Home Startseite Impressum Leserbriefe Drucken Kontakt Gästebuch
Neue Kapitel
Betrachten wir folgendes Beispiel: Ein Volk von Eindringlingen erobert ein neues Land, das, nachdem die früheren Besitzer enteignet wurden, gleichmäßig unter die neuen Herren verteilt wird. Jede Scholle Ackerlands sei anfangs gleich groß. Im Laufe von wenigen Generationen erreichen die durch ständige Erbteilung immer weiter verringerten Parzellen eine Größe, wo eine Bewirtschaftung nicht mehr lohnt. Etliche der Erben, die die kritische Größe bereits unterschritten haben, verkaufen daher ihre Anteile an diejenigen, die noch bewirtschaften wollen und können. Diejenigen, die das Land erworben haben, werden dadurch rentabler und somit überlebensfähiger, wohingegen die kleineren Höfe zunehmend vom Aufgeben bedroht sind. Irgendwann stellt sich eine Normalverteilung ein, die charakterisiert ist durch eine mittlere tragfähige Bodengröße, während Kleinbauern, wenngleich nur in selteneren Fällen, trotzdem noch existieren können. Den Großbauern gelingt es ebenfalls nicht, sämtliche Kleinbauern aufzukaufen. Ein im physikalischen (nicht notwendig sozialen) Sinne ungeordneter Zustand wurde also durch Erbteilung in einen (wieder im physikalischen Sinne) geordneten Zustand übergeführt, in dem es unterschiedliche Besitzgrößen gibt. Wie läßt sich dies nun mit der Auffassung vereinbaren, daß die Entropie stets zunimmt? Wir wissen, daß die Entropie insgesamt zunehmen muß, also können wir nur einen Gedankenfehler gemacht haben. Teilen zwei Menschen ihren vorher gemeinsamen Besitz, so nimmt die Entropie dabei ab, es entsteht ein geordneteres System.
Teilen sich hingegen zwei Erben den Besitz ihres Vaters, den dieser vorher alleine besaß, so ist dies zwar kein abgeschlossenes System mehr, da in ihm ein Wachstumsprozeß stattgefunden hat, aber seine Entropie nimmt unter gewissen Nebenbedingungen dennoch zu. Grundsätzlich hätten wir also unsere Überlegung mit der Teilung durch Vererbung beginnen müssen. Diese Teilung ist in jedem Fall ein Prozeß, bei dem die Entropie zunimmt, denn daß bei wenigstens zwei Erben jeder sein Erbteil erhält, ist ein ungleich wahrscheinlicherer Zustand, als daß einer alles auf sich vereinigt. Der geordnetere Zustand war daher der noch nicht vererbte. Insofern sind Erbstreitigkeiten eine direkte Auswirkung des Entropiegewinns, mit oft tödlichen Folgen, wie die Geschichte lehrt. So haben Thronstreitigkeiten in Adelskreisen nicht selten dazu geführt, daß nicht unbedingt der Erstgeborene dem Vater nachfolgte, was meist nur durch Ermordung des älteren Bruders gelingen konnte. Schon bald erkannte man in Adelskreisen, daß dem nur durch eindeutige Nachfolgeregelungen beigekommen werden konnte. Auch Landwirte verpflichten in der Regel den, der den Hof erben sollte, dazu, seine Geschwister vorher auszuzahlen. Wenn dies ohne Verlust an Grundbesitz gelang, so nahm dabei wenigstens die Entropie nicht zu. Stabil sind solche Systeme allerdings nicht. Man kann Ordnung nämlich zweifach begreifen, nämlich einmal als das Erreichen einer Gleichverteilung, andererseits als eine Delta-Funktion, die nur einen Zustand kennt, der von allen eingenommen wird. Je nachdem, ob eine Normalverteilung einer Gleichverteilung zustrebt, die ja nichts anderes ist als eine Gaußverteilung mit unendlicher Halbwertsbreite, oder einer Deltafunktion, die das andere Extrem einer Gaußverteilung darstellt, aber eben mit infinitesimaler Halbwertsbreite, kann das Gleichgewicht entweder labil, stabil oder indifferent sein. Labil ist die sogenannte Normalverteilung Indifferent ist die gewöhnliche Gleichverteilung, die zugleich das Endstadium der Entropie markiert. Nichts vermag diesen Zustand mehr zu ändern, weder hin zu einer Normalverteilung und schon gar nicht zu einer Deltafunktion. Labil ist die Deltafunktion, denn schon eine kleine Auslenkung nach einer oder beiden Seiten führt sofort neue Zustände herbei und mündet somit in eine Gaußverteilung. Die Normalverteilung ist sozusagen die stabile Form des Gleichgewichts, in das jedes natürliche System auf lange Sicht einnimmt.
Während die Gleichverteilung den Zustand maximaler Entropie markiert, in dem alle Zustäbde gleich besetzt sind, manifestiert sich in der Deltafunktion das genau Gegenteil, nämlich die maximale Ordnung, wobei ausschließlich ein Zustand besetzt ist, allerdings unendlich häufig, während alle anderen Zustände leer sind d.h. unbesetzt. Die Normalverteilung entspricht sozusagen dem Zustand des Systems während seines Lebens, di
Copyright © 2005, Manfred Hiebl. Alle Rechte vorbehalten.