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Geographika

 

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Strabons

ERDBESCHREIBUNG

IN

SIEBZEHN BÜCHERN


 

 

Erstes Buch

Erstes Kapitel

1. Die Erdbeschreibung, welche wir zum Gegenstand unserer Forschung wählen, ist nach unserer Meinung für den Philosophen eine sehr würdige Beschäftigung. Dies läßt sich durch viele Beispiele dartun, indem diejenigen, welche es zuerst gewagt haben, das Feld der Geographie zu berühren, Philosophen gewesen sind; so Homer, Anaximander von Miletus und sein Mitbürger Hekatäus, was schon Eratosthenes sagt, ferner Demokritus, Eudorus, Dikäarchus, Ephorus und andere mehr: unter den Neueren Eratosthenes, Polybius und Posidonius, ebenfalls Philosophen. Auch sind umfassende Kenntnisse, wodurch allein in diesem Fache etwas geleistet werden kann, nur ein Eigentum dessen, der sich mit der Untersuchung über himmlische und irdische Gegenstände beschäftigt, worin eben das Wesen des Philosophen liegt. Sodann nimmt auch schon der vielfache Nutzen, der sich einesteils für das bürgerliche und öffentliche Leben, andernteils für die Kenntnis des Himmels und der Geschöpfe, Pflanzen und anderer Erzeugnisse des festen Landes und des Meeres ergibt, den Mann in Anspruch, der die Wissenschaft und Glückseligkeit des Lebens zum Gegenstand seines Nachdenkens macht.

2. Ich werde nun jeden einzelnen Punkt meiner Behauptung näher erörtern, und zwar zuerst den, daß ich nebst meinen Vorgängern, worunter auch Hipparchus, mit Recht annehme, der erste Bearbeiter der Geographie sei Homer gewesen, der alle Ältere und Neuere wie an Dichtertalent, so beinahe auch an solchen Kenntnissen übertrifft, die sich auf das gemeine Leben beziehen. Daher beschäftigte er sich nicht bloß damit, recht viele Taten zu sammeln und der Nachwelt zu überliefern, sondern auch mit der Ausmittelung der örtlichen Verhältnisse einzelner Gegenden sowie der ganzen Erde und des Meeres: sonst hätte er wohl die Erde nicht ringsum bis an ihre äußersten Grenzen beschreiben können.

3. Fürs erste sagt er, was auch der Fall ist, sie sei vom Ozean umflossen; fürs zweite führt er einen Teil der Länder namentlich auf, andere deutet er bloß durch Winke an. So nennt er Libyen, Äthiopien, die Sidonier und die Erember (ohne Zweifel die arabischen Troglodyten) ausdrücklich; aber die Bewohner der Ost- und Westgegenden gibt er bloß dadurch zu erkennen, daß er sie vom Ozean umspülen läßt. Denn in diesem läßt er die Sonne auf- und untergehen, und ebenso die Gestirne:

Helios aber beschien mit erneutem Strahl die Gefilde,

Aus sanftwallender Flut des tiefen Okeanosstromes. -

Und zum Okeanos sank des Helios leuchtende Fackel,

Ziehend die dunkle Nacht.

Und die Sterne nennt er – gebadet im Okeanos.

4. Er schildert auch das glückliche Leben und den milden Himmel der Abendländer, da er, wie es scheint, Kunde hatte von dem Reichtum Iberiens, der zuerst den Herakles dahinzog, dann die Phönizier, deren Herrschaft sich fast über das ganze Land ausbreitete, und nach diesen die Römer. Denn dort weht der Zephyr; dorthin stellt der Dichter die elysische Flur, wohin, wie er sagt, Menelaus von den Göttern gesendet werden sollte:

Nein dich führen die Götter dereinst an die Enden der Erde

Zu der elysischen Flur, wo der bräunliche Held Rhadamanthys

Wohnt, und ganz mühelos in Seligkeit leben die Menschen.

Nimmer ist Schnee, noch Winterorkan, noch Regengewitter;

Ewig weh’n die Gesäusel des leis‘ anatmenden Westes,

die Okeanos sendet.

5. Nicht minder geben die Inseln der Seligen, welche zwischen Mauretanien, dem äußersten Lande gegen Westen, und der westlichen Spitze des gegenüberliegenden Iberiens liegen, schon durch ihren Namen zu erkennen, daß man sie, gesegneten Strichen so nahe, ebenfalls für gesegnet hielt. Ferner nennt er auch die Äthiopen die Äußersten am Ozean. Die Äußersten heißen sie in der Stelle:

Äthiopen, die zwiefach geteilt sind, äußerste Menschen:

Diese zum Untergange des Helios, jene zum Aufgang.

Unten wird gezeigt werden, daß der Ausdruck "die zwiefach geteilt sind" nicht ohne Grunde dastehe. An den Ozean setzt er sie in Folgendem:

Zeus ging gestern zum Mahl der unsträflichen Äthiopen

An des Okeanos Flut; und die Himmlischen folgten ihm alle.

Daß aber auch die Erde im Norden vom Ozean begrenzt werde, gibt er zu verstehen, wenn er vom Bärengestirn spricht:

Und sie [die Bärin] allein niemals in Okeanos Bad hinabtaucht.

Unter der Bärin und dem Wagen versteht er nämlich den arktischen Kreis: denn da so viele Sterne innerhalb derselben Gegend sichtbar bleiben, so durfte er ja nicht einen allein von dem Bade des Ozeans ausschließen. Er darf daher nicht länger der Unwissenheit beschuldigt werden, als habe er nur von einem Bärengestirn gewußt, da ihrer doch zwei sind. Das andere war damals noch gar nicht zu einem Sternbild erhoben; und erst seitdem die Phönizier dasselbe benannt und für die Schiffahrt benutzt haben, kam es auch bei den Griechen in Gebrauch. So haben auch andere Himmelszeichen, zum Beispiel das Haar der Berenike und der Canopus, erst vor kurzer Zeit Namen erhalten; ja viele sind, auch nach der Versicherung des Aratus, bis jetzt noch nicht benannt. Daher war die Änderung des Krates

Und er [der Bär) allein niemals in das Bad sich hinabtaucht

Ganz unnötig. Besser, und getreuer dann Homer, gebraucht auch Heraklitus anstatt des Ausdruckes "arktischer Kreis" das Wort Arktos im weiblichen Geschlecht. Er sagt nämlich: "des Morgens und des Abends Grenze ist die Bärin, und der Bärin gegenüber ist das Wehn der heitern Luft." Denn der Bärkreis ist des Abends und des Morgens Grenze, nicht die Bärin. Homer versteht also unter der Bärin, die er auch den Wagen nennt, und die, wie er sich ausdrückt, auch nach dem Orion schaue, den Bärkreis, und unter dem Ozean, in welchem die Sterne auf- und untergehen, den Horizont. Und wenn er sagt, daß sich dieses Gestirn wende und nicht in dem Ozean untergehe, so muß er gewußt haben, daß der arktische Kreis durch den nördlichsten Punkt des Horizontes beschrieben werde. Nach dieser Ansicht die Worte des Dichters betrachtet, müssen wir unter Horizont das verstehen, was auf der Erde dem Ozean entspricht, und unter arktischem Kreis die Erdstriche, welche am weitesten gegen Norden liegen. So ist denn nach ihm auch diese Seite der Erde vom Ozean umspült. Außerdem kennt er noch die nördlichsten Bewohner der Erde; zwar nicht mit ihrem Namen (denn auch jetzt haben sie noch keinen gemeinschaftlichen): er bezeichnet sie jedoch durch ihre Lebensart, indem er sie Nomaden und edle Pferdemelker und arme Milchesser nennt.

7. Noch auf eine andere Art drückt er es aus, daß der Ozean um die Erde herum liege, wenn Here also spricht:

Denn ich gebe, zu schau’n der nährenden Erde Begrenzung,

Auf den Okeanos, unsre Geburt.

Denn er läßt den Ozean allenthalben an die Grenzen der Erde sich anschließen; die Grenzen selbst aber liegen im Kreise um sie herum. So wird in dem Gesange der Waffenbereitung auf dem Schilde des Achilles der Ozean am Rande herum abgebildet. Eben diesem Streben nach Vielseitigkeit im Wissen verdankt er auch die Kenntnis von Flut und Ebbe des Meeres, indem er von einem zurückfließenden Ozean spricht; und

Dreimal strudelt sie (die Charybdis) täglich hervor, und schlürft auch dreimal.

Zwar geschieht dies nicht dreimal, sondern zweimal; allein mag er sich nun in seiner Erzählung geirrt haben, oder mag im Texte eine unrichtige Lesart sein, auf jeden Fall wollte er von dieser Erscheinung sprechen: auch liegt darin, daß er das Meer sanftfließend nennt, eine Anspielung auf das allmähliche, nicht reißend schnelle Ansteigen der Flut. Nicht minder folgert Posidonius aus der Beschreibung von Klippen, die bald nackt, bald bedeckt erscheinen, und daraus, daß er den Ozean einen Fluß nenne, daß Homer dadurch das Andringen der Flut habe bezeichnen wollen. Die erstere Bemerkung ist gut, die letztere nicht. Denn nicht mit dem Strome eines Flusses ist das Steigen der Flut zu vergleichen, und noch viel weniger die Ebbe. Krates hat da eine haltbarere Bemerkung. Homer nennt den ganzen Ozean tieffließend und zurückfließend; einen Teil aber des Meeres nenne er Fluß und Strömung des Flusses. Dann in der Stelle

Aber nachdem wir, des Stromes Okeanos Fluten verlassend,

Jetzt in die Woge gelangt des weit durchgängigen Meeres

Bezeichnet er nicht den ganzen Ozean, sondern des Flusses Strömung in den Ozean als einen Teil des letzteren (Krates versteht darunter irgendein Flutwasser oder eine Einbuchtung, die sich vom Wendekreis des Steinbocks gegen den Südpol hin zieht; aus dieser könnte man heraus und doch noch im Ozean sein). Den ganzen Ozean aber verlassen haben, und zugleich noch darin sein, ist eine Unmöglichkeit. Denn Homer sagt

... des Stromes Fluten verlassend,

... gelangten wir in die Woge des Meeres.

Unter dieser Woge kann aber nur der Ozean verstanden werden. Denn wenn man’s anders nimmt, so heißt es: Nachdem wir den Ozean verlassen hatten, kamen wir in den Ozean. Doch dies bedürfte einer weitläufigeren Erörterung.

8. Die Inselgestalt der Erde geht fürs erste aus der sinnlichen Wahrnehmung und aus der Erfahrung hervor. Denn allenthalben an den äußersten Grenzen der Erde, so weit man vorgedrungen ist, hat man Meer gefunden, welches eben der Ozean ist. Und wo sinnliche Wahrnehmungen fehlen, da kommt uns die Berechnung zu Hilfe. Die Ostküste gegen Indien, die Westküste gegen Iberien und die Maurusier, und ein großes Stück der Süd- und Nordküste ist umschifft; der Rest, noch unumschifft wegen Mangels an Zusammenhang in den Seereisen, die von den entgegengesetzten Seiten aus unternommen wurden, ist unbedeutend, wenn man den Abstand der äußersten, unerreichbaren Punkte auf beiden Seiten berechnet. Es ist nämlich nicht wahrscheinlich, daß der atlantische Ozean aus zwei Meeren bestehe, so daß schmale Landengen die Umschiffung desselben zur Unmöglichkeit machten; sondern er bildet ein zusammenhängendes Gewässer. Denn diejenigen, welche Umschiffungsversuche angestellt haben und wiedergekehrt sind, versichern, ihr Unternehmen sei nicht wegen Mangels an Lebensmitteln und wegen völliger Ratlosigkeit verunglückt; im Meere aber hätten sie noch immer weiter kommen können. Dies stimmt auch besser zu den Erscheinungen des Meeres, was Ebbe und Flut betrifft. Denn da die Verhältnisse in Zu- und Abnahme des Wassers allenthalben dieselben sind, oder doch nicht viel verschieden, so ist auch wohl nur ein einziges Meer die einzige Ursache dieser Bewegung.

9. Hipparchus verdient keinen Glauben, wenn er diesem Satze entgegen behauptet, das Meer zeige nicht allenthalben dieselben Erscheinungen; und es folge, selbst wenn man dies zugebe, daraus nicht, daß der atlantische Ozean rings um die Erde in ununterbrochenem Zusammenhang stehe. Wegen der ersteren Behauptung beruft er sich auf das Zeugnis des Seleukus von Babylon. Was sie weitere Untersuchung über den Ozean und über Ebbe und Flut anlangt, so verweise ich auf Posidonius und Athenodorus, welche diesen Gegenstand hinlänglich erläutert haben. Ich will nur noch beifügen, daß sich durch meine Annahme die Gleichartigkeit in diesen Erscheinungen besser erklären läßt. Auch möchte wohl die Ausdünstung des Meeres den Himmelskörpern desto zuträglicher sein, je größer die Wasserfläche rings um die Erde ist.

10. Homer kennt und bestimmt jedoch nicht bloß die äußersten Punkte der Erde und was sie rings umgibt, sondern auch diejenigen Striche, welche an dem inneren Meere liegen. Denn an diesem Meere liegen, von den Säulen [des Herakles] angefangen, Libyen, Ägypten und Phönizien, dann die Striche gegenüber von Cyprus, hierauf die Solymer, die Lykier und Karier: auf diese folgt die Küste zwischen Mykale und Troas, nebst den vorliegenden Inseln, die er sämtlich anführt: dann weiter die Gegend um die Propontis und das Schwarze Meer bis nach Kolchis und dem Schauplatze von Jasons Unternehmung. Er kennt den Cimmerischen Bosporus, weil er, und zwar nicht bloß dem Namen nach, die Cimmerier kennt, die zu seiner Zeit oder etwas früher vom Bosporus aus alle Länder bis nach Ionien überschwemmten. Auch bezeichnet er das düstere Aussehen ihres Landes mit den Worten:

Ganz vom Nebel umwölkt und Finsternis. Nimmer auf jen‘ auch

Schauet Helios her mit leuchtenden Sonnenstrahlen;

...

...

Nein rings grauliche Nacht umruht ...

Er deutet auch den Ister an, indem er des thrakischen Volkes der Mysier erwähnt, die am Ister wohnen. Er kennt den ganzen Küstenstrich als thrakisch bis an den Peneus; er nennt die Päonier, den Athos, den Arius samt den Inseln in der Nähe, und von da an alle griechischen Küstengegenden bis zu den Thesprotern. Ihm sind sogar die äußersten Spitzen Italiens bekannt (da er Temesa und die Sikuler nennt), ihm auch das Äußerste Iberiens samt seinem Reichtum, wie ich oben gezeigt habe. Die Lücken, die er in seiner Länderbeschreibung läßt, wird man ihm verzeihen, da auch der eigentliche Geograph manche Nebensachen übergeht: so wenig als er deswegen Tadel verdient, weil bei ihm Mythisches mit Geschichtlichem und Belehrendem gemischt ist. Denn es ist unrichtig, was Eratosthenes sagt, daß der Zweck des Dichters nicht Belehrung, sondern angenehme Unterhaltung sei, da Männer, welche die Dichtkunst am richtigsten gewürdigt haben, sie die früheste Philosophie nennen. Über Eratosthenes werde ich weiter unten ausführlicher sprechen, wo auch wieder von dem Dichter die Rede ist.

11. Das Bisherige möge als Beweis hinreichen, daß Homer der erste Geograph gewesen sei. Aber auch seine Nachfolger im geographischen Fache waren ausgezeichnete und mit der Philosophie vertraute Männer. Eratosthenes nennt als die Nächsten nach Homer zwei, nämlich Anaximander, einen Schüler und Mitbürger des Thales, und den Milesier Hekatäus, von denen jener die erste Welttafel herausgegeben, und dieser das erste geographische Werk hinterlassen haben soll, das ihm, nach seinen übrigen Schriften zu urteilen, auch wirklich angehört.

12. Daß aber dazu ausgebreitete Kenntnisse erforderlich seien, haben schon viele behauptet. Vortrefflich sagt in dieser Beziehung Hipparchus in seinen Bemerkungen gegen Eratosthenes, daß niemand, weder der bloße Liebhaber, noch der eigentliche Gelehrte, das Studium der Geographie ohne genaue Kenntnis der Gestirne und der Sonnen- und Mondfinsternisse mit Nutzen bearbeiten könne. Es läßt sich z.B. nicht angeben, ob Alexandria in Ägypten nördlicher oder südlicher als Babylon liege, und um wie viel, wenn man die Bestimmung durch die Klimate nicht kennt. So läßt sich auch das Verhältnis der Länge zweier Orte zueinander nur vermittelst der Sonnen- und Mondfinsternisse genau bestimmen. So Hipparchus. Wer aber auch bloß örtliche Beschaffenheiten beschreiben will, braucht namentlich die Astronomie und Mathematik zur Bestimmung der Gestalt, der Größe, des Abstandes, des Klimas, der Kälte, der Wärme, kurz des Himmelsstriches. Ja jeder, der ein Haus baut oder eine Stadt gründet, muß sich darauf verstehen: um so weniger dürfen dergleichen Kenntnisse demjenigen mangeln, welcher die ganze Erde überschauen will. Auf einer geringen Fläche kommt eine mehr südliche oder mehr nördliche Lage wenig in Betracht; aber auf der ganzen Erdscheibe da heißt es Norden bis nach Skythien oder Keltica, und Süden bis zum äußersten Äthiopien: das ist ein Unterschied! Ebenso ob einer bei den Indiern wohnt oder bei den Iberern, von denen wir jene als die Östlichsten, die zweiten als die Westlichsten, und beide gewissermaßen als Gegenfüßler kennen.

14. Alles dieses gründet sich auf die Bewegung der Sonne und der übrigen Gestirne und auf die Umdrehung derselben um ihren Mittelpunkt. Aus diesem Grunde muß man auch den Himmel und die Erscheinungen an demselben beobachten, woraus sich oft große Unterschiede für verschiedene Gegenden ergeben. Wer aber von allem diesen nicht das Mindeste versteht, wie will der die Entfernungen der Örter voneinander richtig und befriedigend bestimmen? Und wenn es auch nicht möglich ist, nach diesem umfassenden Maßstab ins Einzelne einzugehen, so muß man doch soviel davon verstehen, als einem Geschäftsmanne möglich ist.

15. Wer aber einmal auf dieser geistigen Höhe steht, den zieht auch das Studium der gesamten Erde an. Ist es doch sonderbar, wenn einer, der die Lehre von der bewohnten Erde vortragen will und zu diesem Behuf das Gebiet der Astronomie berührt und dieselbe für seinen Unterricht benutzt, sich um die gesamte Erde, von der das Bewohnte ein Teil ist, um ihre Größe, Beschaffenheit und ihre Lage im Himmelsraume nicht bekümmert; wenn’s ihm gleichgültig ist, ob die Erde nur auf unserem Flecke bewohnbar sei, oder auf mehreren, und auf wievielen; und ebenso, wie groß das unbewohnte Stück, und wie beschaffen und warum es so sei? So verbindet die wissenschaftliche Geographie durch die Vereinigung astronomischer und geometrischer Kenntnisse die Erde mit dem Himmel, als wären sie sich ganz nahe, und nicht so weit von einander entfernt,

Als über der Erd‘ ist der Himmel.

16. Rechnen wir zu diesen mannigfachen Kenntnissen noch die eigentliche Erdkunde, nämlich die Kunde von den Tieren und Pflanzen, und von allem, was Erde und Meer Nützliches hervorbringen, so wird meine Behauptung noch einleuchtender werden. Der große Nutzen solcher Kenntnisse geht aus der Erinnerung an das Altertum und aus der Natur der Sache hervor. Denn die Dichter bezeichnen diejenigen ihrer Heroen als die Verständigsten, welche viel gereist und umhergeirrt sind. "Vieler Menschen Städte gesehn und ihren Sinn erkannt zu haben," darauf legen sie ein großes Gewicht. So rühmt sich Nestor, daß er bei den Lapithen gewesen, die ihn eingeladen hätten:

Kam, aus entlegenem Lande der Welt: denn sie riefen mich

Selber.

Ebenso Menelaus.

Weit nach Kypros zuvor, nach Phönike verirrt und Ägyptos,

Äthiopien auch sah ich, Sidonier auch, und Erember;

Sikya auch, wo die Lämmer sogleich aufwachsen mit Hörnern.

Er fügt auch die Eigentümlichkeit des Landes bei:

Dreimal gebären die Schaf‘ in des rollenden Jahres Vollendung.

Und vom Ägyptischen Theben:

. . . wo reich die Wohnungen sind an Besitztum.

Ferner:

Hundert hat sie der Tor‘, und es ziehn zweihundert aus jedem,

Rüstige Männer, zum Streit‘, mit Rossen daher und Geschirren.

Alle diese Gegenstände sind kräftige Mittel zur Bildung des Geistes, weil man dadurch die Beschaffenheiten von Gegenden, Tieren und Pflanzen kennenlernt, wozu noch die Kenntnis der Meererzeugnisse kommt. Denn wir sind gewissermaßen Amphibien, da wir auf dem Wasser so gut wie auf dem Lande leben können. Daher wurde auch Herakles wegen der Fülle seiner Erfahrungen und übrigen Kenntnisse

Großer Taten kundig

genannt. So bestätigt sich durch die Erinnerung an das Altertum und durch die Natur der Sache meine obige Behauptung. Besonders aber scheint auf meinen Satz die Wahrheit zu führen, daß der größere Teil der Geographie ihren politischen Nutzen habe. Der Schauplatz der taten ist das Land und das Meer, wo wir wohnen: kleine Taten haben einen kleinen, große einen großen Schauplatz; der größte aber umfaßt alles, was wir unter dem Namen Erdkreis bezeichnen, so daß dies der Schauplatz der größten Taten wäre. Als die größten Heerführer aber gelten diejenigen, welche über Land und Meer gebieten und viele Völker und Städte unter ihrer Herrschaft vereinigen. Daher steht die Erdkunde in genauer Beziehung auf kriegerische Taten, weil sie es ist, die das feste Land und das Meer ordnet, das sich innerhalb und außerhalb der bewohnten Erde befindet. Denn dies ordnen ist eine Sache derjenigen, denen daran liegt zu wissen, ob ein Land diese oder jene Beschaffenheit habe, ob es bekannt sei oder nicht? Denn ein Land läßt sich besser einteilen, wenn man seine Größe, seine Lage und die Verschiedenheiten im Klima und im Boden kennt. Da aber der eine hier, der andere dort seine Herrschaft hat, und jeder von seinem Herde und seinem Sitze aus Kriegstaten unternimmt und den Umfang seiner Herrschaft erweitert, so können weder diese Eroberer von allem Kenntnis haben, noch auch die Geographen; sondern sie werden manche Gegenden genauer, manche weniger genau kennen. Ja wenn auch die ganze Erde nur ein Reich und einen Statt bildete, so würde doch nicht alles gleichmäßig bekannt sein; doch dies ist nicht der Fall. Das, was einem näher liegt, das muß man genauer kennen und ausführlich beschreiben: denn dies ist uns auch dem Nutzen nach näher. Daher ist es ganz natürlich, daß jedes Volk, die Indier, die Äthiopen, die Griechen, die Römer, seinen eigenen Geographen hat. Was sollte es z.B. einem Geographen bei den Indiern helfen, wenn er Böotien so ausführlich beschreiben wollte wie Homer:

Jenen, die Hyries Fluren bewohnt und die selige Aulis,

Sokonos auch und Skolos.

Uns geht dies an. Dagegen nehmen wir’s mit den mit den Örtlichkeiten der Indier und mit den Völkern daselbst nicht so genau: denn wir hätten keinen Nutzen davon; und dieser ist doch hauptsächlich der Maßstab für solche Kenntnisse.

17. Und dies bestätigt sich auch im kleinen, z.B. bei Jagden. Man jagt glücklicher, wenn man die Örtlichkeiten und die Größe des Forstes genau kennt. Die Anordnung eines Lagers, eines Hinterhalts, eines Marsches – das alles erfordert Ortskenntnis. Freilich wird’s im großen noch anschaulicher, wo Erfahrung in diesem Falle mit beträchtlichen Vorteilen und Unwissenheit mit bedeutenden Nachteilen verbunden ist. Hätte Agamemnons Heer die Küste von Mysien nicht für die von Troas angesehen und verwüstet, so hätte es nicht mit Schimpf umkehren müssen. Hätten die Perser und Libyer Meerengen für verdeckte Untiefen gehalten, sie wären nicht in so augenscheinliche Gefahr geraten. Als Denkmäler ihrer Unerfahrenheit hinterließen jene am Euripus bei Chalkis das Grabmal des Salganens, welcher von den Persern hingerichtet wurde, weil sie glaubten, er habe ihr Heer von Malea bis zum Euripus irre geführt: und diese das Denkmal des Pelorus, welcher wegen einer ähnlichen Ursache das Leben verlor. Beim Feldzug des Xerxes war die ganze Küste von Griechenland voll von Schiffstrümmern, und manches ähnliche Unglück litten die äolischen und ionischen Pflanzungen. Auf der andern Seite ist durch genaue Bekanntschaft mit einer Gegend schon mancher Streich gelungen. So gab Ephialtes die Schar des Leonidas den Persern in die Hände und brachte diese innerhalb der Engpässe, weil er ihnen nach dem Zeugnis der Geschichte, bei Thermopylä, den Pfad über das Gebirge zeigte. Wenn ich auch diese alten Begebenheiten übergehe, so zeugt nach meiner Meinung der neuerliche Kriegszug der Römer gegen die Parther hinlänglich für das oben Gesagte, so wie der gegen die Germanen und Kelten, wo die Barbaren in ihren Sümpfen und unzugänglichen Waldungen den Krieg vorteilhaft führten, den Unkundigen das Nahe als entfernt darstellten, die Wege verdeckten und die Zufuhr nebst den übrigen Bedürfnissen abschnitten.

18. So ist denn die Länderkunde, wie gezeigt worden, für das Leben und die Neigungen und die Bedürfnisse der Herrscher besonders wichtig. Jedoch steht sowohl die ethnische als die politische Philosophie in noch näherer Beziehung mit ihrem Leben. Wir unterscheiden nämlich die Regierungsform der einzelnen Staaten nach ihren Herrschern, so die Monarchie, bei uns auch Königtum genannt, die Aristokratie und die Demokratie. So vielerlei Arten von Regierungsformen rechnen wir nach den Stiftern, denen sie ihren besonderen Ursprung verdanken. Denn anders ist das Gesetz in der monarchischen, anders in der aristokratischen, anders in der demokratischen Verfassung; das Gesetz aber bestimmt einem Lande seine Verfassung und sein Wesen. Weshalb auch einige sagen, des Herrschers Wille sei das Recht. Wenn nun die politische Wissenschaft Hauptsache für den Herrscher, die Länderkunde aber für seine Neigung von Bedeutung ist, so möchte auch sie in dieser Hinsicht einigen Nutzen haben, der sich übrigens auf kriegerische Unternehmungen bezieht.

19. Die Geographie hat aber auch eine nicht zu verachtende theoretische Seite. Diese ist teils technisch, mathematisch und physisch; teils besteht sie in Mitteilung von Begebenheiten und Mythen, welche nichts Praktisches an sich haben. So liegt in den Irrfahrten des Odysseus, des Menelaus oder des Jason nichts eigentlich Unterrichtendes, außer wenn man nützliche Betrachtungen in ihre Schicksale einstreut; aber eine angenehme Unterhaltung findet man, wenn man auf solche Stellen stößt, welche die Veranlassung zu mythischen Erzählungen geworden sind. Denn auch die Geschäftsmänner lieben solche Stellen wegen ihrer Berühmtheit und wegen des Vergnügens. Jedoch viel Zeit verwenden sie nicht darauf, da sie natürlich das Nützliche vorziehen. Daher muß auch der Geograph mehr hierauf Rücksicht nehmen, als auf das bloß Unterhaltende. Das Nämliche gilt von den Erzählungen und den geometrischen Sätzen: auch davon muß man immer nur das Brauchbarste und Schwerste ausheben.

20. Am notwendigsten scheinen, wie gesagt, dieser Wissenschaft die geometrischen und mathematischen Bestimmungen. In der Tat sind sie notwendig. Denn die Figur, die Klimate, die Größe nebst dem übrigen dahin Einschlagenden, läßt sich ohne dieselben nicht genau angeben. Da jedoch die Art der Ausmessung der ganzen Erde anderswo vorgetragen ist, so setze ich hier die Kenntnis davon voraus, und berufe mich auf das dort Gesagte. Wir setzen die Lehre von der Kugelgestalt der ganzen Welt und der Erdoberfläche, so wie auch, was dieser Annahme vorhergeht, den Satz von dem Streben der Körper nach dem Mittelpunkt voraus: denn nur ein Beweis für die Kugelgestalt der Erde ist leicht, nämlich der, welcher von der sinnlichen Wahrnehmung oder von den übereinstimmenden Beobachtungen genommen ist. Sollten wir also mit wenigen Worten beweisen müssen, daß die Erde eine Kugel sei, so läge der Beweis, welcher sich auf die Zentripetalkraft stützt, zu weit von unserm Zwecke; derjenige aber, welcher aus den Beobachtungen am Himmel und auf dem Meere geführt wird, sehr nahe, weil er aus sinnlicher Wahrnehmung und übereinstimmenden Beobachtungen folgt. Wenn man auf der See ist, so überzeugt man sich deutlich von der Wölbung des Meeres. Man kann ein Licht auf eine gewisse Entfernung nicht wahrnehmen, wenn man auch mit ihm in gleicher Breite ist; wird aber das Licht höher aufgesteckt, so sieht man dasselbe, auch wenn man weiter als vorher davon entfernt ist. Auf gleiche Weise wird man, wenn man eine höhere Stellung erhält, dasjenige gewahr, was einem zuvor verborgen war. Darauf deutet auch unser Dichter hin, wenn er z.B. sagt;

Scharf anstrengend den Blick, als steigend die Well‘ ihn emporhob.

Je näher man dem Lande kommt, desto mehr wird von den niedrigen Teilen der Gegenstände sichtbar, und das, was zuerst niedrig schien, zeigt sich immer höher. Die Umdrehung der Himmelskörper um die Erde erhellt unter andern auch aus dem Schatten der Sonnenuhr. Daraus folgert der Verstand geradezu, daß eine Umdrehung nicht stattfinden könnte, wenn das Fundament der Erde bis ins Unendliche hinabreichte. Was die Klimate anlangt, so wird davon in dem Abschnitte von den Wohnplätzen die Rede sein.

21. Für jetzt muß ich mehreres als erwiesen annehmen, besonders wenn es sich um den Nutzen handelt, den ein Staatsmann oder ein Heerführer daraus ziehen kann. Dieser sollte freilich vom Himmel und von der Stellung der Gestirne so viel wissen, daß er in Gegenden, wo er eine Abweichung von den gewöhnlichen Vorgängen am Himmel wahrnimmt, nicht aus der Fassung komme und folgendergestalt ausrufe:

Freunde, wir wissen ja nicht, wo Finsternis oder wo Licht ist,

Nicht wo die leuchtende Sonne hinabsinkt unter den Erdrand,

Noch wo sie wieder sich hebt.

Auf der andern Seite braucht er aber auch nicht genau unterrichtet zu sein von den Sternen, die zu gleicher Zeit auf- und unter- und durch die Mittagslinie gehen und im Scheitelpunkt stehen; von den Polerhöhungen, so wie von anderen ähnlichen Verhältnissen bei wirklicher oder scheinbarer Verschiedenheit des Horizontes und der arktischen Kreise. Wem es nicht um wissenschaftliche Kenntnis dieser Bestimmungen zu tun ist, der braucht auch nicht so tief in sie einzugehen; er darf sie als wahr annehmen, auch wenn er deren Grund nicht einsieht: denn dies ist Sache des Gelehrten; ein Geschäftsmann aber hat nicht so viel Zeit, wenigstens nicht immer. Dessenungeachtet darf derjenige, welcher dieses Werk in die Hand nimmt, nicht so sehr von allen Kenntnissen entblößt sein, daß er keine Vorstellung hätte von einer Weltkugel und von den krummen Linien auf derselben, nämlich den Parallelkreisen und denen, welche auf diesen rechtwinklig stehen, und von den schiefen; und daß er die Wendekreise, die Äquinoktialpunkte, den Tierkreis, durch welchen die Sonne ihren Lauf hält, und die verschiedenen Klimate und Winde nicht kennte. Denn wer dies, so wie die Lehre von dem Horizont und den arktischen Kreisen, und was sonst noch in den Anfangsgründen der Mathematik vorkommt, nicht inne hat, wie will der diesem Vortrage nachkommen? Wer aber nichts von einer geraden oder krummen Linie, von einem Kreis, nichts von den sieben Sternen des großen Bärs, noch sonst von etwas dergleichen versteht, der muß zuerst das studieren, ohne welches man mit der Geographie nicht vertraut werden kann; oder er müßte diese Vorträge entweder für immer, oder wenigstens gegenwärtig entbehren können.

22. Diese Schrift soll eigentlich eine gemeinnützliche sein, lehrreich für den Staatsmann und für den Bürger, wie ein Geschichtswerk. Denn wir denken uns ja unter einem Staatsmanne nicht einen Menschen ohne alle Bildung, sondern einen, der den Schulunterricht und die gewöhnliche Erziehung eines Freien und Wissenschaftliebenden genossen hat. Denn wer sich nicht um das, was gut ist, nicht um die Lebensklugheit und die dahin gehörigen Untersuchungen bekümmert, der ist auch nicht sicher im Lob, im Tadel, oder im Urteile, ob eine Handlung Auszeichnung verdiene.

23. Weil übrigens die Verfertiger der Hafen- und Küstenbeschreibungen in ihren unvollständigen Nachrichten die mathematischen und astronomischen Bemerkungen übergehen, so entschloß ich mich nach Vollendung meiner geschichtlichen Denkwürdigkeiten, welche, wie ich glaube, nützliche Beiträge zur ethischen und politischen Philosophie enthalten, diese Zusammenstellung nachfolgen zu lassen, ähnlich dem vorigen Werk, und auch wie jenes denselben Männern, nämlich solchen, die höhere Staatsämter bekleiden, gewidmet. Und wie dort nur bedeutendere Männer und Begebenheiten aufgenommen sind, mit Übergehung alles Geringeren, nicht Hervorragenden; so will ich auch hier das Geringfügige und Unscheinbare weglassen, und nur bei dem Ruhmwürdigen und Großen, zu taten Aufregenden, Merkwürdigen und Unterhaltenden mich verweilen. Denn so wie man bei kolossalen Kunstwerken nicht das Einzelne ängstlich untersucht, sondern sich im Urteil durch den Gesamteindruck bestimmen läßt, nach gleichen Grundsätzen möchte ich auch dieses Werk beurteilt wissen. Denn es ist gleichfalls ein kolossales Werk, in welchem Großes und Allgemeines beschrieben wird, ausgenommen, wenn auch etwas Geringes dem Wißbegierigen und Staatskundigen anziehend sein möchte. So viel über die Behauptung, daß vorliegendes Werk ein bedeutendes, eines Philosophen würdiges Unternehmen sei.

Zweites Kapitel

1. Indem ich jedoch einen Gegenstand behandle, über den schon viele vor mir geschrieben haben, glaube ich keinen Tadel zu verdienen; ich müßte denn dasselbe mit denselben Worten vortragen. Wenn aber auch meine Vorgänger manches geleistet haben, so ist doch noch ein so großes Stück Arbeit übrig, daß ich hinreichende Entschuldigung wegen dieses Werkes zu finden hoffe, wenn ich auch nur Weniges dem bisher Bekannten hinzufüge. Denn die Herrschaft der Römer und der Parther hat die geographische Kenntnis in unsern Tagen sehr erweitert, wie früher der Feldzug Alexanders die Kenntnis derjenigen, welche nach ihm lebten; was Eratosthenes bemerkt. Denn Alexander hat unsern Blicken den größten Teil von Asien und die nördlichen Striche Europas bis zum Ister geöffnet, die Römer alle Westgegenden Europas bis zum Elbestrom, welcher Germanien in der Mitte durchschneidet und weiter jenseits des Isters bis zum Tyrasfluß. Die Kenntnis der ferneren Striche bis zu den Mäoten und den bei den Kolchiern endenden Küstengegenden verdanken wir dem Mithridates, mit dem Beinamen Eupator, und seinen Feldherren. Die Parther haben uns mit Hyrkanien, mit Baktriana und den Skythen nördlich über ihnen bekannter gemacht, da diese früher nicht sehr bekannt waren. Und so kann ich schon etwas mehr sagen, als meine Vorgänger. Dies erhellt hauptsächlich aus meinen Bemerkungen gegen sie; nicht sowohl gegen die Früheren, als gegen die, welche nach Eratosthenes lebten, und gegen ihn selbst. Denn da diese die Sache viel besser wissen konnten, als die gemeinen Leute, so sind sie um so mehr zu tadeln, wenn sie sich Irrtümer zu Schulden kommen lassen. Sollte ich übrigens in den Fall kommen, auch denen manchmal zu widersprechen, welchen ich sonst hauptsächlich folge, so bitte ich deswegen um Entschuldigung. Ich hatte mir vorgenommen, nicht alle Schriftsteller kritisch zu behandeln, sondern diejenigen zu übergehen, denen man in gar nichts folgen kann, und nur solche zu beurteilen, die ich in den meisten Stücken als brauchbar kenne. Denn es ist keine Ehre, gegen alle zu Felde zu ziehen; aber gegen Eratosthenes, Posidonius, Hipparchus, Polybius und andere Ähnliche lohnt sich’s der Mühe.

2. Zuerst haben wir’s mit Eratosthenes zu tun, wobei wir zugleich die Einwendungen des Hipparchus gegen ihn vorbringen wollen. Es ist übrigens Eratosthenes nicht so verächtlich zu behandeln, daß man behaupten könnte, er habe nicht einmal Athen gesehen, was Polemo zu beweisen wagte: doch darf man ihm auch nicht alles glauben, wie einige verlangen, wiewohl er, nach seiner eigenen Aussage, mit sehr vielen vortrefflichen Männern umging. Es standen nämlich, wie Eratosthenes sagt, zu seiner Zeit die Philosophen Aristo und Arkesilaus in einer und derselben Stadt auf der höchsten Stufe ihres Ruhmes. Dies ist aber noch nicht so ausgemacht: man muß erst untersuchen, wem zu glauben ist. Er aber nimmt den Arkesilaus und Aristo als die Ersten unter den Philosophen seiner Zeit an; er lobt den Apelles und den Bion über alle Maßen, und von dem Letzteren sagt er, er sei der erste, der sich in eine blumige Philosophie gehüllt. Freilich kommt mich dabei oft die Luft an, zu fragen:

Was soll Bion aus Lumpen?

Gerade in diesen Behauptungen zeigt er eine Schwäche des eigenen Urteils. Er war mit Zeno aus Cittium zu Athen bekannt geworden; und doch erwähnt er keinen seiner Schüler. Aber seine Gegner, die keine Schule hinterlassen haben, sollen (wie er sagt) zu jener Zeit geblüht haben. Auch seine Schrift über das Gute, seine Untersuchungen und Ähnliches von ihm, verraten den Grad seiner Bildung. Deswegen schwankt er zwischen einem Philosophen und einem, der den Mut nicht hat, sich ganz der Philosophie zu ergeben, und der sich mit dem Schein begnügt. Oder waren jene Schriften von ihm nur eine Abschweifung von seinen übrigen allgemeinen Studien, zu seiner eigenen Unterhaltung und Übung? In anderen Sachen ist er gewissermaßen eben so. Doch lassen wir das, und bemühen wir uns zuerst, Geographisches zu berichten, und zwar in dem Punkte, welchen wir oben unerörtert lassen mußten.

3. Eratosthenes behauptet nämlich, der Dichter habe nur die Unterhaltung, nicht die Belehrung zum Zweck. Dagegen sagen die Alten, Dichterwerke seien eine Art erster Philosophie, welche uns in der Jugend ins Leben einführe, und uns auf eine angenehme Weise Sitten, Leidenschaften und Handlungen lehre; und unsere Schule sagt, der Dichter allein sei der Weise; weswegen die griechischen Städte ihre Kinder in früher Jugend durch Dichterwerk bilden lassen; und dies wohl nicht, um ihnen eine angenehme Unterhaltung zu verschaffen, sondern um ihnen Gesittung einzupflanzen. Geben sich doch aus diesem Grunde die Musiker, welche auf der Zither, auf der Flöte oder auf der Leier unterrichten, das Ansehen, als bezweckten sie eben diese Eigenschaft, da sie sich Erzieher und Sittenbildner nennen. Nicht bloß die Pythagoräer stellen obige Behauptung auf; Aristoxenos lehrt ebenso, und Homer nennt die Sänger Weise; so den Hüter der Klytämnestra

- dem ernstlich er auftrug,

Atreus Sohn, da gen Troja er fuhr, zu bewahren die Gattin

Und Ägisthus habe die Wünsche auch nicht eher erreicht, als bis er

Brachte den Sänger hinweg in ein wilderndes Elend,

wo er ihn ... zurückließ.

Sie dann führt’ er, wollend die Wollende, heim in die Wohnung.

Aber Eratosthenes steht auch außerdem mit sich selbst im Widerspruch. Denn unmittelbar vor der obigen Behauptung, da wo er von der Geographie anfängt, sagt er, alle Dichter hätten sich von jeher etwas darauf zu gut getan, ihre Kenntnisse in diesem Fache zu zeigen. Homer habe in seinen Gedichten niedergelegt, was er von den Äthiopen, über Ägypten und Libyen gewußt; ja bei Hellas und den umliegenden Gegenden sei er gar zu sehr ins Einzelne gegangen, indem er z.B. vom taubenreichen Thisbe, von dem grasreichen Haliartus, von der Grenzstadt Anthedon und von Liläa an den Quellen des Cephissus rede; und keines dieser Beiwörter stehe ohne Bedeutung.

Wird nun ein Dichter, der solche Stellen hat, unterhalten oder belehren wollen? Ich denke: belehren. So spricht Homer von diesen Örtern. Die Gegenden freilich, welche über die Grenze seiner Erfahrung hinausreichten, hat er, wie so viele andere, mit Wundersagen angefüllt. Daher hätte sich Eratosthenes so ausdrücken sollen, des Dichters Absicht sei, bald zu unterhalten, bald zu belehren; er aber nimmt nur das Erste, nicht aber das Zweite als Zweck desselben an. Dabei fragt er, was dem Dichter als solchem die Kenntnis vieler Örter, der Kriegskunst, des Landbaus oder der Redekunst, oder was man noch alles dem Dichter zumuten wolle, eigentlich nütze? Wer solche unmäßigen Forderungen an ihn mache, der lasse sich durch seinen Eifer zu sehr hinreißen: wie wenn jemand, nach Hipparchus Ausdruck, an dem heiligen Zweige, die Attische Eiresione genannt, auch Äpfel und Birnen suchen wollte. So sei es gerade, wenn man vom Dichter alle Wissenschaften und Künste verlangte. Und insofern hast du Recht, mein Eratosthenes! Aber da hast du Unrecht, wenn du den Dichter von vielseitigen Kenntnissen lossprichst, und die Poesie zur Märchendichtung alter Weiber herabwürdigst, die das Recht hat, alles zu ersinnen, was zur Unterhaltung beitragen mag. So also sollten die Dichter nichts zur Bildung der Leser beitragen können? Ich meine nämlich, mit ihrer Kenntnis vieler Örter, oder der Kriegskunst, oder des Ackerbaus, oder der Rhetorik. Natürlich lernt man beim Lesen manches von diesen Dingen.

4. Alle diese Kenntnisse aber legt der Dichter dem Odysseus bei, den er vor allen mit jeglicher Tugend schmückt. Denn er ist’s, der nach ihm

Vieler Menschen Städte geseh’n, und Sitte gelernt hat.

Er war

Wohl in mancherlei Listen gewandt und bedachtsamer Klugheit.

Er heißt immer der Städteverwüster, und der Troja erobert

Nur durch Rat und Worte allein, und täuschende Künste.

Wenn mich dieser begleitet, sogar aus flammendem Feuer

Kehrten wir beide zurück,

sagt Diomedes. Er selbst rühmt seine Kenntnis des Landbaus. Er sagt in der Stelle von der Mähezeit:

Gras zu mäh’n selbst hielt’ ich die schön gebogene Sense.

So auch hieltest sie du;

und dort, wo er vom Pflügen spricht:

Wahrlich du säh’st, ob die Furch’ in einem Zug sich hinabschnitt.

Ist’s denn nicht eigentlich Homer, der so denkt? Und berufen sich nicht alle Gebildeten auf Homers Zeugnis, daß er Recht habe, wenn er durch dergleichen Kenntnisse Belehrung bezwecke?

5. Die rednerische Kraft aber liegt in den Worten; und diese zeigt Homer durch seine ganze Dichtung hindurch, z.B. im Versuch, in den Bitten und in der Sendung, wo er sagt:

Aber sobald er der Brust die gewaltigen Stimmen entsandte

Und ein Gedräng’ der Worte, wie stöbernde Winterflocken;

Dann wetteiferte traun kein Sterblicher sonst mit Odysseus.

Wer könnte nun annehmen, daß ein Dichter, der andere als gute Redner, und Feldherren, und auch sonst als Männer von Vorzügen darzustellen imstande ist, nichts sei als ein Schwätzer und Gaukler, der zwar seine Leser zu bezaubern und zu kirren, aber ihnen nicht zu nützen verstehe? In welcher andern Tüchtigkeit aber möchten wir die Kunst des Dichters aber möchten wir die Kunst des Dichters bestehen lassen, als in der Darstellung des Lebens durch Worte? Wie kann er aber das Leben darstellen, wenn er es nicht kennt und ungebildet ist? Denn des Dichters Kunst ist doch wahrhaftig nicht wie die des Schmiedes oder des Zimmermanns, an der nichts Schönes und Edles ist; seine Tugenden hingegen sind durch die Tugenden der Menschen bedingt, und es kann der kein guter Dichter sein, der nicht zuvor ein guter Mensch ist.

6. Wer aber gar den Dichter von der Redekunst freisprechen will, der hat wohl im Sinn, uns zum Besten zu halten. Was ist einem Redner, was ist einem Dichter unentbehrlicher als der Ausdruck und wer wüßte sich besser auszudrücken als Homer? Es ist zwar der dichterische Ausdruck von dem prosaischen verschieden; und bei dem dichterischen selbst macht man einen Unterschied zwischen dem tragischen und dem komischen, so wie bei dem prosaischen zwischen dem erzählenden und gerichtlichen. Ausdruck ist also der Gattungsbegriff, der in die Arten des dichterischen und prosaischen zerfällt. Ich sage Ausdruck, nicht bloß rednerischer Ausdruck und Kraft der Rede; denn der prosaische Ausdruck ist bloß eine Nachahmung des poetischen. Denn es trat zuerst die poetische Darstellung auf, und erhielt Beifall, hernach lösten zwar einige Nachahmer derselben die Fesseln des Versbaus, behielten aber im übrigen die dichterische Schreibart bei. Hierher gehören Kadmus, Pherecydes und Hekatäus; die Späteren ließen immer mehr Dichterisches weg und brachten sie, wie aus der Höhe, zur heutigen Schreibart herunter, gerade wie man auch von dem Lustspiel sagen könnte, es sei aus dem Trauerspiel dadurch entstanden, daß dieses herabgestiegen sei von seiner Höhe zu dem, was man den Ausdruck des gemeinen Lebens nennt. Und daß man im Altertum singen für reden sagte, das ist eben ein Beweis, daß die Quelle und der Ursprung der geordneten Rede und der Redekunst die Poesie ist; diese bediente sich des Gesanges, wenn sie auftrat; und es war die Ode nichts anderes als eine gesungene Rede, woher auch der Name Rhapsodie, Tragödie und Komödie. Da nun der Ausruck reden hauptsächlich von der dichterischen Rede gebraucht wurde, diese aber vom Gesang begleitet war, so wurden bei ihnen die Ausdrücke singen und reden gleichbedeutend; und so ist die prosaische, des Versmaßes ermangelnde Rede dem ähnlich, der von einer Höhe, aus einem Wagen auf die Erde herab steigt.

7. Jedoch nicht bloß die naher Örter, wie Eratosthenes sagt, und die bei den Griechen vorkommen, sondern auch viele weit entfernte gibt Homer genau an, und zwar genauer als die späteren Mythenschreiber, wobei er nicht zwecklos nach Wundern jagt, sondern manches zur Belehrung, zum Schmuck und um zu gefallen, in Bildern darstellt, besonders bei der Irrfahrt des Odysseus. In dieser Hinsicht täuscht sich Eratosthenes sehr, wenn er den Dichter samt seinen Auslegern Schwätzer nennt, worüber ich nun ein Mehreres reden muß.

8. Was erstlich die Mythen betrifft, so sind die Dichter nicht die ersten, die sie aufgenommen haben; sondern lange vor ihnen taten das die Staaten und die Gesetzgeber in einer weisen Absicht, indem sie auf die sinnliche Natur des vernünftigen menschlichen Wesens Rücksicht nahmen. Denn der Mensch ist wißbegierig und hört, wenn er noch jünger ist, gerne Wunder; weswegen man auch die Kinder dadurch zum Zuhören und zur Aufmerksamkeit auf das Vorgetragene gewöhnt. Denn die Mythe bringt immer etwas Neues und nicht das schon Vorhandene, sondern was noch nicht da ist; und eben darin, daß etwas noch neu und vorher nie gekannt ist, liegt der Reiz, der die Wißbegierde erregt. Wenn nun in einer Mythe auch etwas Seltsames oder Wunderbares vorkommt, so erhöht dies die angenehme Empfindung, deren Erregung eben das Zaubermittel des Unterrichts ist. Im Anfang sind solche Lockspeisen notwendig; die erwachsene Jugend aber muß man zur Kenntnis des Wirklichen anleiten, da der erstarkte Verstand solcher Reizmittel nicht mehr bedarf. Wiewohl jeder Unerfahrene und Ungebildete ist im Grund ein Kind, und liebt das Wunderbare wie ein Kind: ebenso der nur Halbgebildete. Denn auch bei diesem ist der Verstand nicht vorherrschend, sondern es kleben ihm noch die kindischen Gewohnheiten an. Es gibt aber nicht bloß anziehende, sondern auch abschreckende Mythen, weshalb man sich beider für die Jugend, wie für die Erwachsenen bedient. Die unterhaltenden Mythen erzählen wir den Knaben zur Aufmunterung, die abschreckenden zur Warnung. Zu den letzteren gehört das Märchen von der Lamia, der Gorgo, vom Ephialtes [Alp] und von der Mormolyke. Die meisten derer, die in Städten wohnen, werden durch schöne Mythen zur Nacheiferung aufgemuntert, wenn sie die Dichter edle Taten aus der mythischen Zeit erzählen hören, wie z.B. die Kämpfe des Herakles oder des Theseus, oder die Ehre, die ihnen von den Göttern widerfuhr; oder auch, wenn sie Gemälde, Schnitzbilder oder sonstige plastische Kunstwerke schauen, welche solche Begebenheiten aus dem höchsten Altertum darstellen; zur Warnung aber dient es ihnen, wenn sie die Strafen, die Schrecknisse, die Drohungen der Götter in Schilderungen, oder in Abscheu erregenden Abbildungen erblicken, oder doch glauben, daß dies über manchen verhängt worden sei. Denn es kann der Philosoph den Haufen der Weiber und des übrigen gemeinen Volkes nicht durch Gründe überzeugen, und zur Frömmigkeit, Sittlichkeit und Redlichkeit führen, sondern es bedarf dazu der Scheu vor den Göttern: diese aber beruht auf Mythen und Wundern. Donnerkeil, Ägide, Dreizack, Fackeln, Drachen, Thyrsoslanzen, als Götterwaffen, sind Märchen, samt der ganzen alten Theologie, erfunden von den Gründern der Staaten, kindische Gemüter damit zu schrecken. So verhält es sich mit der Erfindung der Mythen, die sich allmählich in das gesellschaftliche und politische Leben und in die wirkliche Geschichte eng verwebten. Und diese Erziehung, wie sie nur Kindern geziemt, ließen die Alten auch noch dem reiferen Alter, in der Meinung, jedes Alter lasse sich durch die Poesie bilden. In späteren Zeiten trat die Geschichte mit ihrer Wahrheit und die jetzige Philosophie auf. Diese ist freilich nur für wenige, die Dichtung hingegen ist bei dem Volke beliebter, und geeignet, die Theater zu füllen, vorzugsweise die des Homer. Und darum sind die ersten Geschichtsschreiber und Naturlehrer zugleich Mythendichter.

9. In dem, was der Dichter [Homer] zur Belehrung erzählt, befleißigt er sich größtenteils der Wahrheit, nur bisweilen mischt er auch Unwahres ein: jene liegt bei ihm zum Grunde; diese gebraucht er, um die Menge anzuziehen und zu leiten.

Wie wenn ein künstlicher Mann mit Gold das Silber beleget,

so verwebte er in die wahren Begebenheiten die Mythe, als Reiz und Schmuck der Rede; sein Endzweck aber war kein anderer als der des Historikers, dessen, der die Wahrheit darstellt. Das Wahre ist bei ihm der trojanische Krieg, und die Irrfahrt des Odysseus; beides verschönert er durch Fabeln. Denn Wunder ersinnen, die sich nicht auf etwas Wahres beziehen, ist nicht Homers Sache, und Dichtung, mit Wahrheit gemischt, gewinnt natürlich an Wahrscheinlichkeit; eine Behauptung, die auch Polybius in seiner Untersuchung über die Irrfahrt des Odysseus aufstellt. Dahin gehört auch der Vers:

Also der Täuschung viel erdichtet‘ er, ähnlich der Wahrheit.

Nicht alles, sondern nur viel erdichtete er; sonst wäre es nicht wahrscheinlich gewesen. Das Geschichtliche legte er zu Grund. Er läßt den Äolus die Inseln um Lipara, die Zyklopen und gewisse ungastliche Lästrygonen die Gegenden um den Ätna und bei den Leontinern beherrschen, weil der Strich an der Sizilischen Meerenge, da namentlich auch in der Gegend um die Charybdis und Skylla Räuber hausten, unsicher war. Und so finden wir im Homer dem einen hier, dem andern dort seine Stelle angewiesen. Und den Cimmeriern, von denen er wußte, daß sie gegen Norden in neblichten Gegenden wohnen, weist er mit Fleiß dunkle Wohnungen in der Nähe der Unterwelt an. Daß er sie aber kennen mußte, geht aus dem Umstande hervor, weil die Chronologen den Einfall der Kimmerier kurz vor ihm, oder in seine Zeit setzen.

10. Er kannte die Kolchier, er kannte Jasons Fahrt nach Äa, die Sagen von der Circe und Medea, und was von ihren Zaubertränken und sonstigen Übereinstimmungen in dem Leben beider erzählt wird. Er macht sie einander verwandt, ob sie gleich weit von einander entfernt waren, die zweite in einem Winkel des Pontus, die erste in Italien, und setzt sie in den äußeren Ozean. Wahrscheinlich hatte sich auch Jason bis gegen Italien hin verirrt: denn es finden sich am Ceraunischen Vorgebirg‘ am adriatischen Meere, am Busen von Pästum, und auf den Inseln vor Etrurien Spuren von der Irrfahrt der Argonauten. Dazu trugen auch die cyaneischen Klippen bei, die man auch Symplegaden nennt, welche die Durchfahrt durch die byzantische Meerenge gefährlich machen: denn wie aus dem Aea (der Medea) ein Ääa (der Circe) entstand, so auch die Planktä aus den Symplegaden. So bildete sich auch, da die Skylla und Charybdis bekannt waren die Sage von der Durchfahrt durch diese Klippen. Natürlich sah man in jener Zeit das pontische Meer als einen anderen Ozean an, und meint, die auf ihm Schiffenden steuerten ebenso ins Endlose hinaus, wie diejenigen, welche sich weit von den Säulen entfernen. Denn es wurde für das größte Meer innerhalb des festen Landes gehalten, und deswegen nannte man es auch vorzugsweise den Pontus, wie den Homer vorzugsweise den Dichter. Vielleicht trug dieser eben deswegen das, was vom Pontus galt, auf den Ozean über, was man wegen der herrschenden Meinung sich gerne gefallen ließ. Ich glaube auch, daß die Solymer, welche auf den höchsten Bergen des Taurus über Lykien hin bis nach Pisidien wohnen, und deren höchste Gipfel gegen Süden, innerhalb des Taurus auf der Meerseite sich befinden, wegen dieser Ähnlichkeit in den Ozean hinaus verlegt habe. Denn so spricht er von Odysseus, der auf dem Floße fährt:

Aber Poseidon, zurück von den Äthiopen sich wendend,

Schaut‘ ihn fern von den Bergen der Solymer.

Vielleicht hat er auch jene einäugigen Zyklopen aus der skythischen Geschichte entlehnt; denn es soll solche Leute, Arimaspen genannt, gegeben haben, wie Aristeas von Prokonnesus in seinem arimaspischen Gedichte erzählt.

11. Dies vorausgesetzt, müssen wir untersuchen, was diejenigen sagen, welche die Irrfahrt des Odysseus nach Homer in die Nähe von Sizilien oder Italien setzen, und diejenigen, welche dies leugnen. Denn es läßt sich beides behaupten, nur das eine mit mehr Grund als das andere. Mit mehr Grund läßt sich die Irrfahrt des Odysseus in jenen Gegenden behaupten, und annehmen, er habe diese wahre Begebenheit dichterisch ausgeschmückt. So läßt es sich auf eine ungezwungene Weise erklären. Und in der Tat findet man sowohl von seiner Irrfahrt, als auch von den Irrfahrten anderer verschiedene Spuren in der Gegend von Italien, bis an die äußersten Punkte Iberiens. Unrichtiger ist es, wenn jemand auch die Ausschmückung für historische Wahrheit ansieht, da man den Ozean, den Hades, die Sonnenrinder, die gastliche Aufnahme bei den Göttinnen, die Verwandlungen, die Größe der Zyklopen und Lästygonen, die Gestalt der Skylla, die Entfernungen der Fahrten, und dergleichen mehr, leicht als dichterische Zusätze erkennt. Einen, den der Dichter so schlecht verstanden hat, zu widerlegen, ist ebenso unnötig, als eine Widerlegung der Behauptung, daß Odysseus auf die beschriebene Weise wirklich nach Ithaka geschifft sei, die Freier getötet und die Schlacht mit den Ithakern auf dem Felde bestanden habe. Aber man muß auch den nicht widerlegen wollen, der dies auf eine ungezwungene Art erklärt.

12. Beide Annahmen werden von Eratosthenes nicht gründlich bestritten; denn er sucht einesteils das offenbar Erdichtete, worüber gar nichts zu sagen ist, weitläufig zu widerlegen; andernteils behauptet er, der Dichter schwatze in den Tag hinein, und meint, es trage die Kenntnis der Örter und der verschiedenen Künste nichts zur geistigen Bildung bei: es sei nichts mit seinen Mythen, sowohl mit denen, die sich auf nicht erdichtete Örter beziehen, wie z.B. auf Ilium, auf den Pelion und Ida, wie mit solchen, die an erdichtete Stellen versetzt werden, wie dies bei den Gorgonen und Geriones der Fall ist. Ebenso verhalte es sich mit der Erzählung von der Irrfahrt des Odysseus. Die Behauptung derer, welche sagen, sie sei nicht erdichtet, sondern es liege ihr etwas Wahres zu Grunde, lasse sich aus dem Mangel an Übereinstimmung widerlegen, indem z.B. einige die Sirenen an das Vorgebirge Pelorum setzen, andere auf die Inseln Syrenusä , Stellen, die mehr als 2000 Stadien von einander entfernt seien; es beständen aber diese Inseln aus einer dreizackigen Klippe zwischen den beiden Busen von Cumä und von Posidonia [Pästum]. Allein es ist hier weder von einer dreizackigen Klippe, noch überhaupt von einer Hervorragung über das Meer eine Spur zu finden; sondern es zieht sich ein weite Bucht an die Meerenge gegen Capreä in der Gegend von Surrentum, auf deren (nördlicher) gebirgiger Seite ein Tempel der Sirenen, und auf der entgegengesetzten Seite an dem Busen von Posidonia drei unbewohnte, felsige Inselchen sich befinden, welche man Sirenusä nennt. Am äußersten Punkt der Meerenge steht der Tempel der Minerva, wovon auch die Bucht den Namen hat.

13. Aber man muß, wenn diejenigen, welche gewisse Gegenden beschreiben, nicht übereinstimmen, nicht sogleich die ganze Erzählung verwerfen; vielmehr wird sie bisweilen eben dadurch im allgemeinen bestätigt. Wenn man z.B. eine Untersuchung anstellt, ob die Irrfahrt [des Odysseus] in der Nähe von Sizilien und Italien gewesen, und ob den Sirenen irgendwo in diesen Gegenden ihre Wohnung anzuweisen sei, und wenn sie nun der Eine gegen Pelorum, ein Anderer auf die Sirenusen setzt; so sind zwar beide hierüber verschiedener Meinung, nicht aber über die Nähe Siziliens und Italiens, als welche durch sie nur noch mehr bestätigt wird, da sie, zwar über die Lage der Sireneninseln nicht einig, doch darin übereinstimmen, daß dieselbe bei Italien oder Sizilien zu suchen sei. Und wenn noch angegeben wird, daß man in Neapeldas Grabmahl der Parthenope, einer der Sirenen, zeige, so bestärkt dies die Überzeugung noch mehr, obgleich alsdann ein dritter Ort für sie herauskäme. Da übrigens an dem Busen, welchen Eratosthenes den Kumäischen nennt, den die Sirenusä bilden, auch Neapel liegt, so wird die Wahrscheinlichkeit des Aufenthalts der Sirenen in diesen Gegenden noch erhöht. Es ist ja nicht anzunehmen, daß der Dichter alles so sorgfältig untersucht habe, weshalb wir hierin kein große Genauigkeit bei ihm erwarten dürfen. Jedoch will ich dies nicht so verstanden haben, als glaubte ich, er habe eben seine Rhapsodien gedichtet, ohne von der Irrfahrt des Odysseus und von den Örtlichkeiten und den übrigen Umständen etwas gewußt zu haben.

14. Hesiodus aber hat, wie Eratosthenes vermutet, etwas von des Odysseus Irrfahrt g

 

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