Raubzug der Kimbern und Teutonen 

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Alle Herkunft liegt im dunkeln. In einem Land, von Nebelschwaden zerfetzt, in dem die Sonne nur selten scheint und wo des Winters die Flüsse zufrieren, hausten dereinst, tief in Wäldern und Sümpfen verborgen, sagenumwobene Völker, übervoll des Tatendurstes, den ewig gierigen Hauch des Blutstroms spürend. Anfangs noch gewohnt, sich fortwährend in Spinnweben zu verfangen, in eiskaltem Wasser zu baden und auf dem nackten Boden zu schlafen, waren sie es alsbald leid, ihr Fleisch roh zu verschlingen und sich nur von Beeren und wildem Honig zu ernähren, und so entstiegen sie, nach Ruhme dürstend, ihren nassen Niederungen und erhoben mit der Morgenröte ihr wildes Kriegsgeschrei. Niemand weiß, was sie zu ihrem Raubzug veranlaßt oder wer ihnen den Gedanken dazu eingehaucht hat, mögen es Verirrte gewesen sein, die sich in Gebiete diesseits der Alpen verliefen, oder vom Krieg Versprengte, die ihnen die Kunde zutrugen, daß es im Süden, zur Sonne hin, Gefilde gab, wo das Auge das Licht nicht zu ertragen imstande war und die Fluren von Früchten gesegnet seien. In klirrenden Rauhnächten mag da der Gedanke gereift sein, dem strömenden Regen, den morastigen Gründen den Rücken zu kehren und sich auf Wanderschaft zu begeben. Die Wege, die es zurückzulegen galt, waren alles andere als geebnet: Wurzelwerk, Gestrüpp, Schlamm und Steine galt es zu bewältigen - die graue Zeit der Völkerwanderung  war angebrochen.

Wutschnaubend, mit blutigen Mäulern, brachen sie auf, bahnten sich ihren Weg durch Brombeersträucher und Brennesseln, die Weiber mit zerzausten Haaren, Säuglinge an den Brüsten und in schäbigen Kleidern. Alte und Kranke gab es in diesem Haufen nicht, sie alle erlagen den Strapazen, der Tod raffte sie hinweg wie die Fliegen, und Maden zerfraßen, wo immer sie liegenblieben, ihre verblichenen Leiber, den Wölfen ein willkommener Schmaus, Krähen noch hackten ihnen die Augen aus. Doch der Durst wich nicht von ihnen, die Mannhaften paarten sich unaufhörlich mit den verführerischsten Weibern, und sie vollzogen die Gesetze des Lebens, und ihre Zahl schwand nicht.

Und als sie aus den Wäldern heraustraten, standen sie trockenen Fußes, mit zerfetztem Schuhwerk, doch da sie die Milch ihrer Weiber getrunken hatten, waren sie weder abgekämpft noch ausgezehrt, sondern kampferprobt und voller Wildheit. Und da war es, daß auch den Finstersten ein Lächeln übers Gesicht huschte, und das Brachiale nahm seinen Lauf.

Waren sie in ihren Wäldern noch nahezu unbezwinglich, so drohte ihnen jetzt, auf den freien Feldern, Gefahr. Das Land, das sie betraten, gehörte wem, und diese sahen die Eindringlinge nicht gern, sondern wiesen ihnen den Weg. Aber wie es des Menschen Natur ist, bleibt es nicht lange beim Bitten, also nahmen sie sich mit Gewalt, was man ihnen von Rechts wegen, da man ihren Beteuerungen keinen Glauben schenkte, verwehrte. Also beginnt die Geschichte der Kimbern und der mit ihnen verwandten Teutonen.

Eines wackeren Mannes höchste Tugenden aber sind die ihm von der Natur selbst verliehenen Kräfte, sich zu nehmen, was kein anderer, ohne für sich selbst merkliche Verluste fürchten zu müssen, einem streitig zu machen imstande ist. So ist es im ewig heiteren Einklang mit der Natur, welche selbst dieses Gesetz geschaffen hat, und es gibt kein besseres. Und da sie nicht einsahen, daß den Schwachen von den Göttern eine andere Aufgabe zugedacht war, als den Starken eine Beute zu sein, so nahmen sie ihnen alles weg, was sie besaßen: Weiber, Kinder, Hab’ und Gut, und wenn sie sich dagegen auflehnten, ihr Los nicht bereitwillig annahmen, so erschlugen sie sie kurzerhand.

Je weiter aber ein Mensch im Norden lebt, desto wilder und ungestümer ist er. Er gleicht mehr noch der Natur als irgendein anderer: sein Blick ist ungetrübt wie der klare Quell, der ihm zur täglichen Labsal gereicht, seine Stimme dem peitschenden Regen gleich, sein Hauch grollend, zuckenden Blitzes sein Geist, das Herz kalt wie erstarrtes Eis und weiß seine Haut wie Schnee, finster die Mine, den Wäldern gleich, in denen er haust. Und wie die Not zu Dieben macht, so bringen rauhe Lebensumstände und natürliche Kargheit den Menschen in Bedrängnis. Wo die Fluren verwüstet, die Teiche leergefischt, die Wälder überjagt, die Nachkommenschaft hingegen zahlreich ist, wo der Boden nichts gibt, was zum Handel taugt, dort trägt alsbald die Scholle den Wirt nicht mehr. In ihrer äußersten Not schreckten einige von ihnen selbst davor nicht zurück, Menschenfleisch zu essen. Weil sie sich aber nicht gänzlich gegenseitig verzehren wollten, besannen sie sich eines Bessern. Die Geburtsstunde des Räubers war angebrochen, der sät, aber nicht erntet, der sich abmüht, aber nichts einbringt, der nicht tot ist, aber auch nicht lebt. Und da sie sich nicht gegenseitig berauben konnten, beschlossen sie, Fremde zum Gegenstand ihrer Beutegelüste zu machen. Und sie fingen an, andere gering zu achten, ihre Heiligtümer zu erbrechen und die Schätze daraus zu verschleppen. Und nachdem sie dies vollbracht hatten, machten sie sich ganze Landstriche tributpflichtig. Und je ferner einige der Ihrigen von den andern lebten, desto streitbarer waren sie auch.

„Am wildesten sind die, die im Norden wohnen und an der Grenze Skythiens, und man sagt, daß einige Menschenfresser seien, wie auch die von den Britanniern, die die Iris genannte Insel bewohnen. Da ihre Kraft und Wildheit bekannt sind, behaupten einige, sie seien mit denen identisch, die in alter Zeit ganz Asien überrannt hätten, den sogenannten Kimmeriern, und im Lauf der Zeit sei der Name verkürzt worden zu dem der Kimbern. Seit alter Zeit war es ihr Ehrgeiz, auf Raubzüge in fremde Länder zu gehen und alle geringzuschätzen. Sie sind es gewesen, die Rom eingenommen, das Heiligtum in Delphi geplündert und einen großen Teil Europas und keinen geringen auch von Asien tributpflichtig gemacht haben. Das Land der Unterworfenen haben sie besiedelt, und sie wurden wegen ihrer Vermischung mit den Griechen ,Hellenogalater genannt, und schließlich haben sie viele große Heere der Römer aufgerieben.“[1]

Den Hyperboreern entsprossen, jenen, die über dem Winde leben, traten sie aus dem Dunkel der Geschichte, und als Kimmerier kamen sie ans Licht, in Mediterra, Mittelerde, und wie die Herkunft der Kimbern höchst ungewiß ist, so undurchschaubar sind auch ihre Legenden, die sich um sie ranken, und da ist niemand, der weiß, so er es nicht in sich selber spürt, was sie zu ihrer Wanderschaft trieb. Als vor zehntausend Jahren durch Erdbeben und Überflutungen die Insel Atlantis, so groß wie ein Kontinent,  im Meer versank, waren die Menschen zum Ende der Eiszeit gezwungen, dem Ansteigen des Meeresspiegels auszuweichen. Und weil dadurch bedingt ganze Völker sich genötigt sahen umzusiedeln, so mögen auch die Kimmerier unter denen gewesen sein, denen die Natur dieses Schicksal vorherbestimmt hat. Unser Gewährsmann über diese frühesten Ereignisse aber ist Poseidonios.

„Was dagegen bei ihm steht über die Hebungen der Erde und die Senkungen, über ihre Veränderungen durch Erdbeben und die anderen, ähnlichen Prozesse, die auch wir aufgezählt haben, ist richtig. Gut ist auch die Erwähnung von Platons Ansicht an dieser Stelle, daß es möglich sei, daß die Erzählung von der Insel Atlantis keine Erfindung sei. Darüber, sagt Platon, habe Solon nach Erkundigungen bei den ägyptischen Priestern erzählt, daß es einmal dagewesen und dann verschwunden sei, von nicht geringerer Größe als ein Kontinent. Dies zu sagen hält Poseidonios für besser, als daß der Erdichter dieser Insel sie wieder hätte verschwinden lassen, wie Homer die Mauer der Achäer. Auch vermutet er, die Auswanderung der Kimbern und der mit ihnen verwandten Stämme aus ihrer Heimat sei die Folge einer Überflutung durch das Meer gewesen, die nicht plötzlich kam.“[2]

Gleichwohl wie dieses Ansteigen des Meeresspiegels nicht plötzlich geschah, so augenblicklich, wie es zunächst den Anschein hatte, erfolgte umgekehrt ihr Zug. Das gepeitschte Meer, der ewig rauhe Wind und die einbrechenden Fluten, welche ihr Land überspülten, sie in ihren Häusern ertränkten und ihre Ernten vernichteten, werden es gewiß nicht gewesen sein, was sie dazu veranlaßt hat, ihre angestammten Wohnsitze, scheinbar grundlos, so plötzlich zu verlassen. Es drang vielmehr die Kunde zu ihnen, ähnlich den Juden, vom Lande der Verheißung, und da sie sahen, daß die Kelten sich Länder eroberten, in denen das Leben viel leichter zu ertragen sei und wo die Menschen viele Vorteile genössen und die Götter gnädiger gestimmt seien, so war es der Neid, der nicht zuließ, daß andere etwas haben, was ihnen versagt blieb. Der sagenhaften Kimmerier aber weiß niemand anders zu deuten, als daß sie Räuber waren.

„Über die Kimbern wird manches Unrichtige gesagt, während anderes ziemlich glaubwürdig ist. Man kann es wohl nicht als Begründung für ihre Irrfahrten und Raubzüge akzeptieren, daß sie als Bewohner einer Halbinsel durch eine große Sturmflut aus ihren Wohnsitzen vertrieben worden seien. Denn sie bewohnen dieses Land noch heute, das sie früher besaßen, und haben Augustus als Geschenk ihr heiligstes Kultgefäß geschickt, mit dem Wunsch nach Freundschaft und der Bitte um Vergebung für die früheren Missetaten, und als ihrer Bitte entsprochen worden war, kehrten sie in ihre Heimat zurück.

Es ist lächerlich anzunehmen, daß sie im Zorn über ein natürliches und dauerndes, sich zweimal täglich wiederholendes Ereignis aus ihrer Heimat wegzogen. Und einer Erfindung sieht die Behauptung ähnlich, daß es zu einer außergewöhnlichen Flut gekommen sei - denn der Ozean hat bei den Gezeiten geordnete und begrenzte Zu- und Abnahmen. Nicht recht hat auch der, der behauptet, die Kimbern hätten ihre Waffen gegen die Fluten erhoben, und auch nicht damit, daß die Kimbern es zur Einübung der Furchtlosigkeit zuließen, daß die Wellen ihre Häuser überschwemmten, und daß sie sie dann wieder aufbauten, und daß sie größere Verluste durch das Wasser erlitten als durch den Krieg, wie Ephoros sagt. Die Regelmäßigkeit der Gezeiten und der Umstand, daß die von der Flut betroffenen Gebiete bekannt waren, würden solche Torheiten nicht zugelassen haben. Wo es zweimal täglich zur Flut kam, wie ist es da nicht unglaublich, daß die Kimbern wenigstens einmal erkannt hätten, daß die Gezeiten natürlich sind und ungefährlich  und nicht nur bei ihnen vorkommen, sondern bei allen Bewohnern der Ozeanküste? Und auch Kleitarch hat nicht recht, der erzählt, daß Reiter, die das Anfluten des Meeres gesehen hätten, weggeritten und geflohen seien, aber beinahe von den Wellen eingeholt worden wären. Wir haben aber Kunde davon, daß das Meer nicht mit solcher Geschwindigkeit auf das Land zukommt, sondern unmerklich vorrückt. Auch wird das, was täglich geschieht und für alle, die sich nähern, schon hörbar ist, bevor sie es sehen, ihnen nicht solchen Schrecken einjagen, daß sie die Flucht ergreifen, als hätte sie die Flut ganz unerwartet ereilt.

Das alles kritisiert Poseidonios mit Recht an den Historikern, und seine Vermutung ist nicht schlecht, daß die Kimbern Räuber gewesen seien und umherstreiften und bis zum Gebiet der Maeotis gekommen seien, und daß von den Kimbern der Kimmerische Bosporos seinen Namen bekommen habe, gleichbedeutend mit ,kimbrisch, denn die Griechen hätten die Kimbern Kimmerier genannt. Er sagt auch, daß früher die Boier den Herkynischen Wald bewohnt hätten, und die Kimbern seien gegen dieses Gebiet gezogen, aber von den Boiern abgeschlagen worden und dann zum Ister und zu den galatischen Skordiskern gezogen; dann seien sie zu den Teuristern und Tauriskern gezogen, die auch Galater waren, und dann gegen die Helvetier, ein goldreiches Volk zwar, doch ein friedliches. Als die Helvetier gesehen hätten, daß der durch die Raubzüge gewonnene Reichtum den ihren überstieg, seien sie angestachelt worden, und besonders von ihnen die Tiguriner und die Tougener, die dann mitgezogen seien. Alle wurden dann aber von den Römern vernichtet, die Kimbern selbst und die, die mitgezogen waren, die einen nach dem Übergang über die Alpen nach Italien und die anderen jenseits der Alpen.“[3]

Aus den dichten, schattigen Wäldern Germaniens waren sie ins Römische Reich eingebrochen, in Massen, die weit über die kühnsten Erwartungen hinausgingen. Nicht überall jedoch, selbst nicht unter verwandten Völkern, fanden solch große Volksmengen freundliche Aufnahme. Als ihnen der Durchzug verwehrt wurde, redeten die Waffen das Wort. Und weil ihrer Völker viele gleichstark waren, trugen sie den Bruderkrieg zuerst unter sich aus. Den Boiern, welche die Gebiete des nachmaligen Böhmen bewohnten, war es gelungen, die Kimbern abzuwehren und sie Richtung donauabwärts abzudrängen, woraufhin sie bis zum Schwarzen Meere vorstießen, während andere Teile von ihnen über die heutige Schweiz die Alpen westwärts umgingen. Da die Herkynischen Wälder undurchdringlich und die Völker darin unbezwinglich waren, stießen also die einen bis in die skythischen Steppen vor, die anderen ins Rhônetal und zu den Skordiskern, um Rom in die Zange zu nehmen.

Viele, die ihnen auf ihrem Zug begegneten, stachelten sie zu gleichem Tun auf, dadurch daß sie ihnen den gewonnenen Reichtum vor Augen führten. Und da die Völker, mit denen sie zusammentrafen, sahen, welchen Reichtum sie durch ihre Räubereien angehäuft hatten, glaubten diese, auf ebensolche Weise reich zu werden.

„Als die Skordisker sehr viel Beute mitbrachten, veranlaßten sie auch andere zu denselben Wünschen und weckten den Glauben, daß der Raub fremden Gutes und bewaffnete Plünderung ein Kennzeichen wackerer Männer sei. Es war eine Bestätigung des Gesetzes der Natur, wenn die Stärkeren die Habe der Schwächeren wegraubten.“[4]

„Als die Skordisker später den Durchmarsch verhinderten, machten sie deutlich, daß selbst Rom nicht aufgrund der eigenen Macht herrsche, sondern nur wegen der Schwäche der anderen.“[5]

Wer ist dieses Rom? waren ihre Worte, sind nicht sie es, die  ihre Waffen niemals auch nur gegen Rom zu erheben wagten, warum Rom diese Stärke besitzt, die niemand ihm bisher streitig zu machen suchte? Und die Weiber spieen ihren Männern ins Gesicht, die vor den Römern sich fürchteten. Da sie nun sahen, daß Gold schwerer wiege als alles, was Furcht nie aufwiegen könne, scharten sie sich zusammen und schlossen sich dem Kimbernzug an. Des Brudermordes überdrüssig, verbündeten sie sich mit ihren Brüdern, und vereint beschritten sie den gemeinsamen Weg leichter, indem sie zu Beutegenossen machten, die ihnen noch kurz zuvor feindlich gegenüberstanden. Und die Schale Feindesblutes, die sie bisher ein jeder für sich getrunken hatten, tranken sie nunmehr aus gemeinsamem Kelche. Doch die es ihnen gleichtun wollten, wurden später mit ihnen, diesseits und jenseits der Alpen, von den Römern vernichtet.

Zunächst jedoch begann für die Römer ein unrühmlicher Rückzugskampf, in dessen Verlauf sie den an kühnem Mut, Behendigkeit und Körperkraft allen anderen überlegenen, blonden Völkern kaum mehr trotzen konnten. Der Fluch der hellblauen Augen war über Rom hereingebrochen, und durch nichts waren sie aufzuhalten, und nichts konnte sie trennen. Sie verbrüderten sich mit keinem und waren voller Verachtung für alle, die nicht waren wie sie. Und da ihnen ihre Zahl gewaltig erschien, so konnte keine Furcht sie davor bewahren, sich zu nehmen, was ihnen ohnehin schon zu gehören schien.

In den Schluchten der Alpen kam es zur ersten Feindberührung zwischen Römern und Teutonen. Nicht durch offenen Kampf, nicht durch Hinterlist noch Verrat war es dem römischen Feldherrn gelungen, die Teutonen, als sie in der Falle saßen, zu besiegen. Wie Mücken wurden die Römer zwischen ihren Händen zerklatscht, und nur den Launen der Natur hatten sie es zu danken, daß es noch einmal ein Entrinnen für sie gab.

„Eine zahlreiche Schar von Teutonen fiel räubernd in das Land der Noriker ein, und in der Furcht, sie könnten nach Italien einfallen, lauerte ihnen der Konsul der Römer, Papirius Carbo, dort in den Alpen auf, wo der Durchgang am engsten ist. Als die Teutonen nicht angriffen, marschierte Carbo selbst gegen sie und machte ihnen zum Vorwurf, ins Gebiet der Noriker, Freunden des römischen Volkes, eingedrungen zu sein. Die Römer machten nämlich die zu ihren Gastfreunden, denen sie erlaubten, ihre Freunde zu sein, ohne sich aber dazu zu verpflichten, ihnen wie Freunden zu helfen. Als Carbo sich näherte, schickten die Teutonen Gesandte zu ihm mit der Botschaft, daß sie von der Freundschaft der Noriker mit den Römern nicht gewußt hätten, und daß sie sie in Zukunft nicht mehr behelligen wollten. Carbo lobte die Gesandten und gab ihnen Führer mit, denen er heimlich den Auftrag gegeben hatte, die Teutonen einen weiteren Weg zu führen; er selbst marschierte schnell auf einem kürzeren Weg und stürzte sich überraschend auf die Teutonen, als sie noch rasteten. Für seine Treulosigkeit büßte er durch hohe Verluste. Vielleicht hätte er sogar alle Truppen verloren, wenn es nicht mitten in der Schlacht zu Dunkelheit und Regen und schweren Donnerschlägen gekommen wäre, die die Kämpfenden voneinander trennten und die Schlacht durch den Schrecken von oben auflöste. Aber auch so flohen die Römer in verstreuten Trupps und sammelten sich mit Mühe am dritten Tage. Und die Teutonen zogen zu den Galatern.“[6]

Die Gefangenen schleppten sie mit sich fort. Grausame Götter führten den Blutreigen an, donnerschmetternd und stürmisch ritten sie durch die Nacht, und Walhall, von ehernen Lianen umschlossen, lag vor ihnen. Gespenstisch drang es heraus aus den Grüften, die Runen fielen wie Würfel, und schöne Frauen verwandelten sich in Hexen.

„Es gibt eine Sitte bei den Kimbern, über die folgendes berichtet wird: Ihre Frauen, die mitzogen, waren begleitet von Priesterinnen mit grauem Haar, weißen Gewändern, aus Leinen gefertigten und durch Spangen befestigten Oberkleidern, einem Gürtel aus Erz, und barfüßig. Mit gezücktem Schwert schritten sie durch das Lager den Kriegsgefangenen entgegen, bekränzten sie und führten sie zu einem ehernen, etwa zwanzig Amphoren fassenden Kessel. Hier gab es eine Trittleiter, die die Frauen hinaufstiegen, und dorthin ließen sie die Gefangenen nacheinander hinaufheben und, über das Becken gebeugt, schnitten sie ihnen die Kehle durch. Aus dem in den Kessel strömenden Blut gaben sie dann eine Art Weissagung; andere schnitten die Leiber der Gefangenen auf und verkündeten aus der Eingeweideschau den Ihrigen den Sieg. Während der Kämpfe schlugen sie auf Häute, die über das Flechtwerk ihrer Wagen gespannt waren, wodurch ein absonderliches Getöse veranstaltet wurde.“[7]

Aber sowie sie mit fremden Kulturen in Berührung kamen, die sie anfangs noch als verweichlicht ansahen, taten sie, von ihren Priestern und Führern gescholten und der Ausschweifung geziehen, nicht mehr das, wofür sie geschaffen waren und was die Natur von ihnen erwartete, sondern versündigten sich, weniger aus Überzeugung als aus Leichtigkeit,  wider sich selbst sowie gegen den eigenen Körper, der auf Härte ausgelegt war, und fügten ihm unermeßlichen Schaden zu. Im Genuß aller Annehmlichkeiten, deren sie plötzlich habhaft werden konnten, wich ihre ursprüngliche Stärke von ihnen und es trat eine Schwäche ein, und kaum mehr waren sie den Belastungen gewachsen, die sie seit ihrer Erschaffung hatten ertragen können und die ihr Körper gewöhnt war, und Wohlleben und Trunksucht im Übermaß raubten ihnen das letzte, worin sie sich vor anderen auszeichneten. Also mußten sie  der vollständigen Vernichtung anheimfallen, und diese konnte nicht mehr lange auf sich warten lassen. Dadurch nämlich, daß sie sich die anderen unterworfen hatten und sich die Lebensweise der Besiegten angeeignet, sich auch mit diesen vermischt hatten, gingen sie unter.

„Wenn die Kimbern einmal Halt machten, büßten sie viel von ihrem Kampfgeist ein und wurden dadurch schlaffer und träger an Leib und Seele. Das kam davon, daß sie anstelle ihres bisherigen Lebens unter freiem Himmel in festen Häusern wohnten und statt der früheren Kalt- nun Warmbäder nahmen. Vorher gewohnt, rohes Fleisch zu verzehren, sättigten sie sich jetzt an Leckerbissen und einheimischen Gewürzen und übernahmen sich an Wein und schwerem Getränk, ganz gegen ihre bisherige Sitte. Diese Lebensweise raubte ihnen den ganzen Kampfesgeist und schwächte ihre Körper, so daß sie weder Mühen noch Strapazen, nicht Hitze oder Kälte oder Schlaflosigkeit mehr ertragen konnten.“[8]

Weil aber Gerüchte sich stets schneller verbreiten, als die Wahrheit hinterhereilt, drang, während noch Roms Hauptgegner in Afrika sich tummelte, der Ruf aus den Wäldern Germaniens zu ihm, daß Heere heranrücken, die alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen und denen sich entgegenzustellen kein Aufgebot, das nicht zuvor den Tod um Beistand angefleht hat, sich angeraten lassen sein sollte. Rom selbst einzunehmen war das erklärte Ziel jener Völkerschaften, und nicht eher wollten sie ruhen und seßhaft werden, bis sie nicht die Bewohner der Stadt und ganz Italien sich unterworfen und unermeßliche Beute gemacht hätten. Ihrer Herkunft nach kamen sie aus einem Land nördlich der Herkynischen Wälder, wo der Stern Polaris ganz hoch am Himmel steht, aus des Nordlands Fjorden, und sie ritzten den Stein mit ihren Fingernägeln, und es floß Blut daraus. Noch heute sprechen die Felsbilder im Hohen Norden eine eindeutige Sprache, sie zeigen nicht nur Jagd-, sondern auch Kampfszenen, Schiffe und Gefangene, mithin nehmen sie in Bildern vorweg, was erst in historischer Zeit überliefert ist. Raubend durchstreiften sie alles Land bis zur Mäotis, und sie nahmen die skythischen Frauen und hinterließen die Bastarde, die sie mit ihnen zeugten, weil sie sie nicht als ebenbürtig ansahen, sondern von minderer Art.

 „Jetzt brauchten die Römer einen großen Feldherrn und hielten Ausschau nach einem Steuermann, der den Staat vor der gewaltig heranbrandenden Kriegswoge retten könnte. Aber niemand aus den großen und reichen Häusern wagte es, die Verantwortung zu übernehmen. So wurde Marius trotz seiner Abwesenheit von Rom zum Konsul gewählt. Kaum war nämlich Jugurthas Gefangennahme gemeldet worden, als sich schon die Gerüchte von den Kimbern und Teutonen verbreiteten. Anfangs fanden sie keinen Glauben bezüglich der Größe und der Stärke der anrückenden Heere, doch später stellte sich heraus, daß alle Vermutungen hinter der Wahrheit zurückgeblieben waren. Dreihunderttausend streitbare Männer zogen heran, und weit zahlreicher, hieß es, seien die Frauen und Kinder, die dem Zuge folgten, auf der Suche nach Land, das solche Massen ernähren könnte, nach Städten, in denen sie sich niederlassen und leben könnten. Sie hatten gehört, daß vor ihnen die Kelten die besten Teile Italiens den Etruskern abgenommen und behalten hätten. Da sie ohne Verbindung mit anderen gelebt hatten und von so weit herkamen, wußte man nicht, wer sie eigentlich waren und von woher sie wie eine Wolke über Gallien und Italien hereinbrachen. Die meisten Vermutungen gingen dahin, es handele sich um germanische Völkerschaften, die am Nordmeer wohnten, aufgrund ihrer besonderen Körpergröße, ihrer hellblauen Augen und weil die Germanen die Räuber ,Kimbern‘ nennen. Einige behaupten, das keltische Land erstrecke sich in gewaltiger Tiefe und Ausdehnung vom äußeren Meer und den nördlichen Himmelsstrichen ostwärts hin zur Mäotis und grenze hier an das Land des pontischen Skythien; so sei hier aus den Stämmen eine Mischbevölkerung entstanden. Diese Scharen seien nicht in einem Zug und nicht ununterbrochen ausgezogen, sondern alljährlich im Frühling seien sie ein Stück weiter gewandert und hätten so lange Zeit das Festland durchzogen. Deshalb gab man dem Heer, das viele Sonderbezeichnungen für die einzelnen Teile hatte, den gemeinsamen Namen ,Keltoskythen. Andere sind der Meinung, ein kleiner Teil davon seien die Kimmerier gewesen, die zuerst den Griechen in alter Zeit bekanntgeworden wären, die auf der Flucht vor den Skythen oder in Auflehnung gegen sie unter Führung des Lygdamis von der Mäotis nach Kleinasien hinübergegangen seien. Der größte und streitbarste Teil von ihnen wohne in entferntesten Gegenden am äußeren Meer, besitze ein schattiges, waldreiches Land, das von der Sonne kaum beschienen sei wegen der tiefen und dichten Wälder, die sich bis zu den Herkynischen Wäldern erstrecken sollen. Sie bewohnen einen Breitengrad, wo der Pol eine bedeutende Höhe erreicht wegen der Neigung der Parallelkreise, und der Pol sei nur wenig vom Zenith der Bewohner entfernt. Die Tage seien in Kürze und Länge den Nächten gleich und teilten das Jahr in zwei Hälften. Hier habe Homer reichlich Stoff für seine Schilderung der Unterwelt gefunden. Aus dieser Gegend sei der Ansturm dieser Barbaren auf Italien erfolgt, die ursprünglich Kimmerier, danach aber nicht unpassend Kimbern genannt worden seien. Diese Angaben beruhen mehr auf Vermutung als auf sicherer historischer Kenntnis; daß die Zahl der Barbaren aber nicht kleiner, sondern eher größer gewesen ist, als oben gesagt wurde, wird von vielen berichtet. Sie waren von unwiderstehlichem Mut und Tatendrang, und in den Schlachten kämpften sie gleich dem Feuer mit solcher Blitzartigkeit und Gewalt, daß ihrem Ansturm niemand standhalten konnte, sondern alle, über die sie herfielen, für sie eine sichere Beute waren. Viele große Heere und Feldherren der Römer, die das jenseits der Alpen liegende Gallien beschützen sollten, waren unrühmlich geschlagen worden. Diese waren es besonders, die durch ihren schlechten Kampf den Strom der Barbaren nach Rom gelockt hatten. Da sie alle besiegt hatten, auf die sie gestoßen waren und große Reichtümer erbeutet hatten, beschlossen sie, sich nirgendwo niederzulassen, ehe sie nicht Rom vernichtet und Italien geplündert hätten.“[9]

 Die Nornen, die Schicksalsgöttinnen, hatten entschieden, das ewig unbegreifliche Schicksal zu ihrem Verderben gelenkt. Und sie zogen das Los, und sie teilten das Los. Und wie niemand auch nur eine Ahnung vom Ausgang hat und sein Ende so bald herannahen sieht, so sahen auch sie nicht in ihrer sich selbst für Götter haltenden Verblendung, daß die Opfer keinen günstigen Ausgang verhießen und die Eingeweide voller Fäulnis waren. Die Unsterblichkeit hatte sie zu Helden auserkoren, denn stets buhlen Göttinnen mit Helden, und in ihrer leidenschaftlich entfachten Liebe neideten sie ihnen jedes irdische Weib. Teutonen und Ambronen war der Untergang als ersten beschieden, den Kimbern noch eine Spanne irdischen Glücks vergönnt. Und wie die Göttinnen gebannt auf das Schlachtfeld hernieder sahen, ließen sie ihre Todgeweihten in einem letzten Glanze erstrahlen. Groß und wohlgestaltet waren sie alle, als sie in Kampfformation, den wogenden Schlachtruf ausstoßend, aufmarschierten, an Kraft und Ausdauer unvergleichlich, und niemand vermochte ihren stechenden Blicken standzuhalten.

 „Inzwischen waren Nachrichten eingelaufen, daß die Feinde nahe seien, und Marius überquerte in Eilmärschen die Alpen. An der Rhône schlug er ein befestigtes Lager auf, in dem er gewaltige Vorräte anhäufte; denn es sollte nie so weit kommen, daß Mangel an Lebensmitteln ihn zwänge, den Kampf in einem ungünstigen Zeitpunkt aufzunehmen. Da der Transport von der Küste zum Lager langwierig und kostspielig war, sorgte er selber für einen leichten, rasch befahrbaren Zugang zum Meer. An der Rhônemündung hatten sich infolge der Brandung große Schlammassen abgelagert, und tiefe Sandbänke waren entstanden, so daß die Getreidekähne nur ganz langsam und mit großen Schwierigkeiten einfahren konnten. Marius setzte seine Truppen, welche im Augenblick unbeschäftigt waren, zur Abhilfe ein, ließ einen breiten Graben ausheben und die Rhône zum größten Teil in diesen umleiten. Der Kanal führte zu einer günstigen Stelle an der Küste, wo er ruhig und von keiner Brandung gehemmt ins Meer ausströmen konnte, das an der Mündungsstelle tief genug war, um auch großen Schiffen die Einfahrt zu gestatten. Noch heute trägt er den Namen seines Schöpfers.

Die Barbaren hatten sich indes in zwei Gruppen geteilt. Die Kimbern zogen das Los, von Norden her durch Noricum gegen Catulus zu ziehen und den Zugang nach Italien zu erzwingen. Die Teutonen und Ambronen sollten durch das Gebiet der Ligurer am Meer entlang Marius entgegenziehen. Die Kimbern stießen auf mehr Aufenthalt und Verzögerung, doch die Teutonen und Ambronen brachen gleich auf, zogen durch das dazwischenliegende Gebiet und zeigten sich den Römern in ungeheuerer Menge und mit schreckenerregendem Aussehen, an Stimme und Gelärme keinen anderen ähnlich. Sie bedeckten einen großen Teil der Ebene, schlugen ihr Lager auf und forderten Marius zum Kampf heraus.“[10]

Um ihre Feinde in Angst und Schrecken zu versetzen und auch um sich selbst desto mehr anzufeuern, liefen sie nicht, wie es Barbarenart ist, beim Angriff alle wild durcheinander, sondern sie ließen sowohl ihren Schritt als auch ihren Kampfschrei im Gleichtakt ertönen. Und während sie angriffen, sangen sie, und während sie sangen, griffen sie an, die kampfstärksten Einheiten der Ambronen, die mit ihren schweren Waffen im Rhythmus aneinanderschlugen, allen voran. Vor ihnen hatten die Römer die größte Angst, und wieder sangen die Schwerter dem Tode ein Lied. Und wie sie in das Heer der Römer hineinriefen, so hallte es daraus zurück.

Da Marius sich nicht rührte, versuchten die Teutonen das Lager zu stürmen, wurden aber von einem Hagel von Geschossen empfangen und ließen etliche ihrer Krieger auf dem Platze. Da beschlossen sie weiterzuziehen, den Alpen zu, die sie sicher zu überschreiten hofften. Sie packten also ihre Habe zusammen und machten sich am römischen Lager vorbei auf den Weg. Jetzt erst konnten die Römer aus der Länge des Zuges und der Dauer des Vorbeimarsches ganz ermessen, welch ungeheuren Menschenmassen sie sich gegenübersahen. Denn sechs Tage lang, heißt es, zogen die Germanen ohne Unterbruch an Marius' Schanzen vorüber. Sie kamen dabei so nahe an den Wall, daß sie den Legionären unter lautem Lachen zurufen konnten, ob sie an ihre Frauen daheim etwas zu bestellen hätten, denn bald seien sie bei ihnen.

Als die letzten Barbaren vorbeimarschiert waren und die Germanenscharen sich weiterwälzten, brach auch Marius auf und folgte ihnen behutsam. Er machte stets in ihrer unmittelbaren Nähe halt, wählte aber feste Lagerplätze und schützte sie durch starke Schanzen, um vor nächtlichen Überfällen sicher zu sein. So gelangten die beiden Heere bis nach Aquae Sextiae. Von da war es nicht mehr weit bis zum Fuß der Alpen, und darum sah Marius vor, in dieser Gegend die Schlacht zu schlagen. Er wählte für das Lager einen Platz, der leicht zu halten, aber nicht genügend mit Wasser versehen war, um dadurch, wie man erzählt, die Soldaten noch mehr zu reizen. Viele fingen wirklich an zu murren und behaupteten, verdursten zu müssen. Da zeigte er ihnen ein Flüßchen, das nahe am feindlichen Lager vorüberströmte, und sagte, dort gebe es zu trinken, aber zahlen müßten sie mit Blut. «Warum», fragten die Legionäre, «führst du uns denn nicht gleich hinunter, solange unser Blut noch flüssig ist?» Marius erwiderte ruhig: «Erst müssen wir das Lager befestigen.»

Die Soldaten gehorchten, wenn auch verdrossen', die Troßknechte hingegen, welche weder für sich noch für ihre Tiere Wasser hatten, liefen in Haufen zum Fluß hinunter. Neben den Wassereimern nahmen sie Äxte und Beile, einige auch Schwert und Lanze mit, denn sie wollten um jeden Preis, und wenn es Kampf gelten sollte, Wasser holen. Anfänglich stellten sich ihnen nur wenige Feinde in den Weg. Die meisten hatten gebadet und saßen beim Mahle, andere tummelten sich noch in den warmen Quellen, welche dort aus dem Boden sprudelten. Die Römer überraschten denn auch viele, die sich's im Bade wohl sein ließen und vergnügt die Wunder des Ortes auskosteten. Als auf das Geschrei hin viele zusammenliefen, hatte Marius Schwierigkeiten, seine Soldaten, die sich um ihre Sklaven sorgten, zurückzuhalten, da auch der kampfstärkste Teil der Feinde, von dem die Römer schon früher unter Mallius und Caepio geschlagen worden waren - sie hießen Ambronen und waren für sich allein schon dreißigtausend Mann stark -, aufgestanden war und zu den Waffen lief. Obwohl sie durch eine reichliche Mahlzeit beschwert waren und der ungemischte Wein sie ganz ausgelassen und feurig gemacht hatte, stürzten sie nicht etwa in ungeordnetem und tollem Lauf heran und gaben ein verworrenes Feldgeschrei, sondern sie stießen ihre Waffen im Takt aneinander und marschierten im Gleichschritt und riefen immer wieder alle zusammen ihren Namen ,Ambronen‘, sei es, daß sie sich anfeuern wollten, sei es, daß sie ihre Feinde mit dieser Ankündigung schon vorher in Schrecken versetzen wollten. Von den Italikern waren die Ligurer die ersten, die gegen die Feinde herabzogen. Als sie das Geschrei hörten und verstanden, schrien sie ihnen entgegen, daß auch ihr angestammter Name so laute. Die Ligurer nennen sich nämlich selbst ihrer Herkunft nach ,Ambronen. Oft nun erscholl dieser Ruf auf beiden Seiten, bevor das Handgemenge begann. Als die übrigen Soldaten in das Feldgeschrei jeweils einstimmten und ihre Ehre dareinsetzten, den Gegner durch die Lautstärke des Geschreis zu übertönen, erhitzte und reizte das Gebrüll ihren Mut. Der Fluß hatte die geschlossene Front der Ambronen zerrissen, und nach dem Übergang fanden sie die Zeit nicht mehr, sich zusammenzuschließen. Denn kaum waren die ersten am anderen Ufer, da stürzten die Ligurer auch schon auf sie ein, und das Handgemenge war im Gange. Den Ligurern eilten die Römer zu Hilfe, warfen sich von der Höhe herab auf die Barbaren und brachten sie durch die Wucht ihres Angriffs zum Weichen. Die meisten hieben sie noch am Flusse nieder, wo sich die Feinde im Gedränge stießen und traten, und füllten sein Bett mit Blut und Leichen. Dann überquerten sie das Wasser und setzten das Gemetzel am jenseitigen Ufer fort, denn die Ambronen wagten nicht mehr Front zu machen und flohen der Wagenburg und ihrem Lager zu. Dort aber kamen ihnen ihre Weiber entgegen, mit Schwertern und Äxten in den Händen, und stürzten sich mit gellendem Wutschrei auf die Fliehenden wie auf die Verfolger, auf die einen als Verräter, auf die andern als Feinde. Sie warfen sich mitten ins Kampfgetümmel, rissen den Römern mit bloßen Händen die Schilde weg und packten ihre Schwerter, ließen sich verwunden und in Stücke hauen, bis zum Tode unbesiegt in ihrem Mut. So soll es denn zu dieser Schlacht am Flusse mehr durch Zufall als mit Marius' Willen gekommen sein.

  Ein großer Teil der Ambronen war vernichtet, als die Römer bei einbrechender Nacht das Schlachtfeld verließen, um ins Lager zurückzukehren. Aber nicht Siegeslieder empfingen hier die Krieger wie sonst nach einem glücklichen Erfolg, nicht Trinkgelage und fröhliche Schmausereien in den Zelten, und auch der süßeste Lohn nach siegreichem Kampf blieb ihnen versagt, der ruhige Schlaf. Gerade diese Nacht verbrachten sie in Furcht und Sorge, denn ihr Lager hatte weder Wall noch Graben, und viele Zehntausende der Barbaren waren noch unbesiegt. Mit diesen hatten sich die Ambronen, welche dem Blutbad entronnen waren, vereinigt, und ihr Wehklagen tönte in die Nacht hinaus. Aber es klang nicht wie menschliches Weinen und Stöhnen, ein tierisches Heulen und Brüllen, untermischt mit Drohungen und schrillen Klagerufen, stieg aus der riesigen Menschenmasse empor und hallte wider von den Bergen in der Runde und von den Ufern des Flusses. Ein schauriges Getöse erfüllte die Ebene, und Angst packte die Römer. Ja, an Marius selber schlich das Entsetzen heran, da er einen nächtlichen Kampf mit all seinem wirren Durcheinander erwarten mußte.

Die Feinde indes kamen weder in der Nacht noch am folgenden Tag, denn sie brachten die ganze Zeit damit zu, sich für die Schlacht vorzubereiten und ihre Scharen zu ordnen. Auch Marius ließ die Frist nicht ungenutzt verstreichen. Zu Häupten der Barbaren stiegen dunkle Waldtäler und Schluchten steil empor. Dorthin schickte er Claudius Marcellus mit dreitausend Legionären in den Hinterhalt. Sie sollten im Verborgenen warten und nach Beginn der Schlacht den Germanen in den Rücken fallen. Die übrigen Truppen, welche zur gewohnten Stunde das Abendessen eingenommen und sich zur Ruhe gelegt hatten, ließ er in der Morgenfrühe in Schlachtordnung vor dem Lager aufmarschieren, die Reiterei schickte er dem Fußheer voraus in die Ebene hinunter. Den Teutonen war es angesichts der feindlichen Bewegungen unerträglich zu warten, bis die Römer zum Kampf ins flache Gelände herabkämen, in zorniger Hast griffen sie zu den Waffen und stürmten den Hügel hinan. Marius schickte seine Offiziere nach allen Seiten und ließ den Legionären befehlen, ruhig an ihrem Platze stehen zu bleiben, bis die Feinde auf Wurfweite herangekommen wären. In diesem Augenblick sollten sie die Wurfspieße schleu­dern, dann das Schwert ziehen und sich kräftig in die Schilde stemmen, um die Angreifer zurückzustoßen; denn am abschüssigen Hang verlören die Hiebe der Gegner ihre Wucht und ihre Schild an Schild gedrängte Front sei ohne Stoßkraft, wenn die Krieger auf dem unebenen Boden taumelten und nicht sicher Stand fassen könnten. Was Marius befahl, führte er selber als erster vor seinen Leuten aus, denn an körperlicher Gewandtheit stand er keinem nach, an Wagemut übertraf er alle.

 So erwarteten denn die Römer die bergwärts stürmenden Feinde und hielten ihrem Anprall stand, stemmten sich dann ihrer Phalanx entgegen und drängten sie Schritt für Schritt in die Ebene zurück. Schon wollten sich im flachen Gelände die vordersten Germanen zu neuem Angriff ordnen, da erscholl aus den hintersten Reihen wirres Geschrei. Marcellus hatte den richtigen Zeitpunkt wahrgenommen und war, als das Getöse der Schlacht über die Hügel drang, mit seinen Leuten aufgebrochen. Jetzt fielen diese im Sturmschritt und mit lautem Kampfgeschrei den Barbaren in den Rücken und machten die hintersten nieder. Schon gerieten die nächstvorderen Linien in Unordnung, und bald verbreitete sich die Verwirrung über das ganze Heer. Die Teutonen, von vorn und hinten bedrängt, hielten nicht mehr lange stand, ihre Reihen lösten sich und waren bald in wilder Flucht. Hinter ihnen her jagten die Römer. Über hunderttausend Mann wurden von den Verfolgern niedergemacht oder gefangengenommen, auch fielen die Zelte und Wagen samt aller Habe der Feinde in ihre Hände.

Die Soldaten beschlossen, daß die ganze Beutemasse - ausgenommen freilich, was schon gestohlen worden war - Marius gehören solle. Es war ein reiches, glänzendes Geschenk, und doch hatten sie das Gefühl, auch damit seine Feldherrntat noch nicht würdig belohnt zu haben: so groß war die Gefahr gewesen. Andere Historiker stimmen weder mit der Schenkung der Beute an Marius noch mit der Menge der Gefallenen überein. Die Massalioten aber, sagen sie, hätten mit den Gebeinen ihre Weinberge eingehegt, und die Erde sei durch die in ihr verwesenden Gebeine und die winterlichen Regenfälle so fett und von der tief eingedrungenen Fäulnis so voll geworden, daß sie im nächsten Frühling eine unglaubliche Menge von Früchten hervorgebracht und das Wort des Archilochos bestätigt habe, daß von solchen Ereignissen die Fluren fett würden. Man behauptet auch, daß nach großen Schlachten gewöhnlich ungeheure Regenmassen niederstürzten, weil eine Gottheit die Erde mit reinem Wasser vom Himmel reinigen und abspülen will, oder weil das Blut und die Fäulnis einen feuchten und schweren Dunst aufsteigen lassen, der die Luft verdickt, die ja ohnehin leichtbeweglich ist und sich aus dem geringsten Anlaß ganz leicht verändern läßt.“[11]

Und wie alles zu Staub wird, so ist jedes Lebewesen am Ende wieder Nahrung und Baustein für ein anderes, hoffnungsvolleres. Als die Kimbern vom Untergang ihrer Brüder hörten, konnten sie es zunächst nicht recht glauben, doch nach und nach erhärtete sich das Gerücht immer mehr zur Tatsache. Weil sie aber ihre Brüder verloren hatten, so suchten auch sie eine Entscheidung und sehnten die Schlacht herbei.

„Die Macht aber, welche kein großes Glück in reiner, ungetrübter Lust genießen läßt, sondern unser Leben in buntem Wechselspiel durch Leiden und durch Freuden führt, mag sie nun «Schicksal» genannt werden oder «göttliche Vergeltung» oder «unabänderliche Natur des irdischen Geschehens», diese Macht wollte es, daß Marius wenige Tage später von seinem Mitkonsul Catulus eine Kunde erhielt, die wie eine dunkle Wolke am heitern, stillen Tag neue Ängste und Gewitterstürme über Rom heraufführte. Catulus, der den Kimbern den Einbruch nach Italien verwehren sollte, hatte auf die Sperre der Alpenpässe verzichtet, um sein Heer nicht aufzusplittern und dadurch seine Schlagkraft zu schwächen. Er war wieder gegen das italische Land hinabgestiegen und hinter die Etsch zurückgegangen. Hier wollte er den Feinden den Übergang sperren und errichtete zu beiden Seiten des Flusses stark befestigte Schanzen. Er schlug auch eine Brücke über die Furt, um den Soldaten am andern Ufer Hilfe bringen zu können, wenn die Barbaren durch die Pässe gegen die römische Verteidigungsstellung anrennen sollten. Die aber hatten für ihre Gegner nichts als Verachtung und frechen Hohn übrig, und einzig um ihnen ihre Kraft und ihren tollkühnen Mut vor Augen zu führen, nicht etwa um etwas Notwendiges zu tun, liefen sie nackt umher, wenn es schneite, kletterten durch Eis und tiefen Schnee auf die Bergeshöhen, setzten sich auf ihre breiten, flachen Schilde, stießen ab und sausten, unbekümmert um die schroffen Wände und klaffenden Schründe, in die Tiefe hinunter. Als sie in der Nähe der römischen Sperre ihr Lager aufgeschlagen und sich die Furt angeschaut hatten, machten sie sich daran, das Flußbett auszufüllen. Sie rissen wie vor Zeiten die Giganten die Hügel in der Runde weg, schleppten Bäume mitsamt den Wurzeln, Felsblöcke und gewaltige Erdklumpen in den Fluß und versuchten, ihn aus seinem Lauf zu verdrängen. Auch ließen sie in der Strömung schwere Stämme hinabtreiben, welche gegen die Stützbalken der Brücke prallten und den ganzen Bau ins Wanken brachten. Den meisten der römischen Soldaten entfiel der Mut, sie ließen das große Lager im Stich und wollten abziehen. In dieser Stunde bewies Catulus jene Feldherrngröße, welche den eigenen Ruhm opfert, um die Ehre der Mitbürger zu retten. Denn als er sah, daß alle seine Vorstellungen die Soldaten nicht zum Ausharren bewegen konnten, weil die Angst ihnen im Nacken saß und sie vorwärts trieb, da ließ er den Adler aufnehmen, eilte an die Spitze der Ausreißer und zog ihnen voran. Die Schande sollte auf ihn, nicht auf das Vaterland fallen, die Preisgabe der Stellung als vom Feldherrn befohlener Rückzug, nicht als Flucht erscheinen. Die Barbaren indes griffen das römische Kastell am jenseitigen Etschufer an und erstürmten es, der Besatzung aber gewährten sie auf Grund eines Vertrages den freien Abzug; denn sie anerkannten voller Bewunderung, daß sie sich tapfer gewehrt und für ihr Vaterland Ehre eingelegt hätten. Man beschwor den Vertrag bei einem ehernen Stier, der später unter der Kimbernbeute wieder gefunden wurde und nach der Schlacht im Haus des Catulus Aufstellung fand, die prächtigste Ehrengabe für den Sieg. Nun überschwemmten die Kimbernscharen raubend und plündernd das von allem Schutz entblößte Land.

Wegen dieses Ereignisses wurde Marius nach Rom berufen. Als er ankam, erwartete man allgemein, er werde im Triumph in die Hauptstadt einziehen, und der Senat hatte ohne Zögern seine Zustimmung erteilt. Marius verzichtete, denn er wollte seine Soldaten, die mit ihm den Sieg erstritten hatten, der ihnen gebührenden Ehre nicht berauben. Vielleicht leitete ihn auch der Gedanke, dem Volk in dieser schweren Zeit Mut zu machen dadurch, daß er den Ruhm seines ersten Sieges dem Glück der Stadt gleichsam in treue Hut übergab, voll sicheren Vertrauens, ihn nach dem zweiten strahlender wieder zu empfangen. Nachdem er die Maßnahmen, welche der Augenblick erheischte, besprochen hatte, eilte er Catulus entgegen und versuchte, den Entmutigten aufzurichten. Auch rief er seine eigenen Truppen aus Gallien zu sich. Nach ihrer Ankunft überschritt er den Po, um die Barbaren zu verhindern, noch weiter nach Süden vorzudringen. Die Kimbern jedoch wichen dem Kampfe aus unter dem Vorwand, sie wollten auf die Teutonen warten und seien sehr erstaunt, daß sie sich noch nicht blicken ließen. Vielleicht wußten sie wirklich nichts von ihrem Untergang oder taten so, als glaubten sie nicht daran. Denn wer ihnen Kunde von der Niederlage brachte, wurde schwer mißhandelt, und zu Marius schickten sie Unterhändler, welche für die Kimbern und ihre Brüder Siedlungsland und die nötigen Städte verlangten. Marius fragte, wer denn ihre Brüder seien, und als sie erwiderten: «Die Teutonen», da lachten seine Begleiter laut heraus, er selber aber sagte spottend: «Macht euch keine Sorgen um eure Brüder! Sie haben Land - es ist von uns geschenkt - und werden es für alle Zeiten haben.» Die Barbaren spürten den Hohn in seinen Worten und brachen in Schmähungen aus: Dafür würden sie ihm heimzahlen, die Kimbern sogleich und die Teutonen nach ihrer Ankunft. «Aber sie sind ja schon da», sagte Marius, «und es wäre unhöflich von mir, euch zu entlassen, bevor ihr eure Brüder begrüßt habt.» Er erteilte einen Befehl, und die Könige der Teutonen wurden in Ketten vorgeführt. Sie waren auf der Flucht durch die Alpen den Sequanern in die Hände gefallen.

 Als die Kimbern diese Nachricht erhielten, rückten sie sogleich auf Marius los; der aber rührte sich nicht in seinem Lager. Für jene Schlacht, so wird berichtet, habe er auch eine Neuerung an den Wurfspießen eingeführt. Bisher hatte man den Schaft, der in die eiserne Spitze eingelassen war, mit zwei Eisennägeln befestigt. Marius ersetzte den einen dieser Nägel durch einen leicht zerbrechlichen hölzernen Stift, den andern ließ er an seiner Stelle. Er wollte damit erreichen, daß der Wurfspieß nicht gerade bleibe, wenn er den feindlichen Schild durchschlüge, denn beim Aufprall sollte der hölzerne Stift zerbrechen und das Eisen sich krümmen; dann würde die umgebogene Spitze im Schilde haften bleiben und den Schaft nachschleifen.

Der Kimbernkönig Boiorix ritt nun mit kleinem Gefolge vor das römische Lager und forderte Marius auf, herauszukommen und mit ihm um das Land zu kämpfen. Tag und Ort des Treffens möge er selber festsetzen. Marius gab zur Antwort, die Römer hätten noch nie vor einer Schlacht ihre Feinde zu Rate gezogen, doch wolle er den Kimbern den Gefallen tun. So bestimmten sie denn als Zeitpunkt für den Kampf den übernächsten Tag und als Walstatt die Ebene von Vercellae, auf der die römischen Reiter frei ausschwärmen und die Barbaren ihre Truppenmassen entfalten konnten. Getreu der Abmachung traten die beiden Gegner zur vereinbarten Zeit zum Kampfe an. Catulus - er verfügte über zwanzigtausenddreihundert Soldaten - stand im Zentrum der römischen Schlachtlinie, während Marius' Truppen in der Stärke von zweiunddreißigtausend Mann auf die beiden Flügel verteilt waren. Soviel ist dem Bericht Sullas, welcher bei Vercellae mitgekämpft hat, zu entnehmen. Andere fügen bei, Marius habe den heftigsten Zusammenprall der Heere auf den Flügeln erwartet, da sich lange Frontlinien in der Mitte erfahrungsgemäß zurückbiegen, und dementsprechend die römischen Streitkräfte aufgestellt: die Ehre des Sieges sollte seinen eigenen Leuten zufallen, Catulus hingegen überhaupt nicht ins Handgemenge kommen und vom Kampfgeschehen ausgeschlossen bleiben. Dinge dieser Art soll Catulus selber zu seiner Verteidigung vorgebracht und Marius Arglist und Mangel an Kameradschaft vorgeworfen haben.

Das Fußvolk der Kimbern rückte langsam aus den Verschanzungen hervor und stellte sich in einer Tiefe auf, die der Länge der Front gleich war; jede Seite ihrer Aufstellung maß dreißig Stadien.  Die Reiterei war fünfzehntausend Mann stark und prächtig gerüstet, mit Helmen, die den aufgesperrten Rachen schrecklicher Tiere glichen oder Vorderteilen von Tieren besonderer Gestalt; diese Helme, erhöht noch durch Federbüsche, ließen ihre Körper noch größer erscheinen. Gerüstet waren sie mit eisernen Panzern, und mit ihren weißen Schilden verbreiteten sie Glanz. Jeder hatte einen Speer mit zwei Spitzen, und für den Nahkampf benutzten sie große und schwere Schwerter.

Die Reiter richteten ihren Angriff nicht gegen die Front der Römer, sondern wichen nach rechts aus und rückten langsam vor, wobei sie die Gegner allmählich zwischen sich und ihrem Fußvolk am linken Flügel einklemmten. Die römischen Feldherren durchschauten wohl die Tücke dieses Manövers, fanden aber die Zeit nicht mehr, ihre Leute zurückzuhalten. Denn als einer schrie: «Die Feinde fliehen!», stürzten sich alle hinter ihnen her. In diesem Augenblick wogte wie ein ungeheures Meer das Fußvolk der Barbaren heran. Da wusch Marius seine Hände, hob sie zum Himmel empor und gelobte den Göttern ein Opfer von hundert Rindern. Catulus seinerseits tat mit erhobenen Händen das Gelübde, er werde dem «Glück des Tages» einen Tempel weihen. Es geht auch die Erzählung, daß Marius, als man ihm beim Opfer die Eingeweide zeigte, mit lauter Stimme ausgerufen habe: «Mein ist der Sieg.»

Als der feindliche Angriff einsetzte, widerfuhr Marius ein Mißgeschick, das ihn an die vergeltende Gerechtigkeit der Götter mahnen mußte. Sulla hat uns den Vorfall erzählt. Es erhob sich, wie sich denken läßt, eine riesige Staubwolke und verhüllte die vorrückenden Armeen. Als nun Marius zur Verfolgung ansetzte und seine Legionen mit sich fortriß, geschah es, daß er die Feinde verfehlte, an ihrer Phalanx vorbeistürmte und lange Zeit suchend in der Ebene umherirrte Die Barbaren aber stießen im Vorrücken auf Catulus und seine Truppen, so daß diese den entscheidenden Kampf zu be­stehen hatten. Auch Sulla befand sich unter ihnen, wie seinem Bericht zu entnehmen ist. Zwei treffliche Helfer standen im Kampf den Römern zur Seite: die Sonne, welche die Feinde blendete, und die Hitze. Frost und Kälte zu ertragen war den Kimbern ein Leichtes, waren sie doch in schattigen, kalten Ländern aufgewachsen, die Hitze aber lähmte sie völlig, sie keuchten, der Schweiß strömte ihnen herab, und sie mußten sich zum Schutz vor der Sonne die Schilde vor das Gesicht halten. Denn die Schlacht fiel auf die Zeit nach der Sommersonnen­wende, auf den dritten Tag, wie die Römer rechnen, vor dem Neumond des Monats August, der damals noch Sextilis hieß. Auch der Staub half mit, den Mut der römischen Legionäre zu stärken. Er bedeckte das Kimbernheer mit einer undurchdring­lichen Wolke, so daß man von weitem die feindlichen Massen gar nicht sehen konnte. So stürzte sich jeder auf die Gegner, die gerade vor ihm auftauchten, und fand sich ins Handgemenge verwickelt, bevor der Anblick ihn hätte erschrecken können. Dabei waren die Römer körperlich so gestählt und abgehärtet, daß man trotz der beklemmenden Schwüle keinen keuchen oder schwitzen sah, wiewohl der Angriff im Sturmschritt vorgetragen wurde. Catulus selber soll in seiner Darstellung die Soldaten darob gerühmt haben.

An dieser Stelle fanden die meisten der Feinde und ihre tapfersten Krieger den Tod. Um nicht getrennt zu werden, hatten sich die Krieger im ersten Glied mit langen Ketten, die durch die Gürtel gezogen waren, aneinander gebunden. Die Römer stießen die Flüchtenden zum Wall des Lagers, und hier wurden sie Zeugen höchst tragischer Szenen. Denn die Frauen standen in schwarzen Gewändern auf den Wagen und töteten die Flüchtenden, ihre Männer, ihre Brüder, ihre Väter, und ihre kleinen Kinder erwürgten sie mit eigenen Händen, schleuderten sie unter die Räder und unter die Hufen der Zugtiere und brachten sich dann selber um. Eine, sagt man, hatte sich an einer Deichsel aufgehängt, und ihre Kinder, mit Stricken an ihre Knöchel gebunden, hingen links und rechts herunter. Die Männer banden sich, da keine Bäume da waren, mit dem Hals an die Hörner der Ochsen, andere an die Beine, und dann reizten sie die Tiere mit Stacheln, bis sie ihre Opfer zu Tode schleiften oder trampelten. Obwohl viele von ihnen auf diese Weise umkamen, wurden über sechzigtausend gefangen. Die Zahl der Gefallenen soll doppelt so groß gewesen sein.“[12]

Da ihnen die Freiheit als ein höheres Gut erschien als fortwährende Sklaverei, der Zusammenhalt im Familienverband mehr als dauerndes Getrenntsein, zogen sie den Freitod einer unwürdigen Gefangenschaft vor. Nur so wurden zu Schlächtern an den Ihrigen, die doch nur Liebe empfanden, und so, wie sie sich im Leben aneinanderketteten, waren sie auch im Tod miteinander verbunden. Wieder einmal überlebten die, denen große Gefühle fremd waren oder für nichts galten, während die Edelsten der Schoß der Erde barg, ihr Blut ein Trank für die bereits zu Staub gewordenen Unterirdischen. Unterirdisch floß auch ihr Blutstrom weiter, und die sich daran labten, auf sie soll ihr Kampfgeist dereinst übergehen.

Also endet die Geschichte der Kimbern und Teutonen, und die Spur, die sie zeichneten, die mit viel Blut getränkt war, löste sich im Nebel auf, der über den ewig dunklen Wäldern Germaniens liegt. Andere sollten ihrem Beispiel folgen, das einmal begonnene Werk zu vollenden, und es würde des Wütens kein Ende sein, ehe nicht das zum Himmel schreiende Blut der Gefallenen gerächt war. Noch fern, kündigte etwas noch Barbarischeres sich an, als sich am Himmel eine Wolke zu einem Gewitter auswuchs: der alles austilgende Gotensturm brach los, und das Weströmische Reich versank in den darauffolgenden Wirren in Schutt und Asche. Also vollzog sich, was geschrieben steht; es war dies aber die Zeit der Götterdämmerung.


 

Die Zitate entstammen: Malitz, Jürgen, Die Historien des Poseidonios, und Plutarch, Große Griechen und Römer.

Bildnachweis: Tiepolo, Marius, und Tiepolo, Die Schlacht von Vercellae


[1] Diodor 5, 32, 3-5

[2] Strabon 2, 7, 8

[3] Strabon 7, 2, 1-2

[4] Diodor 34/35, 30 a

[5] Diodor 34/35, 30 b

[6] App. Celt. 13

[7] Strabon 7, 2, 3

[8] Cassius Dio, Römische Geschichte, Fragmente des Buches 27, 94 (2)

[9] Plutarch Marius 11, 2-14

[10] Plutarch Marius 15

[11] Plutarch Marius 18 - 21

[12] Plutarch Marius 23 - 27,5