CXC. In demselben Jahr starb der Frankengraf Saint-Gilles,
bei der Belagerung von Tripolis. Er überließ die
Außenstadt, die er gebaut hatte, und seine
Mannen dem Sohn seiner Schwester, Bertrand,
einem berühmten Krieger. Das ist jener
Saint-Gilles, der die Lanze Christi
fortgeschafft und sie in Konstantinopel dem
Kaiser Alexius geschenkt hatte.
CXCI.
Im gleichen Jahr hatte die Stadt Ablastha im
Bezirk von Dschahan schwer unter den Martern und
dem Unheil von seiten der Franken zu leiden. Sie
wurde derart mißhandelt, daß die Einwohner
beschlossen, sich grausam an ihnen zu rächen.
Sie stellten sich auf die Seite der Ungläubigen.
Nachdem sie eine geheime Botschaft an sie
geschickt hatten und die Reiterei jenes Gebiets
in ihre Mauern geholt hatten, verbündeten sich
die Armenier mit ihnen und schlossen die Festung
ein.
»Geh' fort zu Deinem Volk«,
sagten sie zum Oberhaupt der Franken und:
»Gott
sei mit Dir.«
Bei diesen Worten warfen
sich
jene aus Zorn wie wilde Tiere auf die Einwohner.
Aber die letzteren blieben Sieger und metzelten
sie alle nieder, nicht einer kam davon. Der Herr
ließ Gnade walten mit den Leuten von Ablastha
wegen dem, was sie getan hatten, wie durch einen
Gerichtsentscheid. Jener Tag sah ungefähr
dreihundert Männer umkommen, die auf diese Weise
für die Untaten, die sie den Gläubigen
haufenweise angetan hatten, büßten, denn sie
hatten die ganze Gegend verwüstet und
entvölkert.
Die Erde trug nur noch Brombeeren und war
unfruchtbar geworden unter ihren Schritten. Die
Weinreben und Bäume verdorrten, die Ebenen
starrten von Disteln, die Quellen versiegten.
Sie zerstörten Zuneigung und Freude unter
Freunden; Verrat und Haß breiteten sich überall
aus. Die
Gläubigen, abgeschreckt durch die Schikanen,
denen sie wegen ihrer zum Opfer gefallen waren,
kamen nicht mehr um die Wette in die Kirche
gelaufen. Die Türen des Gotteshauses
schlossen sich, die Lampen, welche es
erleuchteten, loschen aus; die Segnungen Gottes
hörten auf, an seinem Tempel zu haften.
Die Priester
wurden unter das Joch härtester Knechtschaft
gebeugt und ins Gefängnis geworfen. Die Altäre
und Taufbecken wurden umgestoßen und zerstört,
die Kreuzesmysterien verschwanden im Schatten,
der Duft des Weihrauchs verflog, Gott zu
verherrlichen wurde im Bezirk von Ablastha
gänzlich untersagt. An anderen Orten
wurden die Kapellen zerstört, die Priester ein
Gegenstand der Verachtung.
Religiöse
Streitfragen wurden abgeschafft, die
Wahrheit verfolgt, die Gerechtigkeit verworfen,
die Frömmigkeit verbannt.
Den
Schiedsspruch des furchtbaren göttlichen
Gerichts ließ man in Vergessenheit geraten.
Diese Übel waren das Werk des rasenden
Frankenvolkes. Denn damals lebten die
erlauchtesten Häupter und Krieger dieses Volkes
nicht mehr, und ihre Fürstentümer waren an
unwürdige Nachfolger übergegangen. Daher
verfolgten und quälten die Franken die
Gläubigen, im Grunde aus keiner anderen Ursache
als aus Habgier.
CXCII.
Im selben Jahr stürzte die Kirche der heiligen
Sophia zu Edessa auf ihrer Westseite ein; ein
Großteil des Gebäudes fiel in sich zusammen.
CXCIII.
Im selben Jahr erschien ein Komet von
schrecklichem Aussehen, einmalig und wunderbar,
der durch sein Kreisen Entsetzen hervorrief. Er
beherrschte den gesamten Südwesten. Sein Schweif
überstrich einen ausgedehnten Bereich des
Himmelsgewölbes. Es war am Abend des 13.
Februar, kurz vor dem Fest des Erscheinens
unseres Herrn im Tempel, als er über den
Horizont trat. Er leuchtete fünfzig Tage lang,
an denen er alle Gemüter in Aufruhr versetzte,
weil das Tänzeln seines Schweifs der
Aufgewühltheit eines Stromes glich. Niemand
hatte je über ein derartiges Phänomen berichten
hören. Die Weisen und Erfahrenen versicherten,
daß dies das Gestirn eines Königs sei, und daß
ihnen dieses Jahr einer geboren würde, der sein
Reich von einem Meer zum andern ausdehnen würde,
wie Alexander der Große von Makedonien.
In dem gleichen Jahr verließen die Araber ihre Länder, an
Zahl ungefähr dreißigtausend, in der Absicht,
sich Aleppos und des gesamten muselmanischen
Territoriums zu bemächtigen. Der heldenmütige
Sieger Gottes, Tankred, Graf von Antiochien, zog
gegen sie aus, und nachdem er sie in die Flucht
geschlagen hatte, kehrte er mit reicher Beute in
jene Stadt zurück.
CC.
Im selben Jahr war der Winter so streng, daß die
anhaltende Kälte überall zahlreiche Haustiere
und Vögel zugrunde gehen ließ. In Persien fiel
schwarzer Schnee, ein Phänomen, das von den
Weisen dieses Volkes als ein unheilvolles
Vorzeichen gedeutet wurde, welches ihnen galt.
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Manfred Hiebl, 2007. Alle Rechte vorbehalten.