeiten vom Leid befreit zu
sein. Die Anhänger dieses Glaubens führen ihr Schicksal, das sie
sich augenscheinlich anders nicht erklären können, auf ein nicht
näher definiertes Karma zurück, ungeachtet dessen, daß diese Auslegung nur
eine von vielen ist und sie auch hier jegliche Beweise schuldig bleiben. Das
Böse im Hinduismus aber ist das generelle Zufügen von Schmerz, und dieses
erstreckt sich nicht nur auf den Menschen. Der Mensch ist jedoch mit einem
Jagdinstinkt begabt und mußte in seiner Geschichte vielfach Tiere töten,
sonst hätte er nicht überlebt. In einigen Fällen ging das bis hin zum
Kannibalismus, der Tötung von Artgenossen.
So verfolgt Ethik doch einen ganz anderen Zweck. Sie
dient der Erhaltung der eigenen Art und erstreckt sich nicht in erster Linie
auf das Tier. Wenn Gott so etwas Lästiges wie die Stechmücke erschaffen hat,
darf er sich auch nicht wundern, daß man sie totschlägt. Aber Religion hat
mit Vernunft nur wenig zu tun. Sie ist Ausdruck des Irrationalen und ein
Fluch, der auf dem Menschen lastet. Im übrigen ergibt auch die Wiedergeburt
keinen erkennbaren Sinn. Sie schiebt im Hinduismus den Tod nur hinaus. Dabei
ist es unerheblich, ob man mit viel oder wenig Sünden stirbt. Denn ob man
seine Sünden im Fegefeuer abbüßt oder erst gar nicht sterben darf, bevor man
ihrer nicht im realen Dasein ledig ist, läuft im Endeffekt auf dasselbe
hinaus – wobei die Verheißung des Paradieses dann doch die angenehmere
Option ist. Aber dies sind Versprechungen, die dem Menschen wohl nicht zur
Wahl stehen. Wozu auch? Wer hätte ein Interesse daran? So mißlungen der
Mensch als Ganzes ist, so nimmt die vorübergehende Buße auch nicht von ihm,
was er im Grunde ist. Daß jemand sich durch viele Verbrechen mehrerer Leben
hindurch zum Musterknaben mausern soll, nimmt ihm die in der Vergangenheit
verübten Greuel weder ab noch kann es die Last der Schmerzen von ihm nehmen,
welche die von ihm gequälten Kreaturen durch ihn erfahren haben, es sei
denn, er wird ihretwegen in seinem nächsten Leben so sehr gemartert, daß
sich auch bei ihnen Genugtuung einstellt. Solche primitiven Vorstellungen
schneiden gegenüber dem christlichen Vergeben und Verzeihen der Sünden dann
doch deutlich schlechter ab. Das allen Religionen gemeinsame Element aber
ist, daß sie nach Rache und Vergeltung schreien. Jeder kultivierte Mensch
sollte daher tunlichst von solch unfrommen Vorstellungen Abstand nehmen,
denn nach wie vor gilt: Man hüte sich vor den Gezeichneten. Dazu zählen alle
in irgendeiner Form Bedrängten.
Dabei ist das Böse, vor dem wir uns alle so sehr
fürchten, in Maßen sogar ausdrücklich erwünscht, weil es uns nicht nur am
Leben erhält, sondern allgemein lebenstüchtiger macht. Unsere tägliche
Umgebung ist voll des Bösen, und es schwächt sich auch nicht ab, sondern
nimmt umgekehrt sogar noch zu: heimtückische Anschläge, immer
offensichtlichere Verbrechen, immer stärker davor verblassende Strafen,
immer größer werdende ethische Abgründe.
Das Infame am Wiederauferstehungsglauben aber ist, daß
er dabei mithilft, über das Leid anderer mitleidlos hinwegzusehen, weil
diese es ja verdient haben, daß sie leiden müssen. Auch Verbrechen wie der
Holocaust werden vom Hinduismus als „nicht so schlimm“ empfunden. Man
braucht dazu bloß den Juden ein schlechtes Karma anzudichten. Welchen Sinn
würde es im übrigen ergeben, Böses im Jenseits zu vergelten, wo Böses doch
ausdrücklich gebraucht wird? Wandert die Seele nach dem Tode tatsächlich in
einen anderen Körper, so hätte dieser doch komplett andere und mit dem
letzten Dasein kaum vergleichbare Gene, die das Produkt anderer Eltern sind
und die frisch implantierte Seele mit ererbten Eigenschaften belasten, für
die der Seelen-Neuankömmling nun wirklich nichts kann. Er würde insofern für fremde
Schuld haftbar gemacht, wofür es keine Rechtfertigung gibt.
Der Zeitpunkt, zu dem die Seele im Körper einzieht, konnte bis heute von
keinem diagnostiziert werden. Man kann es drehen und wenden, wie man will,
und damit jeder Abtreibung Vorschub leisten. Im Zweifelsfall ist die Seele
nämlich noch nicht eingezogen, womit das vorgeburtliche Leben dann guten
Gewissens auch abgebrochen und gewaltsam beendet werden darf.
Wohin kann nun ein solcher Wiederauferstehungsglaube
führen? Er muß den Menschen ja in irgendeiner Form beeinflussen. Zunächst
wird jeder, der weiß, daß er in seinem nächsten Leben für schlechte Taten,
die er begangen hat, büßen muß, tunlichst darauf bedacht sein, jeder Form
von Aggression oder Ungerechtigkeit gegen andere eine Absage zu erteilen. Es
wird eine Art scheinbarer Friedfertigkeit einkehren, die den Menschen
tatenlos zusehen und völlig gewaltfrei werden läßt. Denn nahezu alles,
was wir tun – gewollt oder ungewollt –, ist böse, es ist uns nur nicht immer
bewußt. Denn der Mensch zerstört ständig, was immer er tut – am Ende ist die
Ungleichheit größer. Wenn sich zwei Unbesiegte, d.h. Gleiche,
gegenüberstehen, gibt es am Ende zwei Ungleiche, nämlich Sieger und
Besiegten. Der Sieger war Kain, der Besiegte Abel. Zwei anfänglich Freie
separieren sich in einen Herrn und seinen Knecht. Von zwei anfangs gleich
Begüterten wird der eine reich, der andere verfällt in Armut. Aus der
gleichförmigen Ursuppe des Kosmos entstehen Galaxien und weitgehend leerer
Raum. Also wirkt das Entropiegesetz in Richtung Gleichverteilung von
Ungleichem. Dem kann der Mensch nicht entgegenwirken, auch wenn er noch so
hohe Ideale wie Gleichheit vor dem Gesetz und soziale Gerechtigkeit ansetzt.
Der Wiederauferstehungsgedanke unterstellt, daß dieses natürliche
Ungleichheitsprinzip ungerecht sei und daher alles in einen Zustand
minimaler Entropie zurückgedreht werden müsse, indem alles gleichgemacht
wird. Dies entspricht dem Traum von einer besseren Welt, die a posteriori
nicht möglich ist. Die natürliche Ungerechtigkeit ist ein Naturgesetz, das
sich aus der Entropiezunahme herleitet, welche der Mensch nicht einfach
außer Kraft setzen kann, dadurch daß er eine unnatürliche Form von
Gerechtigkeit einführt. Genau das aber bezweckt der Glaube an die Wiederauf-erstehung, die absolute Gerechtigkeit durch Unterschiedslosigkeit
im Jenseits bzw. Nirwana, und dieses Denken ist daher von Anfang an zum
Scheitern verurteilt und zum Leben untauglich. Denn alle Ideologien und
Gesellschaftsformen, die den Wettbewerb, die Rivalität und damit das
Gewinnstreben, d.h. das Trachten nach Unterschieden, abschaffen wollen, sind
und bleiben Utopien. Sie wirken nicht nur lähmend und stagnierend, sie
beheben auch das Problem nicht. Die immerwährende
Wiederaufer-stehungsreligion ist reine Weltverbesserungsabsicht in Erwartung
eines stufenweise besseren Lebens über den Tod hinaus, ähnlich wie auch bei
anderen Religionen, die nur ein einziges weiteres Leben kennen, und zwar das
ewige nach dem Jüngsten Gericht. Der Gedanke des Fegefeuers wird im
Hinduismus durch ein weiteres irdisches Leben ersetzt, der des Paradieses
durch das Nirwana. Der Tod ist demnach ein höheres Gut als das Leben, womit
es auch keine ewig währenden Strafen gibt wie in der christlichen Hölle.
Einige glauben sogar, in jedem Fall wiedergeboren zu werden, ganz ohne
eigenes Zutun und ohne vorher belohnt oder bestraft worden zu sein – einfach
so –, was eine völlig irrationale Schlußfolgerung ist: das ewige Leben ohne
eigenes Verdienst, nur um den Tod zu verdrängen – eine durch nichts zu
rechtferti-gende, haltlose Annahme vom Hörensagen. Für Hindus und
Buddhisten existiert Ethik um ihrer selbst willen, da ein Verstoß ohne echte
Konsequenzen bleibt. Kein Verbrechen kann so schlimm sein, daß es ewige
Strafe verdient, und im nächsten Leben braucht man nur ein guter Mensch zu
sein, um nicht noch einmal leiden zu müssen.
Die Natur beschreitet indes andere Wege, sie bietet an,
ein Verbrechen noch auf Erden und im hiesigen Dasein zu rächen, was weitaus
sinnvoller ist, als die Gerichtsbarkeit einer ominösen metaphysischen
Institution zu überlassen, deren Existenz schon fragwürdig ist. Was, wenn
alle in diese Richtung zielenden Hypothesen sich als unwahr erweisen und es
eine Vergeltung nach dem Tode nicht gibt? Dann wäre allein der Verbrecher
der Begünstigte, weil seine Tat völlig ungesühnt bleibt. Eine solche
Strafmilderungskultur, die in die völlige Straffreiheit mündet, ist der
Gipfel der Dekadenz. Schon bald hätte eine Menschheit, die sich so verhält,
keine Zukunft mehr. Insofern bewirken Religionen nichts Gutes, sie
verschieben lediglich Probleme der Gegenwart in die Zukunft.
Wer sollte außerdem ein Interesse daran haben, ein
solches Wiederauferstehungs-konstrukt zu generieren? Die Seelen selbst sind
dazu nicht in der Lage. Wären sie göttlicher Natur, so müßten sie vollkommen
sein. Man müßte dann einen Gott benennen, der sich so etwas ausgedacht haben
kann. Was würde dieser aber damit bezwecken? Er erschafft eine Welt voll des
Bösen und der Versuchungen, demgegen-über seine Geschöpfe sich dann zu
bewähren haben. Jeder von uns ist in einen unterschiedlichen Körper
eingebettet und bringt unterschiedliche Voraussetzungen mit, um diese
Prüfungen zu bestehen. Soll das eines gerechten Gottes würdig sein? Stammen
hingegen alle von einem ersten Paar ab, das innerlich und äußerlich
vollkom-men war, wie kann es dann sein, daß dessen Nachkommen sich so
unterschiedlich entwickelten? Warum war Abel gut und Kain der Böse, wo sie
doch vom selben Elternpaar abstammten? Und schlüpfte die Seele Kains dann in
die eines seiner Söhne, um weiterzuleben? Was, wenn Kain zwei Söhne hatte?
Woher kam dann die zweite Seele, etwa aus dem Nichts? Wenn Kain und seine
Frau mehr als zwei Kinder hatten, woher kamen nach ihrem Tode oder schon zu
ihren Lebzeiten die zusätzlich entstandenen Seelen, etwa aus dem Tierreich?
Sind sie vom Tier auf den Menschen übergegangen? Haben Tiere etwa mit
Menschen vergleichbare Seelen? Wenn alle Tiere eine Seele haben und von
einem ersten Tierpaar abstammen, woher kamen die zusätzlichen Seelen, wenn
diese Tiere mehr als zwei Nachkommen hatten? Gibt es demnach stets mehr
Seelen als Körper? Aufgrund der Fortpflanzung und des Wachs-tums müssen ja
schon unendlich viele Seelen vorrätig sein und auf Abruf bereitstehen. Woran
wurden sie dann in ihrem früheren Leben gemessen, um sich einer erneuten
Bewährungsprobe in den unterschiedlichsten Körpern unterziehen zu müssen, wo
doch das Leben irgendwann einmal beim Einzeller, der sich ungeschlechtlich
fortpflanzte, begonnen hat? Woher stammt dessen Karma?
Es ist auch nicht einzusehen, warum man im Hinduismus
jemandem helfen sollte, wo doch ein schlechtes Los über ihn verhängt wurde,
das man ihm durch unter-stützende Eingriffe nachträglich erleichtern würde,
womit letztlich seine Strafe abgemildert würde. Es bleibt die Frage offen,
warum über ihn von Gottes Seite nicht gleich ein niedrigeres Strafmaß (oder
gar keines) verhängt wurde. Umgekehrt darf denen, die ein bestimmtes Glück
zu erwarten haben, nicht ein noch größeres beschert werden. Also verbietet
sich nach der Wiederauferstehungstheorie jegliche Hilfeleistung strikt, denn
alles andere wäre wohl vermessen und ungerecht. Wie aber soll dann ein
besseres Karma für das nächste Leben erzielt werden können, wenn weder Böses
noch Gutes getan werden dürfen? Durch diesen Widerspruch in sich wird der Wiederauf-erstehungsglaube ad absurdum geführt. Er kann folglich nicht die
richtige Interpre-tation der Welt sein.