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J. schrieb: Hallo!
Bin durch Zufall auf Deine Filmkritik über Gladiator gestoßen ... War mal sehr interessant, die geschichtlichen Grundlagen etwas genauer kennenzulernen. Weil der Film aber keine Dokumentation über Commodus war, sollte man dem Regisseur doch noch verzeihen, daß nicht alles detailgetreu von den Überlieferungen übernommen wurde. Wer hätte denn da durchgesehen? Dort eine Frau, da eine Geliebte usw. Ich denke, R. Scott hatte seine eigenen Vorstellungen von den Charakteren seines Films, und die hat er glänzend umgesetzt. Ich würde das nicht als historische Fälschungen bezeichnen, er hat den Film sicher nicht in der Absicht gedreht, um Geschichtsprofessoren in die Kinos zu locken. Auf meiner Eintrittskarte stand jedenfalls keine Garantieerklärung, daß Commodus auch wirklich so war, wie er dargestellt wird. Ach ja, daß Scott keinen blondgelockten Jüngling für die Rolle ausgewählt hat, sondern Joaquin Phoenix, kann ich nur als sehr positiv bewerten. Ich stimme Dir auf jeden Fall zu, daß der Film zweitweise etwas gefühlsduselig (Maximus und Lucilla --> ??) und langatmig ist, doch auch nach mindestens 10maligem Gucken ist es für mich der beste Film, den ich je in meinem Leben gesehen habe.
Mit freundlichen Grüßen
J.
Antwort: Hallo J.,
es ist etwas anderes, ein publikumswirksames Spektakel zu veranstalten, als ein authentisches, möglichst wirklichkeitsnahes Bild der Geschichte zu vermitteln. Bereits die Tragödie der Griechen verlangte, daß das Schauspiel den Menschen nicht nur verherrlichen und im Glück sich wiegend sehen darf, sondern ihn auch mit all seinen Schwächen und Erbärmlichkeiten zeigen muß. Auch wissen wir, daß eine Inszenierung sowohl dramaturgisch als schauspieltechnisch gar nicht anders gestaltet werden kann als den Empfindungen der Jetztzeit folgend. Auch dürfen Kosten- und Zeitrahmen nicht über Gebühr strapaziert werden. Wer wollte je Hannibals Schlacht bei Cannae mit 40000 originalgetreuen Soldaten und 40 Elefanten inszenieren und dabei nicht den teuersten Film der Welt riskieren. Was also das Künstlerische und den Gegebenheiten sich Fügende betrifft, so stimme ich Dir in allem zu, auch darin, daß der Film eine bestimmte Art von Geschmack trifft, ganz auf den Zeitgeist abgestimmt. Man kann einem jungen Menschen, der niemals selbst den Krieg mit all seinen Greueln kennengelernt hat, nicht das wahre Gesicht des Krieges zeigen, ohne ihn durch ein Zuviel an Brutalität abzuschrecken. Er will zwar Blut sehen, aber nur wohldosiert. Mehr ist ihm nicht zuträglich und nicht zuzumuten. Ihn stört es auch nicht, daß Schwarze die Rolle von Weißen spielen, da er es aus der Gegenwart nicht anders kennt. Er kennt nicht den Unterschied von Hoch und Niedrig, da er in eine Welt der Gleichheit hineingeboren ist. Der Mensch muß sich im Film selbst wiederfinden, er braucht die Identifikation getreu dem Prinzip: So hätte es auch mir ergehen können! Hierin ist auch der Grund zu suchen, warum Wagneropern nicht mehr in Originalkostümen aufgeführt werden, sondern in abstrusen Klamotten. Alles andere würde kitschig wirken. Wenn ein ausgesuchter Filmstar für die Darstellung eines bestimmten Charakters herangezogen wird, weil nur er diese Rolle den Erfordernissen entsprechend spielen kann und weil seine Qualitäten denen anderer vorzuziehen sind, so muß man ihm wahrlich nicht die Haare einfärben, nur damit er authentisch wirkt. Das ist es: Der eine hat das Buch vorher gelesen und ist empört, daß es nicht in allem eingehalten und befolgt wird, der andere sieht zuerst den Film und vermeidet es im nachhinein bewußt, etwas lesen zu müssen, was anders sein könnte, als er es auf der Leinwand erlebt hat. Immerhin verdanken wir dem 3D-Computer schon sehr viel, doch sind die Wände des Kollosseums noch zu glatt, die Farben zu homogen, die Abmessungen genauer als menschliche Fertigkeiten sie abreißen könnten; es ist wie Musik auf dem Synthesizer. Der Film ist trotz allem großartig - ich liebe Monumentalfilme -, doch auch Ben Hur, Kleopatra, Lawrence von Arabien und der Untergang des Römischen Reiches waren grandiose Filme. Zu gerne wäre ich selbst Filmregisseur geworden, denn Themen gäbe es genug, die zu verfilmen sich lohnt. Weil mir das aber nicht gegeben war, habe ich es gewagt, einen anderen zu besudeln, ihn anstatt mit Lob zu überhäufen mit Dreck zu bewerfen. So möchte ich es dennoch nicht versäumen, Dir gegenüber die Rollen der Hauptdarsteller gebührend zu würdigen, auch wenn dies nicht meine ursprüngliche Absicht gewesen ist. Doch allen, die Kritik üben, ist es wohl zueigen, daß sie eher bissig sind als wohlmeinend.
Mit freundlichen Grüßen
Manfred Hiebl