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Die Minne im Ritterroman

 Billigflug

 
         
 

Das romanische Hochmittelalter ist voll der Minne. Niemand vermag sich dieses Begriffs zu nähern, der nicht selbst die Erfahrung überschwenglicher Liebe gemacht und dabei ein tiefes Gefühl für die ewige Treue zwischen zwei Liebenden entwickelt hat.

In den Artusromanen gibt es keinen einsamen Ritter: der Ritter ist stets der, der auch ein Edelfräulein vorweisen kann, auf das er stolz ist und um das er beneidet wird, wenngleich er, um seine Gunst zu gewinnen, wahrlich vieles opfern mußte, manchmal sogar sein Leben riskieren, zumindest aber mußte er, um sich seiner würdig zu erweisen, gewaltige Heldentaten vollbracht haben.

Frauen des Mittelalters wollten nämlich keine Feiglinge und Weichlinge zu Männern, deren sie sich schämen mußten; ein Mann mußte groß, schön und stark sein, er mußte der Frau nicht nur ein gutes Auskommen sichern, sondern sie im Ernstfall auch beschützen können, eben ein »ganzer« Mann sein. Hätte sich doch keine Adelige in einen aus niederem Stande auch nur verliebt, geschweige denn, daß sie eine nicht standesgemäße Ehe eingegangen wäre.

 

Mit den inneren mußten auch die äußeren Werte vereinbar sein, so geben Chronisten des Mittelalters sich alle erdenkliche Mühe, die Personen, die sie beschreiben, zuerst in bezug auf ihre äußere Erscheinung darzustellen, ehe sie sich über deren charakterliche Vorzüge bzw. Mängel auslassen.

Angeführt werden jene von den Tugenden des Mutes und der Tapferkeit, danach erst gesellen sich Maßhalten im Genuß, Geistesgewandtheit und Leutseligkeit im Umgang mit Untertanen hinzu. Hilfsbereitschaft ist bei nahezu allen Ständen des Mittelalters ein so hohes Ideal, daß es, weil es für allzu selbstverständlich galt, gar nicht eigens erwähnt werden muß.

Packt man alle diese Attribute in eins, so nähert man sich dem Begriff der Minne, die mehr ist als nur die geistig-seelische Beziehung zwischen den Geschlechtern oder sich gar auf das Sinnliche beschränkt, wenngleich auch dieses in der Vorstellung der beiden sehr wohl existiert.

 

 
 
 
 
 

Minne beginnt damit, der Dame seines Herzens, auch wenn es noch so aussichtslos scheint, alles, was sie wünscht, zu Füßen zu legen, sie anzubeten um ihrer selbst willen. Die Schönheit der Angebeteten zwingt den Ritter zur Demut, er ist nicht mehr in der Lage, seinen Antrag stehend vorzubringen, er tut es kniend, um keines geringeren Preises als den, erhört zu werden: für seine Ergebenheit, seine Zuneigung und wegen seines beinahe künstlerischen Umgangs mit dem, was ihm nach seinem Weibe am liebsten ist, mit seinen Waffen hoch zu Roß.

Der rosige Mund seiner Geliebten, mag sie noch so sehr die Gemahlin eines anderen sein, gar eines Fürsten, die Anmut ihres Wesens, die Süße ihrer Stimme, ihr Lächeln auf den Wangen und die verführerischen Blicke sind der Urgrund, aus dem Helden geboren werden. Zu sterben lohnt sich nur für eine Frau, die man jedoch nicht kampflos erobern will, denn das Weib ist stets nur der Preis des Siegers.

Die Frau des Mittelalters hätte sich niemals mit einem Mann zweiter Wahl zufrieden gegeben, sie konnte jedoch nicht immer frei entscheiden, da politische Zwänge oft ein anderes erforderten. Der Mann ihres Herzens jedoch war der auf dem Turnierplatz, dessen Helmbusch am Ende noch flatterte, wenn alle anderen längst im Staube lagen, nicht der an ihrer Seite, dem allein sie Achtung und Treue schuldete. Wer das nicht verstanden hat, der hat von Minne nichts begriffen.

 

Insofern nimmt die Liebe des Kämpfenden auf der einen, die des ihm zuwinkenden Weibes auf der anderen grotesk-platonische, doch von jedermann geduldete Züge an, die ob ihrer unerfüllten Sehnsucht den Hauch des Tragischen atmen, dem nur ein ruhmvoller Tod abhelfen und ewiges Beisammensein bescheren kann. Somit verbindet sich mit dem spielerischen Wechseln der Waffen auch bitterer Ernst.

Seit jeher besaßen die Fürsten die schönsten Gemahlinnen, schön nicht nur an Körper, sondern auch an Geist, denn der Besitz einer schönen Frau ist wie der Besitz eines Schatzes, den man um des glänzenden Goldes willen gerne jedermann zeigt. Ansehen darf ihn jeder, seine Früchte kosten hingegen ist tabu.

So wie das verbotene Verlangen nach der Frau eines andern die Dichtkunst des Mittelalters zu höchster Blüte vervollkommnet hat, so kann nur durch ausnehmende Heldentaten zugleich Abbuße für diese »Sünde« getan werden. Die unerfüllte Liebe sublimiert sich im Besiegen und Sterben der Feinde, und nur der blutverschmierte, heimkehrende Rittersmann ist es wert, an den Tafeln der Großen von seinen Mären berichten zu dürfen.

Treten wir nun ein in den Palas einer Burg, von Fackeln hell erleuchtet. In der Mitte sitzt ein Mann mit wallendem Haar, das unter seinem Helme nie auffiel, jetzt aber dazu angetan ist, die Schilderung seiner Aventüren in einem schmeichelhafteren, milderen Lichte erscheinen zu lassen, ferner, sich seine Hörer geneigter zu machen.

 
 
 
 
 

Der barbarische, unerzogene Rohling ist niemals der Idealtyp ritterlicher Minne, es ist der Sänger, denn Herzen lassen sich nur sanft erobern, beim leisen Knistern des Kaminfeuers, zu den Klängen der Leier. Hier wird Blut zu Wein gewandelt, und flammender Wein betört alle Sinne, zieht uns im Lauschen hinein wie in einen Strudel. Jetzt sind Lachen und Scherzen in aller Munde, frohe Heiterkeit überall. Die Herrin des Hauses naht und reicht dem Gast die Hand wie beim Anstecken der Trauringe.

Wenn in den fensterlosen Gemächern mittelalterlicher Burgen der Wind sein unheimliches Säuseln trieb, saßen die Damen beim Sticken und Weben und harrten der Heimkehr ihres Gemahls. Wie angenehm war es da, von einem fahrenden Sänger von den glorreichen Taten zu hören, die aus Liebe vollbracht wurden. Hier sind Glück und Schmerz eins geworden, die furchtbaren Stiche ins Herz des Gegners werden zur frommen Labsal, eine willkommene Abwechslung zur gewohnten Predigt des Priesters.

Beim Anhören solcher Weisen schmolzen gerade die unbändigsten, zügellosesten und widerspenstigsten Frauen dahin, denn das Mittelalter besaß zwei Seiten einer Medaille. Gerade die unbeschreiblich schönen, verführerischsten Frauen, die mit der makellosesten, straffesten Haut und der größten Sinnlichkeit, drohten gar manch edlen Rittersmann in sein Verderben zu führen, indem sie seine Sinne umgarnten, als würde eine fremde Macht wie mit einem willenlosen Werkzeug ihr neckisches Spiel treiben.

 

Denn das Mittelalter ist auch geprägt von der Schlechtigkeit des Weibes, dem es an Herz und Verstand gebricht und das deshalb zu Demut und Gehorsam erzogen werden muß, dessen Schicksal sich in der Ehe schlechthin nur erfüllen kann. Nur adelige Frauen konnten in bescheidenem Umfang auch selbstherrlich walten, zumal wenn ihr Gemahl in Feindesland viel Ehr’ errang. 

Der zärtlichen Umarmung durch den Gatten entbehrend, aber dennoch zur Keuschheit verpflichtet, ließ sich gar manch edle Dame zum Weibe herab, gab einem Knecht die Frucht des verbotenen Baumes zu kosten. Für ihren Leichtsinn sühnte sie mit den Schmerzen einer unerwünschten Geburt, zur Läuterung ihrer sündhaften Existenz nicht selten hinter Klostermauern. An die geschlossenen Pforten jedoch konnte der geprüfte Rittersmann lange anklopfen, dem Kerker seines Herzens nicht entrinnen.

 

 

 

 

 

 
 
 
 
         
 

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